Ozeansegeln. Reiseaufzeichnungen

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Rückfahrt
Die Ausfahrt liegt eigentlich zu lange zurück, um noch davon zu erzählen. Wenn nicht etwas passiert wäre, das mich auch später noch eine Weile verfolgt hat und das deshalb auch erzählenswert ist. Diesmal kein Unwetter. Im Gegenteil: Das Wetter war unglaublich schön. Ende Oktober, tags zuvor bin ich alleine mit Aimé von Greifswald nach Seedorf auf Rügen gesegelt. Hatte unterwegs einige Bedenken wegen der falschen Mastbiegung, zwischendurch fiel eine Winsch aus, beim Kreuzen, kam aber wieder zurück. Und ich war froh, in Seedorf zu sein.
Die Gegend um Seedorf ist wunderschön, und schon am Abend meiner Ankunft hatte ich den Turm des Jagdschlosses Granitz oben auf einem Hügel durch den Wald blitzen sehen. Bei nv-pedia gibt es eine Wegbeschreibung für einen Spaziergang zum alten Jagdschloss, das heute als Museum ausgebaut ist.
Also entschied ich mich morgens früh, erst am Nachmittag zurück zu segeln und den Vormittag für eine Wanderung zum Schloss zu nutzen. Mit der aufgehenden Sonne ziehe ich los. Überquere eine Brücke, folge einer kleinen Straße, laufe auf einem schmalen Weg durchs Ried. Den Turm des Jagdschlosses habe ich dabei ständig im Blick, erst am Fuß des Hügels ist er vom Wald verdeckt. Der Herbst hat die Blätter der Bäume bunt gefärbt, die Hügellandschaft ist farbig gemustert. Ich genieße die warmen Sonnenstrahlen und die klare Luft. Es ist schön, einen Weg zu laufen, den ich noch nie gegangen bin. Nachdem ich einer gepflasterten Allee gefolgt bin, die schnurgerade durch die Felder gezogen ist, biege ich in einen schmaleren Waldweg ein. Ab hier geht es bergauf. Von ferne ist zwischendurch das Pfeifen der Schmalspurbahn zu hören, die das südöstliche Ende der Insel auch für Fußgänger erschließt, die kein Auto oder Boot haben.
Der Aufstieg ist schweißtreibend, auch weil ich zügig marschiere. Ich möchte nachher nicht zu spät aufbrechen, um noch im Hellen anzukommen.
Das Schloss selbst ist sehr beeindruckend. Die Fürstenfamilie von Putbus hat es gebaut, ursprünglich nur als Jagdschloss. Als aber der Hauptsitz der Familie in Putbus einem Brand zum Opfer fiel, musste die Familie aufs Jagdschloss ziehen. Das muss einem nicht leid tun: Das Jagdschloss kommt hochherrschaftlich daher. Die Architektur ist dabei zumindest ungewöhnlich. Im Zentrum des Gebäudes steht der Turm. Auf zwei Stockwerken sind kreisförmig um diesen Bereich die Zimmer angeordnet. Es sind ziemlich viele Zimmer. Einige sind der früheren Nutzung folgend ausgestattet. Sogar eine Ritterrüstung ist zu besichtigen. Allerdings keine, die ein Ritter getragen hätte. Dafür ist das Schloss dann doch nicht alt genug. Die Rüstung ist Teil eines Kamins, der in einem bunt ausgestatteten Wohnzimmer steht. Neben orientalischen Dolchen und Krummsäbeln finden sich wertvolle Holzkästchen, große Gemälde, reichhaltig verzierte Sessel und Beistelltische aus dunkel gemasertem Edelholz.
Mich interessiert vor allem der Turm. Auf den Aufstieg muss ich warten. Die Wendeltreppe, die an den Außenwänden des Turms entlang führt, wird immer nur für eine Richtung, Abstieg oder Aufstieg, geöffnet. Dass das seinen guten Grund hat, merke ich beim Aufstieg. Der Turm ist mit knapp zehn Metern Durchmesser ziemlich breit. Auf der Innenseite der Treppe ist also - nichts. Dazu kommt, dass die gusseisernen Stufen nicht massiv sind, sondern in Mustern gegossen wurden. Der Blick geht durch die Stufen durch und in die Tiefe. Meinen Tritt macht das nicht sicherer.
Belohnt werden ich und alle, die den Aufstieg wagen, mit einem unglaublichen Blick. Die Luft ist sehr klar. Und zum ersten Mal überblicke ich diese Insel, die Rügen ja ist, von einem Ende zum anderen. Die Südostspitze ist gut zu sehen, das Nordperd und weiter draußen die Greifswalder Oie, der Fährhafen von Sassnitz, Kap Arkona und die Volkswerft in Stralsund. Der Greifswalder Bodden glitzert in der Sonne. Kleine weiße Punkte sind zu sehen, Segelyachten unterwegs.

So schön es ist, in der Sonne zu sitzen, zu faulenzen, und so gerne ich noch bleiben würde - für den nächsten Tag ist auffrischender Südwestwind angesagt, das würde bedeuten: gegenan. Abgesehen davon, dass die Pflichten des Festlands rufen. Was allerdings hier oben und auf und davon nur halb so wichtig ist.
Nach einem deftigen Mittagsmahl im Schlosskeller mache ich mich auf den Rückweg. Nehme die Abkürzung, die mir auf dem Hinweg ein ebenfalls wanderndes Pärchen gezeigt hat, denke schon über das Ablegemanöver nach, das nicht banal sein wird, weil ich rückwärts vom Steg weg muss, zur anderen Seite aber auch nur knapp zwei Meter Platz sind, was ein großzügiges Rausdrehen verhindern wird, also muss ich den richtigen Mittelweg finden und - zack - schon hab ich mich verlaufen. Schaue hoch und denke: So sah das aber vorhin nicht aus. Dabei ist der Hafen schon zu sehen, jedenfalls die Mastspitzen der Boote. Gehe ich halt ein Stück querfeldein. Weiter hinten muss ja die Straße kommen. Also weiter. Eine halbe Stunde später finde ich die Straße. Allerdings hat vor die Straße der Bauer den Entwässerungskanal gesetzt. Und der ist zu breit zum rüberspringen. Als ob das nicht genug wäre, muss ich tierisch aufs Klo. Prima.
Also gehe ich zurück und nehme eben die andere Abzweigung. Die mich auch wieder auf den richtigen Weg bringt. Aber wirklich entspannt ist der Rest des Spaziergangs nicht mehr.

Schließlich lege ich eine Stunde später ab als geplant. Damit ist der eingeplante Zeitpuffer gleich am Anfang ausgeschöpft. Nicht gut. Im Hafen habe ich die 35er angeschlagen, weil ich mit mehr Wind rechne. Aber noch vor dem Segelsetzen tausche ich die große Fock gegen die 50er Genua. Es ist immer ein schöner Moment, wenn das Boot nach dem Segelsetzen Fahrt aufnimmt. Aimé legt sich sanft auf die Seite und zieht los. Aus dem weitläufigen hinteren Teil der Buch kommt ein Fahrgastschiff und passiert uns, kurz bevor wir die Fahrrinne erreichen. Niemand winkt. Vielleicht sind wir zu weit entfernt.
Aus der Bucht raus geht es erstmal hoch am Wind. Den Kurs entlang der Fahrrinne können wir gerade halten. Der Wind hat ein wenig aufgefrischt und das Boot schiebt gut Lage, macht aber auch gute Fahrt. Wenn es so weitergeht, klappt es sogar mit der Brücke! Ich freue mich und fange nach dem ganzen Stress auf dem Rückweg vom Schloss an, mich wieder zu entspannen. Von der letzten Fahrwassertonne aus halte ich mich an die Ansteuerungstonne Reddevitz. Vor der Landzunge ist es steinig, davon halten wir uns frei. Das Boot schiebt sich zügig mit fünfeinhalb Knoten durchs Wasser. Ich freue mich schon aufs Abfallen, dann wird es erstens etwas ruhiger, mit weniger Druck im Rigg, und zweitens nochmal schneller.
Wir segeln auf der Sonnenstraße Richtung Westen, der Sonne entgegen. Die Ansteuerungstonne ist nur als Silhouette auszumachen. Aber die Sicht ist gut. Deshalb sehe ich auch die Fischerfähnchen, die vor uns auftauchen, rechtzeitig. Es ist eine ganze Reihe von Fähnchen, die unregelmäßig auf einer Linie quer zu unserer Fahrtrichtung verteilt sind. Also segeln wir zwischen zwei eher weiter auseinander stehenden Fähnchen durch. Hundertmal gemacht, nie Probleme gehabt.
Plötzlich klackert es vorn am Rumpf. Irgendwas schabt unter Wasser an der Außenhaut entlang. Bevor ich mich fragen kann, was das wohl war, verliert das Boot an Fahrt, so als wäre es hinten an einer dicken Gummileine festgemacht. Ich schaue zur Seite raus und sehe an backbord und an steuerbord die Fischerfähnchen. Und auf einer Linie vom Boot zu den Fähnchen eine Reihe von halb überspülten Schwimmhilfen aus Styropor. WTF? schießt mir durch den Kopf, ein schwimmendes Netz? Was soll das denn? Dann auf einmal ein Schnalzlaut. Aimé hat sich mit ihrem Gewicht und der Fahrt so weit geschoben, dass das Netz unterm Kiel durchgeschnalzt ist. Und jetzt in der Schraube hängt. Innerlich fange ich an zu fluchen. Fuck. Was jetzt? Plötzlich ein zweites, leiseres Schnalzen. die Schwimmleine ist von der Schraube gesprungen und hängt jetzt vor der Ruderhacke. Ein Lichtblick! Immerhin nicht total manövrierunfähig. Noch nie war ich so froh darüber, dass das Boot einen Faltpropeller hat.
Das alles hat keine Minute gedauert. Im Moment, als die Leine von der Schraube schnalzt, bin ich schon auf dem Weg nach vorne, um die Segel zu bergen. das Netz liegt genau parallel zum Wind, und noch zeigt die Bugspitze weg vom Netz. Aber ohne Fahrt treibt Aimé schnell quer zum Wind. Zuerst ziehe ich deshalb mit Mühe die große Genua, die weit nach Lee ausweht, an Deck. Dann das Großsegel.
Damit ist zumindest der Winddruck aus dem Boot. Wie durch Wunderhand hat auch der Wind wieder etwas abgeflaut. Trotzdem treiben wir inzwischen parallel zum Netz und ich fürchte, dass das Boot weiter in das halb lose Netz verheddert wird. Mit dem Bootshaken versuche ich, die Schwimmleine unter dem Ruder durchzudrücken. Durch den aufprall des Kiels ist das Netz selbst bereits gerissen. Aber die Schwimmer halten die Leine oben. Sollen sie ja auch. Nur jetzt gerade könnten sie auch mal eben untergehen.
Mögliche Befreiungspläne schießen mir durch den Kopf. Schlauchboot aufblasen und dann mit dem Bootshaken die Leine unterm Ruder durchdrücken. Per Funk Schlepphilfe rufen, denn den Motor kann ich so dicht am Netz nicht anlassen. Wenn unterm Schiff das lose Netz treibt, kann es leicht passieren, dass der drehende Propeller sich verheddert. Und das wäre richtig schlecht.
Aber für beide Lösungen fehlt mir die Zeit. Die Sonne wandert schon dem Horizont entgegen, in weniger als drei Stunden wird es dunkel. Und dann wird das mit dem Befreien schwierig. Zumal der Wind schon jetzt auflandig weht. Und im Lauf der Nacht soll es laut Wetterbericht auffrischen, bis wir dann morgen früh 5-6 Windstärken haben. Auflandig. Worst Case: Das Boot wird auf die Steine beim Reddevitzer Höft getrieben und dort vom Starkwind aufgerieben. Das wäre nicht zuletzt auch für mich selbst gefährlich.
Kurz entschlossen hole ich von unten ein Segelmesser. Mit dem Bootshaken zerre ich die Schwimmleine am Heck an Bord und belege sie luvseitig auf der Achterklampe. Jetzt sehe ich auch, dass das Netz durch den Aufprall wirklich komplett zerrissen ist. Ob ich jetzt noch die Schwimmleine durchschneide oder nicht, ist dann wohl auch egal. Also schneide ich. durch den Winddruck kommt die Lufseite bald auf Spannung. Das Netz ist ja verankert. Das lose hole ich mit dem Bootshaken unter dem Rumpf durch, führe es nach vorne zum Bug und werfe es ins Wasser. Dann geht achtern auch der andere Rest der Leine, der jetzt ziemlich auf Spannung ist, los, und Aimé schwimmt wieder frei. Mit ziemlich Muffensausen starte ich den Motor. Es müsste alles frei sein da unten, aber who knows for sure? Mit dem Heck voran und langsamer Drehzahl ziehen wir uns vom Netz weg. Es klappt! Mir fällt ein ziemlicher Stein vom Herzen.
Allerdings sind um uns rum immer noch einige Fähnchen. Vorsichtig nähern wir uns der nächsten Netzlinie. Von Schwimmern ist nichts zu sehen. Auch als die Fähnchen querab sind. In einigem Sicherheitsabstand setze ich wieder die Segel. Puh. Es kann weitergehen. Kurz darauf setze ich noch einen Funkspruch an alle Schiffe ab, die in der Nähe unterwegs sind, um vor dem schwimmenden kaputten Netz zu warnen.
Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Schließlich bin ich von der Fahrwassertonne straight zur Ansteuerungstonne gefahren. Und da liegt so ein Netz rum? Erst später sehe ich auf der Seekarte, dass hier das Fahrwasser nicht zur Ansteuerungstonne läuft, sondern ein kleines Stück nördlich davon. Unglückliche Tonnenführung.

Nachtankunft, allein Zwei Stunden später sind wir immer noch mitten auf dem Bodden. Der Wind ist abgeflaut, die Sonne hinterm Horizont verschwunden. Ich richte mich auf eine Nachtansteuerung ein. Lege den Suchscheinwerfer bereit, werfe nochmal einen Blick auf die Karte und überlege die unproblematischste Route. Esse noch einen Keks. Mache ein paar Bilder. Und sitze dann im Cockpit, am Ruder, während langsam der Tag geht, die Nacht kommt. Als der Wind ganz weg ist und der Bodden wie spiegelglatt daliegt, berge ich die Segel. Die letzten Meilen machen wir unter Motor. Die Lichter der Tonnen und der Ansteuerung sind gut auszumachen. Trotzdem ist es komisch, so ins Dunkle zu fahren. Dabei denke ich erstaunlicherweise gar nicht an die Fischernetzepisode vom Nachmittag. Das bleibt irgendwie verdrängt. Viel stärker ist die Erinnerung an den letzten Nachttörn im Sommer auf dem Weg von Danzig nach Greifswald. Was ein sehr schöner Törn war. Ich bleibe also auch gelassen. Nach Hause werden wir kommen.
Das letzte Stück wird nochmal aufregend. Ich folge dem Leitfeuer, und es ist immer wieder unheimlich, wenn dann die unbeleuchteten Fahrwassertonnen irgendwann neben dem Schiff auftauchen. Bei der Einfahrt kann ich noch den Suchscheinwerfer ausprobieren. Die Baustelle im Fahrwasser (man baut hier ein Sperrwerk gegen die durch den Klimawandel verschärften Hochwasser) ist kaum beleuchtet.
Das Anlegemanöver zelebriere ich ein bisschen. Zeige mich im Hafen, zeige, dass ich alleine unterwegs bin und gerade meine erste Nachtansteuerung solo absolviert habe. Außer ein paar Anglern, die von der Kaimauer aus ihre Blinker ins Wasser werfen, ist aber keiner da. Bleibe ich also ein einsamer Held. Und lege einfach an.

Hier gibt es ein paar Bilder von der Tour.

23. Nov. 2012

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