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Verschleppter Bericht von der Reise
Obwohl der Ausflug nach Rügen vor mehr als zwei Wochen so aufregend war, habe ich den Bericht dazu lange vor mir hergeschoben. Vielleicht auch gerade deswegen.
Die Bilder erzählen eine schöne, harmonische Geschichte. Was sehr daran liegt, dass ich bei Alleinfahrten immer nur dann fotografiere, wenn der Moment es gerade zulässt, wenn ich nicht gefordert bin. Meistens bin ich gefordert. Gerade in den heftigeren Situationen. Die Action taucht auf den Bildern also bisher (fast) nicht auf. Da muss ich mir noch was überlegen.

Geplant hatte ich eine zweitägige Fahrt von Greifswald nach Rügen und zurück. Seedorf wollte ich besuchen. Der Wetterbericht vom Abend vorher hatte für die nächsten zwei Tage nordwestliche Winde vorhergesagt, zum Teil auch mit Regen und Schauerböen, dabei nicht mehr als 25 Knoten Wind. Machbar, entschied ich.
Ich war aufgeregt und wachte früh auf, rechtzeitig für die Brücke um neun. Beim ersten Blick nach draußen zeigte sich eine merkwürdige Wetterlage. Nach Norden zu zeigten sich kleine leichte Cumuluswolken, regelmäßig über den blauen Himmel verteilt. Nach Süden aber war der Himmel dunkel zugezogen, schoben sich dicke, schwere Wolken auf das Boot zu. Über dem Ryck - das ist der Fluß und Boddenarm, der Greifswald mit dem Bodden verbindet, und der von West nach Ost läuft - über dem Ryck war die Wetterscheide. Ein irres Schauspiel. Von Süden zog die finstere Wolkenschicht heran, prallte gegen die unsichtbare Mauer über dem Ryck wie eine Welle auf den Strand, zog sich zurück, um dann wieder von neuem anzubranden. Erklären konnte ich mir das zunächst nur durch die lokale Dynamik, die der große Bodden in dieser Gegend beherrscht. Und jedenfalls beschloss ich, zunächst noch zu warten, wie sich das Wetter entwickeln würde. Eine düstere Fahrt unter regenschwerem Himmel konnte ich mir zwar vorstellen, wollte aber vor dem Auslaufen entsprechend gewappnet sein.
Die Wetterscheide schien, bei aller Dynamik der heranziehenden Wolken, die sich dann über uns auflösten, stabil zu sein. Um kurz nach elf warf ich die Leinen los und legte ab. Sechste Alleinfahrt 2012.
Draußen auf dem Bodden weht zunächst nur wenig Wind. Ich setze die 35er Arbeitsfock, die ich schon vor dem Ablegen angeschlagen habe, und das ganze Großsegel. Mit der 35er Fock kann das Boot, mit entsprechend gerefftem Großsegel, Wind bis 6 Beaufort gut aushalten, bei wenig Seegang sogar gegenan.
Draußen zeigen sich die beiden Seiten der Wetterscheide nochmal klar. Nach Osten hin dunkel und bewegt, nach Westen hin hell und mit stabiler Luftschichtung. Unser Ziel, Rügen, liegt gottseidank in der hellen Hälfte, und ich bin guter Dinge. Außer mir sind noch zwei andere Boote ausgelaufen, eine Segelyacht, die hinter uns die Segel setzt, und ein Großsegler, der ein Stück unter Motor fährt. Zunächst kommt der Wind, anders als vorhergesagt, aus Südwest, und ich freue mich schon, denn damit könnten wir mit raumem Wind, meinem Lieblingskurs, bis Seedorf segeln.
Aber schon hinterm Kap bei Ludwigsburg schlägt der Wind plötzlich um, dreht erst auf Nordwest und frischt dann innerhalb von wenigen Minuten bis auf fünf Beaufort auf. Aktion. Das Vorsegel ist dicht, ich fiere das Großsegel auf, lege das Ruder fest und hoffe, dass Aimé so gut auf Kurs bleibt wie früher schon. Warte kurz, um zu sehen, ob das Boot stabil bleibt, und gehe dann nach vorne an den Mast, um das Segel zu reffen. Schon jetzt hat sich eine kurze, steile Welle gebildet, und mit dem vielen Tuch krängt das Boot stark. Bleibt aber auf Kurs. Ich reffe das Segel und binde gleich das zweite Reff ein. Ab jetzt geht es ein paar Stunden gegenan.
Einen Tag zuvor habe ich noch das Rigg frisch getrimmt. Der Mast steht jetzt wieder gerade, mit weniger Mastfall also. Zuletzt war das Boot doch sehr luvgierig gewesen. Jetzt liegt es viel gleichmäßiger auf dem Ruder und ich genieße den Amwindkurs wie schon lange nicht mehr. Nur bei sehr starker Krängung drückt das Boot deutlich luvwärts, das könnte noch etwas sanfter werden, und meist sucht sich Aimé gleichmäßig ihren Weg durch die Wellen und Böen.
Der Wetterbericht hat für den Nachmittag rechtdrehenden Wind angekündigt. Um das auszunutzen, will ich beim herrschenden Nordwest erstmal einen nördlichen Kurs segeln. Also eine Wende. Das ist alleine mühsamer als zu zweit, weil die Drehung des Bootes und das Segel kontrolliert werden wollen. Beides synchron ist, zumal bei zunehmendem Wind, schwierig. Meist dreht das Boot gut durch die Wende, ist aber dann kaum auf dem Amwindkurs zu halten, sondern dreht noch ein Stück weiter. Weil ich alleine auch das Segel nicht so schnell dicht holen kann, wie das Boot durch den Wind dreht, weht das Vorsegel aus und ich muss es mühsam mit der Winsch dicht holen. Deshalb drehe ich das Boot kurz in den Wind, um den Druck aus dem Segel zu nehmen und von Hand dicht zu holen. Das funktioniert schon gleich bei der ersten Wende nicht. Das Boot ist zu weit im Wind, die Fock kommt back und drückt den Bug zurück auf den alten Kurs. Weil ich ein fauler Einhandsegler bin, lerne ich die Lektion erst nach dem dritten Versuch. Da bin ich schon ziemlich am schwitzen. Und hole dann trotzdem das Segel unter Druck dicht, also ohne den Nahezu-Aufschießer, bis das Boot wieder mit dichtgesetztem Vorsegel hoch am Wind segelt. Leider auf dem strategisch falschen Bug, wir segeln also nach Westen. Aber bei der insgesamt kurzen Strecke macht das nicht viel aus und hat sogar Vorteile: Wir segeln etwas dichter unter Land, dadurch sind die Wellen etwas schwächer, und es gibt auf dieser Seite keine Untiefen, die wir beachten müssten.
Nach dem Stress mit den vergeigten Wenden segel ich jetzt längere Schläge. Setze zwischendurch das Ruder fest. Stelle mich nach einer Weile an den Mast, um das Biegeverhalten mit der neuen Trimmung genauer anzuschauen. Und kriege einen derben Schreck verpasst. Der Mast biegt sich wieder in die falsche Richtung. In meinem Kopf nur: WTF!?
Der Blick auf die Uhr sagt, dass Umkehren noch möglich wäre. Allerdings sind wir schon nah bei Seedorf, und auf der Leeseite der Insel sind die Wellen deutlich harmloser als auf der Südseite des Boddens. Die Mastbiegung ist auch nicht sehr extrem, einfach nur unangenehm und es ist klar, dass das nicht länger so bleiben kann. Fürs Wochenende ist es aber okay. Und für die nächsten Wochen ist das hier und jetzt die letzte Gelegenheit, nochmal zu segeln. Ich fahre weiter.
Nur eine dreiviertel Stunde später kommt das nächste Problem. Die Schotwinsch an Backbord greift nicht mehr und dreht mit. Nochmal: WTF!? Diesmal aber etwas leiser. Das Problem kenne ich schon. Die Winschen haben ihr Lebensende erreicht und müssen bald getauscht werden. Erstmal geht es auch nur mit der Klampe. Und mit der Kurbel kann ich sogar auch noch die Winsch benutzen, wenn es sein muss. Also weiter.
Kurz vor der Bucht, in der Seedorf liegt, frischt der Wind nochmal auf. Aimé legt sich weit über, ich kann den Druck im Rigg spüren. Das Vorsegel zieht die Schot auf Spannung. Ohne Winsch kann ich das Segel nicht wirklich dicht holen. Zumal der misslungene Trick mit dem Aufschießer vorhin viel Zeit gekostet hat. Vor der Wende drehe ich nochmal kurz an der Backbordwinsch, testweise. Und sie rastet ein! Sie ist zurückgekommen! Irgendwann nach einem Ausfall ist das schonmal passiert. Aber oft auch nicht. Und jetzt, wo es wirklich hilft, kommt sie zurück. Mir wird richtig warm ums Herz und im Hinterkopf deutet sich ein naiver Schicksalsglaube an. Danke, wer oder was auch immer hier mit verantwortlich ist.
Nach dem Aufkreuzen segeln wir hoch am Wind durchs Fahrwasser. Der Gobbiner Haken, eine zu allen Seiten geschützte, wunderbare Ankerbucht, zieht vorbei. Heute wollen wir nach Seedorf. Aufregung stellt sich ein. Hoffentlich kann ich dort längsseits anlegen. Allein in eine Box - das hab ich noch nie gemacht (wird Zeit, das mal zu üben). Vor der Einfahrt berge ich die Segel. Der Wind weht ablandig und ich habe genug Zeit, Fender und Leinen vorzubereiten.
Im Hafen liegen kaum noch Boote, die meisten Boxen sind leer. Mitten im Hafen dümpelt ein Angler. Er sitzt in einer Art Luftreifen und hat einen bis zur Brust geschlossen wasserdichten Anzug an, die Angel hält er in der Hand. Ein merkwürdiger Anblick.
An einem Längssteg sehe ich genug Platz. Ich drehe dort rein, und dank der großen, dicken Kugelfender gelingt das Manöver problemlos. Boot festmachen, geschafft. Im doppelten Wortsinn - ich bin selbst von der Überfahrt und der Aufregung ziemlich geschlaucht.
Trotzdem gehe ich erstmal von Bord. Es ist saukalt und unter Deck könnte ich mich jetzt sowieso nicht erholen. Und die Gegend um Seedorf ist ziemlich malerisch. Kurz nach dem Ortsausgang biege ich von der Hauptstraße in einen kleinen Weg ab, der mich schon bald in den Wald und in die Hügel führt. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, am westlichen Himmel leuchten rot die Wolken, der Himmel darüber ist tief dunkelblau. Eine Weile stehe ich versunken da und blicke in diese farbige Ferne. Sehnsuchtsgedanken.

17. Nov. 2012

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