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nie wieder thiessow
das folgende hätte so auch (fast) bei jedem fahrtziel der fall sein können. es war aber thiessow auf rügen.
losgefahren am samstag, sonnenschein, südwestwind, ungefähr stärke fünf. wollte übers wochenende nur raus. die nachbarn hier hatten eine einweihungsparty angekündigt, auch am hafen war irgendein fest und ich wollte einfach endlich eine ruhige nacht. und nach thiessow wollte ich auch mal. und ich wollte endlich bei einem wochenendausflug nach rügen an land gehen und die gegend erkunden.
aber was der mensch fühlt, das erlebt er: wer ruhe will, hört überall lärm, wer natur will, sieht zivilisation, wer schönheit sucht hat an allem was auszusetzen. vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich von anfang an nicht den beschreibungen der anderen geglaubt sondern gewartet hätte, was sich mir zeigt.
oder auch nicht.
bei schönem wetter am frühen nachmittag abgelegt. ziemlich rechtzeitig für die ein-uhr-brücke. vor der brücke und dem sperrwerk stau und gedrängel. das übliche. gleich nach der hafenausfahrt setze ich das großsegel. nur um zu sehen, dass einer der mastrutscher falschrum sitzt. ungefähr auf halber höhe. shit. die waren beim letzten mal alle aus der nut gerutscht (mastrutscher!), und beim einfädeln während das segel unten ist schleicht sich sowas halt ein. trotzdem blöd. das ist das erste kleine missgeschick an diesem tag.
ich habe das ganze groß gesetzt, dazu die große fock, und der wind drückt das boot mit schneller fahrt voran. mit dem hohen druck im rigg segelt aimé unruhig, und ich bekomme ein unsicheres gefühl. bei den vergangenen alleinfahrten habe ich gelernt, dass es sinnvoll ist, das ernst zu nehmen - und die segelfläche zu verkleinern. also luve ich an, nehme das vorsegel dicht, fiere das groß und lasse das boot mit festgelegtem ruder hoch am wind sich selbst segeln. dass das so gut funktioniert ist für mich immer wieder erstaunlich.
mit gerefftem groß segelt das boot auch auf dem raumen kurs viel ruhiger. das segeln macht spaß. trotzdem bin ich nicht bei der sache. ich brüte über familienangelegenheiten, kurz vor rügen kommt der impuls, jetzt umzukehren und zurückzufahren, die brücke um acht könnte ich noch kriegen... - aber da bin ich schon an der ansteuerungstonne vorbei und die insel mit dem landgang lockt, den ich mir schon lange mal vorgenommen hatte. also hole ich die karte ins cockpit und beginne die ansteuerung.
kurz nach dem zweiten tonnenpaar dreht plötzlich der wind und weht jetzt aus der bucht raus. direkt hinter mir segelt noch ein anderes boot, und die packen bei dem dreher sofort die segel ein und motoren dann an mir vorbei. ich versuche noch ein stück zu kreuzen, bis zum nächsten tonnenpaar ists noch tief genug. aber der wind ist so unregelmäßig, dass ich die segel ebenfalls berge. hab ich bisher kaum gemacht, so weit vor dem hafen. aber an segeln in der engen fahrrinne ist bei gegenwind überhaupt nicht zu denken. und das leitet das zweite missgeschick ein. während das boot durch die fahrrinne fährt, hole ich leinen und fender aus der backskiste. dabei achte ich darauf, dass wir nicht über den tonnenstrich hinaussteuern. und das tun wir auch nicht. in der karte stand zur solltiefe des fahrwassers (2,5 meter), dass zum teil stark abweichende werte gemessen wurden. hab ich noch nie erlebt sowas, aber diesmal ist es soweit - boot nickt ein, steht. aufgelaufen. ein geräusch war nicht zu hören, und die bremsung war nicht plötzlich, also weicher boddengrund. ich schau nach vorne und nach hinten und wir sind perfekt im fahrwasser. klar, nicht direkt in der mitte, aber: im fahrwasser! erst versuche ich, vorwärts gas zu geben, um über den hügel zu rutschen. als das nicht funktioniert, nehm ich den rückwärtsgang. mit vollgas. was uns rettet sind die wellen, die vom weitläufigen bodden in die bucht laufen, ungefähr dreißig zentimeter, schätze ich. die heben das boot immer kurz an und setzen es dann wieder auf den grund. zwischendurch zieht die schraube das boot ein kleines stück zurück. vier bis fünfmal geht dieses spiel, dann sind wir wieder frei. bei jedem neuen aufsetzen nach der welle geht ein ruck durchs boot, und ich kann mir jetzt lebhaft vorstellen, wie verheerend es sein muss, wenn die wellen in solchen situationen höher sind, mit mehr kraft anrollen. dann ist mit einer kleinen schiffsschraube wahrscheinlich nichts mehr auszurichten, schieben die wellen das boot einfach nur immer höher.
aber gottseidank nicht uns. die restliche fahrt durch die rinne dann fast im standgas, um bei einem aufsitzer nicht zu weit in den schlick zu rutschen. grundberührung ist eigentlich nichts schlimmes, sofern dabei nichts kaputt geht und das boot aus eigener kraft wieder freikommt. und trotzdem: das nächste kleine missgeschick in der reihe des tages.
kurz hinter der spitze der halbinsel zicker ist ein großzügiger ankerplatz, der bei allen winden gut geschützt ist. das echolot zeigt konstant 2,2 meter an, das würde für uns gerade so reichen. ich will aber diesmal an land gehen, und auch das abenteuer wagen, alleine in einem fremden hafen anzulegen. die bedingungen dafür sind gut: wenig wind und ein hafen, in dem man längsseits anlegt, was ich schon häufiger gemacht habe mit dem boot. beim einlaufen ruft mir ein typ am kai erstmal zu, der platz, auf den ich in diesem moment anfahre, allerdings erstmal ohne die absicht, dort anzulegen, dieser platz sei für seinen kumpel, der in diesem moment hinter mir durch die enfahrt kommt. ich könne doch hinten in den hafen fahren, dort läge ich auch viel geschützter. na gut. sehr freundlich. inzwischen hab ich mich auch schon dran gewöhnt, dass im leben ständig alle möglichen leute immer wissen, was gerade gut für mich ist. vor allem dann, wenn das gut zu ihren eigenen plänen passt. den platz lasse ich trotzdem gerne frei.
während das boot langsam im hafen treibt, bereite ich alles fürs manöver vor. an der außenmole, direkt neben der einfahrt, ist noch ein platz frei, der so aussieht, als ob aimé genau reinpasst. eine spundwand, aber mit vielen pufferleisten aus plastik, sodass selbst dann, wenn die fender rutschen, das boot nicht gleich am eisen liegt. das manöver klappt problemlos: anfahren, aufstoppen, das auge der vorbereiteten vorspring über den poller legen, schnell zur mittelklampe und festmachen, dann mit der vorspring das boot vorsichtig an den steg legen und mit ruder und motor stabilisieren, dann kommen die restlichen leinen dran. und ich bin ein bisschen stolz auf mich. nach dem misslichen tag hatte ich fast schon probleme erwartet und deshalb auch fast geankert statt in den hafen zu fahren. dass das jedenfalls für meine nachtruhe die bessere lösung gewesen wäre, daran dachte ich in dem moment allerdings noch nicht.
denn thiessow entpuppt sich eben doch als yachthafen, der irgendwann mal ein fischerhafen war und wo auch noch ein paar fischer liegen, die meisten plätze sind aber von yachties belagert. und die werden diese übernahme noch in dieser nacht sehr kräftig feiern...
zuerst aber mache ich mich auf die suche nach der großen aussicht. ich will einmal zur südöstlichsten spitze der insel rügen laufen. auf dem weg checke ich beim hafenmeister ein. und erkenne dort nochmal besser, dass das hier eine marina mit einem spezifischen stil "fischereihafen" ist, so wie eine mottokneipe "ernest hemingway" vielleicht, wo dann ein schwertfischimitat an der wand hängt und ein paar porträts vom autor. denn thiessow ist mit 18 euro bisher mit der teuerste hafen auf ganz rügen, den ich anlaufe, und ich habe schon ein paar häfgen besucht: greifswald stadthafen, gager, lohme, glowe, vitte (hiddensee), breege, stralsund. fischerhafenromantik adé.
die kleine wanderung rund ums südperd ist nachher wenig spektakulär. ich hänge auch mit meinen gedanken woanders. die inselspitze ist touristisch auch einfach zu gut erschlossen, das aber einigermaßen dezent, abgesehen vielleicht vom riesigen campingplatz an der boddenseite und den üblichen sportlich-bräsigen baywatchern von der dlrg, die gerade in ihrer strandbude ein kleines grillfest veranstalten als ich vorbei gehe.
es ist schön, diese spitze mal von land aus zu sehen. und trotzdem findet sich gleich die nächsten sehnsuchtsorte: von hier aus sieht man die greifswalder oie auf der hohen ostsee blitzen und nach osten hin bis zum polnischen festland. nächste reisen.
am abend lege ich mich früh ins bett, gegen zehn. ich will aufstehen, wenns hell wird, um halb fünf, um rechtzeitig vor dem angekündigten dauerregen in greifswald zu sein und um mit k. zusammen zu frühstücken. aber auf zwei booten ist party. einmal wird zur gitarre gesungen, und sowas finde ich eigentlich super. nur in diesem moment nicht. nach einer weile schaue ich raus, kucke rüber und überlege, ob ich irgendwelche einschlägigen zeichen mache (hände aufs ohr). da hören sie dann aber erstmal auf. für zehn minuten. dann gibt es den nächsten hit. ich dreh mich um und halt mir die ohren zu. es ist der letzte, den sie draußen machen, dann wirds ruhig. ich schlaf schon ein. wache gleich wieder auf von dumpfen bässen. die beiden freunde, die so gerne nebeneinander liegen wollten, sitzen im cockpit und haben die anlage voll aufgedreht. ich hör den bass durch die isolierten stahlwände und die verschlossenen luken. liege gefühlt zwei stunden wach. dann zieh ich mich an, geh rüber. sie machen auch wirklich leiser. die blöden sprüche und die lästerei, als ich gehe, nehme ich dafür gerne in kauf.
nie wieder thiessow.
um kurz nach vier wache ich auf. draußen ist schon morgendämmerung. ich frühstücke café und flakes. bereite dann das boot vor. schlage das vorsegel an. um kurz nach fünf sind die leinen los, tuckern wir langsam durchs fahrwasser. bei der ankerbucht setze ich den gashebel auf standgas und packe leinen und fender ein. an der stelle von gestern kommen wir diesmal gut vorbei. im licht der aufgehenden sonne kann man ganz deutlich die stellen sehen, an denen das flach sich in die fahrrinne zieht - die rinne ist ein ausgefranster dunkler streifen, in den die hellen sandzacken ragen.
am letzten tonnenpaar gehen die segel hoch. der wind ist deutlich stärker als die angekündigten zwei beaufort. eine gute vier. und er kommt etwas östlicher ein als süd, was günstig ist für die heimreise. ich setze das ganze groß und die große fock, mit dem gedanken daran, dass der wind bald abflaut. aimé schiebt sich kraftvoll durch die wellen, legt sich weit über. obwohl ich merke, dass das groß gerefft werden müsste, lasse ich die segel eine ganze weile so stehen. erst als der wind noch stärker wird, reffe ich das groß. aimé segelt jetzt besser und dabei nicht langsamer. wenn das boot auf eine schaumkrone trifft, sprüht die gischt übers vordeck. der himmel ist von strukturlosen wolken bedeckt. im osten sieht es noch hell aus, ich erahne den blauen himmel, aber im westen zieht sich alles ganz dunkel zusammen und ich bin froh, dass wir so früh losgekommen sind. jetzt, auf der fahrt, kommt endlich die entspannung, die ich gesucht habe. das boot fährt stabil hoch am wind, kommt gut durch die wellen, und erzeugt eine stille begeisterung.
fast auf die minute erwischen wir die erste brücke. unterwegs holen wir noch k. mit seinem fahrrad ab. dann: anlegen, festmachen, angekommen. x-te alleinfahrt.

26. Jun. 2012

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