Ozeansegeln. Reiseaufzeichnungen

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Am frühen Morgen, als ich aufwache, ist es draußen noch dunkel. Es ist sieben Uhr, Sonnenaufgang ist um halb neun. Ich schalte die Heizung an und lege mich nochmal hin. Seit ich extra für diese Reise einen Kohlenmonoxidwarner besorgt habe, traue ich mich, die Heizung auch laufen zu lassen, wenn ich in der Koje liege. Allerdings sollte ich wahrscheinlich den Warner nicht unter einem Haufen schmutziger Wäsche vergraben..
Um acht wache ich zum zweiten Mal auf. Geplant ist, dass ich um neun Uhr ablege, damit ich rechtzeitig um zwanzig nach drei an der Brücke in Stralsund bin. Ich freu mich auf einen Drink und was warmes zu essen in der älstesten Hafenkneipe der Welt. Und der Wind weht aus Südwest, das bedeutet einmal quer über den Greifswalder Bodden kreuzen, dann am Wind durch den östlichen Strelasund, und durch die Schlangenlinien nochmal kurz kreuzen. Das braucht Zeit.
Um neun Uhr wache ich zum dritten Mal auf. Bin gar nicht überrascht. Will einfach nur liegenbleiben. Überlege kurz, ob ich das Treffen in Stralsund woanders hin verlegen kann, nach Sassnitz, oder nach Greifswald, einen Ort jedenfalls, wo ich erst morgen hinfahren kann. Aber was soll's. Ich bin schon oft durch die Dunkelheit gesegelt, und die Gegend hier kenne ich gut. Jetzt im Winter ist auch niemand sonst unterwegs, und Fischernetze habe ich auch noch keine gesehen. Die Brücke geht um zwanzig nach fünf nochmal auf. Also reicht es doch, wenn ich um elf ablege.
Um elf Uhr -- wache ich nicht zum vierten Mal auf, sondern lege tatsächlich ab, nachdem ich freundlich die angebotene Hilfe abgelehnt habe. Was mit einem Satz quittiert wurde, den ich immer noch nicht ganz verstanden habe: "Man sollte jetzt auch nicht ins Wasser fallen." Wie ist das gemeint? Dass die helfende Person Gefahr läuft, ins Wasser zu fallen? Dass ich vielleicht ins Wasser falle, wenn jemand mir hilft? Oder wirklich als ganz allgemeiner Satz, dass man in wenige Grad warmes Wasser besser nicht fallen sollte, weil die lebensnotwendigen Organe nach weniger als zehn Minuten ihren Geist aufgeben, vorausgesetzt man hat eine Rettungsweste an und ist nicht vorher schon ertrunken, weil die Muskeln sofort krampfen?
Meine Überlegung zum Liegeplatz hat sich jedenfalls gelohnt. Der Wind drückt das Boot weg vom Steg. Ich starte den Motor, lege das Boot in die Vorspring. Es braucht schon ordentlich Druck vom Motor, um sich am Steg zu halten. Dann nehme ich die restlichen Leinen ab, steige an Bord, nehme einmal Gas weg, löse die Vorspring und los geht's. Fender und Leinen verstaue ich, während wir noch im Hafenbecken treiben.
Es weht in Böen schon recht ordentlich, deshalb habe ich vorhin am Steg die Starkwindfock angeschlagen und das Großsegel ins zweite Reff gesetzt. Angesagt sind vier Beaufort, zunehmend fünf bis sechs. Lieber etwas langsamer starten und einen Segelwechsel sparen. Ausreffen geht außerdem recht schnell. Aber schon auf dem Weg zum Fahrwasserausgang (ich fahre vom Hafen bis zum Ausgang unter Motor, weil der Wind direkt von vorne kommt und an einer Stelle am Ausgang zum Bodden recht wenig Platz zum Kreuzen ist) kommen Zweifel. Besser wäre wohl das größere Amwindsegel gewesen. Ich setze trotzdem das kleine Vorsegel und setze das Groß direkt ins erste Reff, anstatt ins zweite. Damit machen wir ausreichend Fahrt, vier bis fünf Knoten. Ich bin allein und es ist okay, eher defensiv zu fahren. Blöd nur, dass die Brückenwärter darauf keine Rücksicht nehmen. Es ist 13 Uhr, als ich die erste Wende mache. Noch etwa neun Meilen direkt gegenan liegen vor mir, was etwa 13-14 Meilen gesegelte Strecke bedeutet. Danach nochmal gut zehn seemeilen bis Stralsund. Am Morgen habe ich etwas über optimism bias gelesen. Demnach sieht mensch die Zukunft meist eher positiv, und Zeichen, die auf Besserung deuten, werden stärker gewichtet als solche, die Probleme ankündigen. Besonders vorteilhaft ist dieser Optimismus nicht. Jedenfalls nicht für mich, mitten auf dem Bodden, bei der Kopfjonglage mit Optionen und einem kürzer werdenden Zeitbudget.
Ich versuche also realistisch zu werden. Wind kommt von vorne, wir fahren eher vier als fünf Knoten, ich bin fit, aber kann mich nicht ewig warmhalten, zumal die Kälte auf Amwindkurs nochmal stärker reinhaut als auf anderen Kursen. Zwei Möglichkeiten bieten sich an: zurück nach Wieck fahren und entweder vor dem Hafen ankern oder in den Hafen gehen. Nach Wieck sind es etwa zehn Seemeilen, die wir am Wind anliegen können. Zweieinhalb Stunden, bis Sonnenuntergang zu schaffen. Zweite Option: In den Strelasund einfahren und sehen, wie weit ich komme. Die erste Anlaufmöglichkeit in dieser Richtung ist Stahlbrode, danach gibt es noch eine Bucht, die zwar sehr weitläufig ist, bei Südwestwind kann man dort aber durchaus gut ankern.
Entschieden werden muss das erst nach der nächsten Wende. Also schalte ich den Autopiloten aus, um selbst eine Weile zu steuern und etwas ruhiger zu werden. Was soll schon passieren. Im schlimmsten Fall wird es dunkel, der Wind frischt auf, der Motor springt nicht an, aber was solls? Ich kenn mich doch aus hier im Revier!
Ich werde etwas ruhiger, nachdem ich mir konkret vorgestellt habe, dass es dunkel wird und was dann zu tun ist. Lichter einschalten, Navigation häufiger checken, konzentriert weiterfahren bis zum nächstmöglichen Ziel. Als ich mich schon freue über den schönen Tag -- denn es ist ein wunderbarer Segeltag, nur schade, dass er so kurz ist -- und den guten Plan, bis Sonnenuntergang wenigstens Stahlbrode anzulaufen, wird der Wind deutlich weniger. You gotta be kidding me. Aber in Luv färbt sich das Wasser schon wieder dunkler und nach einer Viertelstunde legt sich Aimé wieder auf die Seite, nimmt Fahrt auf und weiter geht es. Am Osteingang Strelasund muss ich sogar das Großsegel ins zweite Reff setzen. Wie üblich weht es hier mit einer guten Windstärke heftiger als auf dem Greifswalder Bodden. Macht aber nichts, bringt uns gut voran. Nach zwei weiteren kurzen Schlägen biegen wir in den Strelasund ein. Der Wind hat etwas weiter südwestlich gedreht, sodass wir Stahlbrode gut anliegen können. Und mit einem Schrick in den Schoten beschleunigt das Boot auf konstant sechs Knoten. Yes. Die Sonne nähert sich dem Horizont. In der Planungsphase am früheren Nachmittag war ich unsicher, ob die Sonne nicht vielleicht erst um halb fünf untergeht. Irgendwie hatte ich das doch in den Grib-Daten gelesen, 15.25 UTC, als kurz vor halb fünf hiesige Zeit. Aber das wäre schon sehr spät, gestern war es schließlich um fünf stockfinster. Weil ich zwar ein Telefonsignal habe, aber keine Daten empfangen kann, schreibe ich schnell eine Nachricht an A., der sowas immer gleich schnell nachschauen kann. 15.51 MET ist die Sonne weg.
Aber jetzt ist das kein Problem mehr, die Ankunft ist absehbar, mit dem guten Speed sind wir in einer Stunde da, etwa zwanzig Minuten nach Sonnenuntergang. Ich stelle mich entspannt ins Cockpit, das Boot fährt und ich schaue den Wellen zu, den Wolken, halte mein Gesicht in die Sonne. Der Himmel hat aufgeklart, nur in der Ferne hängen ein paar Schleierwolken, die später, als die Sonne weg ist, noch lange ihr rotes Licht reflektieren.
Um kurz nach vier passieren wir Stahlbrode. Hier wollte ich immer mal einen Stop machen, einfach, um den Hafen zu sehen. Aber vielleicht muss das auch nicht heute sein. Zwei Böller, die irgendwo an Land explodieren, erleichtern die Entscheidung. Bis zur Ankerbucht sind es nocht etwa zwei Seemeilen. So dicht unter Land segelt das Boot zwar nicht mehr so schnell, aber in einer halben Stunde sollten wir das schaffen, und solange, schätze ich, leuchtet uns die Dämmerung noch mit einem Rest Licht.
Um kurz nach halb fünf fällt der Anker auf drei Metern Tiefe. Leider sehr weit weg vom Ufer, wie ich später auf dem Kartenplotter nachmesse. Da war ich wohl etwas zu vorsichtig. Vor drei Jahren sind wir im Strelasund mal auf einen Stein gefahren, seitdem bin ich, was die Ufer hier angeht, etwas vorbelastet. Deshalb liegen wir jetzt gut vierhundert Meter vom Ufer weg. Was aber nicht schlimm ist, flach genug zum guten Ankern ist es trotzdem. Und immerhin sind wir näher am Ufer als an der Fahrrinne. Abenteuerlich ist es dennoch. Vor Anker, im Winter, bei winterlichem Südwestwind mit vier bis fünf Beaufort. Und vor einer Woche etwa saß ich noch im gut geheizten Büro am Schreibtisch, und lag in meinem warmen Bett in einer warmen Wohnung, saß auf einem blauen Sofa, lief durch die Straßen mit festem Untergrund. Hier? Nur Wasser, Dunkelheit, Wind, der in den Wanten pfeift, draußen beim Blick nach oben die Sterne so hell, dass die Milchstraße gut zu erkennen ist, das Gluckern der Wellen am Rumpf, wenn das Boot sich dreht, das Rauschen der Heizung und der sirrende Ton des Windgenerators, der die Verbraucherbatterie laden muss, weil ich das Ankermanöver ohne Motor gemacht habe. Es geht schon. So geht es schon.
Später dann, nach dem dringend notwendigen Essen, E-Mail vom Hafenamt Greifswald: Die Brücke in Wieck öffnet wieder ab dem 2.1. Ich soll mich anmelden, wenn ich durch will. Das ist doch absehbar. Denn das ist noch eine Erkenntnis (die ich schon wusste, aber, eben, optimism bias): Segeln im Winter ist unglaublich anstrengend. Ich freu mich auf den Jahreswechsel an Bord, aber danach gehts zurück in die Box und das Boot wird wirklich eingewintert.

29. Dec. 2016

Im Winter segeln ist saukalt
Anfangs hatte ich große Pläne für diese Tour, zwei Wochen wollte ich unterwegs sein, bis Gotland segeln und wieder zurück, durch die Nacht, durch Eis und Sturm, und zwischendurch immer mal davon schreiben und am Ende einen tollen Erfahrungsbericht zum Wintersegeln zusammenstellen. Die lange Fahrt hatte sich schon erledigt, bevor es losging, aber das ist normal: Bis zum Ablegen gibt es immer mehrere Downsizings. Rund Rügen wäre jetzt toll, muss aber nicht. Ich bin unterwegs, das ist alles. Und eigentlich sind alle wichtigen Daten für den Erfahrungsbericht schon gesammelt:

Im Winter

  • gibt es Stürme mit Orkanböen, die selbst im Hafen schon sehr unangenehm sind
  • haben die Häfen kein Frischwasser und keinen Strom (ausgenommen Wieck: da gabs Strom)
  • friert Wasser zu Eis, auch an Deck
  • ist segeln vor allem eins: saukalt
Dabei war es von den Temperaturen her und auch sonst ziemlich mild. Fünf Grad über Null, bedeckt, schwacher Wind aus Nordwest. Aufstehen war trotzdem, wie jeden Morgen, schwer und hat etwa eine Stunde gedauert. Als die Sonne um halb neun über den Horizont kam, schob ich erst die Beine und dann den Rest aus dem Bett nach draußen. Mit Landstromglück den Wasserkocher in Betrieb gesetzt, Kaffee in wenigen Minuten, dann Heizlüfter an, fast komfortabel. Zum Frühstück kein Müsli wie geplant, sondern zwei Stück Marzipanstollen, weil die Fahrt nur quer übern Bodden, fünfzehn Seemeilen, kein Problem.
Nach dem Frühstück alles seefest verstauen, wer weiß was da kommt. Angesagt ist schwacher Wind aus Nordwest, 15 Knoten in den Böen. Trotzdem habe ich mir angewöhnt, immer alles so zu verstauen, dass es auch dreißig Knoten in Böen und hohe Wellen geben kann. Nicht ganz sturmfest, aber bereit für Starkwind.
Die Batterien sind gut aufgeladen, der Motor sollte starten. Ich bin gespannt. Erstmal gehe ich an Deck, um die Segelpersenning einzupacken und das Vorsegel anzuschlagen. Und traue meinen Augen nicht. Das Vorschiff ist komplett überfroren, nur ganz an der Seite, wo schon ein wenig Sonne hinkommt, verlaufen sich ein paar Wassertropfen. Damn. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber klar. Bodenfrost = Deckfrost. Weil das Deck an den Seiten geneigt ist, kann ich nur dort meinen Fuß hinsetzen, wo er seitlich von einem Beschlag oder vom Süll gehalten wird. Ich balanciere vorsichtig nach vorne, befestige den Karabiner fürs Vorsegel. Ziehe die Schoten ein, die noch unter Deck gelagert waren. Packe erstmal die Großsegelpersenning weg, die noch gefrostet ist. Hole dann das Vorsegel an Deck und schlage es an, bringe die abgespannten Fallen und die Dirk an den Mast. Fertig. Vier Monate nach der letzten Segelfahrt ist das Boot wieder fahrbereit. Das denke ich glücklicherweise nicht in der Situation selbst, bin viel zu aufgeregt. Das fällt mir erst jetzt beim Aufschreiben *after the fact* ein. Die Reise nach Norwegen hat im Vergleich zu dieser Bodden-Winter-Tour ja schier epische Ausmaße.
Ich starte den Motor. Der Anlasser muss länger drehen als vom Sommer gewohnt, aber der Motor springt an. Ich bin erleichtert. Hoffe dabei, dass diese lange Startphase nicht die Batterie wieder ausgelaugt hat und das nachher unterwegs Probleme macht. Dann steige ich an Land, mache alle Leinen los, schiebe das Boot ein wenig vom Steg weg und steige dabei mit ein. Die Sonne hat inzwischen den Frost getaut, ich kann mich wieder gut auf Deck bewegen und packe zügig Fender und Leinen weg, nehme Kurs auf die Hafenausfahrt und lege den Vorwärtsgang ein.
Der Greifswalder Bodden zeigt sich in abgetönten Pastellfarben. Der Himmel ist bedeckt, das Licht mehr ein Zwielicht, der Ausleger der Hafenmole, die aufgeschütteten Steine an Steuerbord, die Fahrwassertonnen wirken wie weichgezeichnet, ohne klare Konturen. Ganz leicht kräuselt sich die Wasseroberfläche, der Wind weht nur schwach. Ich drehe den Bug nach Luv, stabilisiere den Kurs fast gegen den Wind und setze die Segel. Das Boot neigt sich leicht zur Seite, als ich abfalle und die Schoten anhole. Wir nehmen Fahrt auf, ich stoppe den Motor, Wasser gluckert am Rumpf. Ein herrlicher Moment.
Ich steuere von Hand. Will den Autopilot noch nicht einschalten. Wir lassen die Ecke bei Ludwigsburg an Steuerbord, segeln parallel zur Fahrrinne. Auf Höhe der beiden alten Plattformen kommt uns ein Schiff der Bundespolizei entgegen. Ich denke darüber nach, dass man dort mit dem Fernglas mir wahrscheinlich direkt ins Gesicht schaut. Mache ein grimmiges Gesicht. Und bin etwas verwirrt über diese Mischung aus Angst vor Überwachung und narzisstischem Geltungsdrang. Hoffentlich haben sie mich gesehen! Und gedacht: Mensch, das ist ja mutig, toll, abenteuerlich, um die Zeit mit dem Segelboot rauszufahren. Das ist sicher ein sehr erfahrener Skipper etc. pp. (Wahrscheinlicher ist: Meene Jüte, der kann 'n Kopp o' ni voll krien, wa?)
Der Moment geht vorbei, ich schaue durch die Gegend, suche nach der Ruhe, die ich doch hier draußen finden wollte. Bin aber noch aufgeregt. Was, wenn der Motor streikt? Wenn der Wind auffrischt? Wenn es anfängt, zu schneien? Für den Fall, dass der Motor streikt, muss ich eben unter Segeln irgendwo rein. Nach Wieck oder nach Gager, je nachdem, was in dem Moment näher ist. Denn wir segeln langsam. Machen im Schnitt nur drei Knoten. Weil die Tage sehr kurz sind, ich aber ungern im Dunkeln ankommen will, heißt das, dass wir die drei Knoten nicht unterschreiten sollten. Falls doch, dann müssen wir motoren. Und wenn dann der Motor nicht anspringt - Plan B.
Zwischendurch lockern sich die Wolken direkt über mir etwas auf und ich kann den blauen Himmel sehen. Die Wolkendecke liegt sehr tief, und über Land sinkt sie noch tiefer, sodass die Küste zum Teil im wolkigen Dunst verschwindet. Von Backbord schiebt sich langsam ein Frachter an uns vorbei. Laut AIS ist er an Silvester in Hull, England. Er passiert mit großem Abstand.
Kurz vor der Untiefe Groß-Stubber schralt der Wind. Ich falle ab und fluche, ein wenig fassungslos. You gotta be kidding me. Aber der Wetterbericht! Zehn Minuten später dreht der Wind wieder zurück, wir sind wieder en route. Die Untiefe lassen wir gut an Steuerbord. Der Wind zieht wieder etwas an und beschleunigt uns auf vier Knoten. Den Autopiloten habe ich schon vor einer Weile eingeschaltet. Am Navigationstisch ertappe ich mich dabei, dass ich Dinge überlege, die nicht übelegt werden müssen, jedenfalls nicht jetzt, um noch ein wenig unten zu bleiben, anstatt oben nach den Segeln zu sehen. Außer den Berufsfahrern begegnen mir keine anderen Boote, Kollisionsgefahr ist also eher gering. Fischernetze sehe ich auch keine. Man gönnt den Fischen auch ein paar Tage Weihnachtsferien. Deshalb kann ich mir ein paar Minuten mehr unter Deck eigentlich auch leisten. Dass der Greifswalder Bodden so leer ist habe ich einfach noch nicht erlebt, deshalb ist mein Achtsamkeitslevel unangemessen erhöht.
Kurz hinter der Ansteuerungstonne Zicker schläft der Wind ein. Wir treiben mehr als wir fahren. Aber ich will den Motor noch nicht starten. Einmal wegen der Sorge, dass er nicht anspringt (eine kontraintuitive Begründung), vor allem aber, weil jetzt, in der Stille, von überall her die See- und Schwimmvögel zu hören sind. Um uns herum, in etwas Entfernung, sind mehrere Gruppen und Schwärme, und alle rufen und singen sie in einem fort. Die Muster sind recht einfach, jedenfalls erkennbar. Immer wieder aber werden einzelne Töne variiert, oder eine arme Vogelkehle trifft diesen hohen Abschlusslaut nicht richtig. Irre ist das Sounderlebnis, completely 3D.
Schließlich starte ich doch den Motor. Er startet ohne Probleme, deutlich schneller als noch am Morgen. Vielleicht weil es jetzt am Tag etwas wärmer ist? Ich berge die Segel und nehme Kurs auf das Fahrwasser in Richtung Gager. Ich kenne die Strecke und muss nur einmal in die Karte schauen, um mich zu vergewissern. Im Moment ist auch etwas mehr Wasser im Bodden, der Wasserspiegel ist etwas zwanzig Zentimeter über Normalnull, sodass die heikle Stelle mit 1,8 Metern für uns sogar befahrbar wäre.
Bis zum Hafen mache ich mir Gedanken, wie ich das Boot am günstigsten platziere, damit ich morgen beim erwarteten Südwestwind einfach ablegen kann. Entweder längsseits an die Mole, oder längsseits an einen der Schwimmstege, auf die Ostseite, und rückwärts anfahren, damit ich morgen vorwärts losfahren kann. Weil es im Hafen windstill ist, wähle ich die zweite Option. Die Schwimmstege sind aus Holz, und bei der Mole hätte ich Probleme mit den Fendern. Also rückwärts angefahren, dann aufgestoppt, ein kleines Stück vorwärts, aufstoppen, das Auge der Leine vom Boot aus über den Poller geworfen, festgemacht, Vorwärtsgang, Boot liegt stabil. Leinen fest.
Alleine ist das alles wirklich mehr Arbeit als zu zweit, denke ich beim Einpacken der Segel. Muss ich halt mehr Zeit einplanen. Downsizing.
Und jetzt? Jetzt läuft die Heizung. Sie hat etwa eineinhalb Stunden gebraucht, um es hier angenehm warm zu machen. Angenehm warm zumindest mit langen Unterhosen, zwei Pullovern und dicken Wollsocken an.

28. Dec. 2016

Wintersegeln (vier Monate später)
Heute nachmittag hat der Sturm endlich nachgelassen. Jetzt ist das Wasser ruhig, Aimé schaukelt ganz leicht in den Spuren einer Dünung, die hier im Hafen zwischen den Molen reflektiert werden. Die Nacht war anstrengend, obwohl wir im Hafen liegen. Die Sturmböen drückten das Boot weit über, ließen es zum Teil heftig in die Leinen einrucken. Manchmal, wenn die Böen im richtigen Abstand kamen, schaukelte sich das Boot richtig auf. Ich lag achtern in der Koje, konnte kaum schlafen, wachte oft schreckhaft auf, atmete unruhig. Gegen halb fünf Uhr morgens dann ein lauter Schlag, aber nicht von draußen, aus dem Salon, irgendwas ist runtergefallen. Ich gehe nach vorne und schau nach. Das Geschirr, das noch neben der Spüle stand, ist zusammen mit dem Spülmittel mit Karacho gegen die Wand gerutscht. Ich verstaue alles, auch die Sachen, die noch auf dem Tisch stehen, schön seefest, damit bei der Krängung nicht doch noch irgendwas runterfällt und kaputt geht. Im Hafen. Was habich mir nur vorgestellt als ich gesagt habe: Wintersegeln. Aber der Reihe nach.
Vor vier Monaten sind wir aus Norwegen wieder zuhause angekommen. Seitdem gab es kaum Zeit, die Reise fertig aufzuschreiben. Es fehlen noch die Geschichten von unserem letzten Stop vor der südnorwegischen Küste in einem Archipel von seltsamen, wie traumhaft geformten Steinen und Felsen, von unserer epischen Nonstopfahrt übers Skagerrak, durchs Kattegat und bis in den Sund, von den Delphinen, die uns begleiteten, und schließlich auch von unserer Rückkehr in heimische Gewässer. Stay tuned. Erstmal aber: Wintersegeln.
Seit unserer Rückkehr war ich nur einmal noch kurz beim Boot, irgendwann im September, um alles für eine längere Pause zu sichern. Danach consumed durch Angelegenheiten an Land, an Orten, die mehr als fünfhundert Kilometer von jeder Küste entfernt sind. Das ganz konkrete Meer, das, auf dem echte Boote segeln, gerät dort gerne in Vergessenheit. Vorstellungen und Träume bleiben aber. Deshalb sitze ich inzwischen wieder hier an Bord und suche nach einem Einstieg.
Wintersegeln. Wollte ich immer schon machen. Und wann, wenn nicht nach einer Reise zum Polarkreis? Dortselbst war es zwar warm, aber unterwegs war es oft sehr kalt. Und ein wenig bin ichs auch von früheren Jahren gewöhnt, weil ich immer mal wieder im Winter einige Nächte an Bord war. Und das Boot seit drei Jahren den Winter über im Wasser bleibt. Dieses Jahr wollte ich es also wahrmachen. Weihnachten und Silverster unterwegs. Also blieb nach der Sommerreise das Rigg gespannt, Fallen und Reffleinen blieben eingeschoren, nur das Großsegel kam unter Deck und die Persenning drauf. Ach ja, und die Sprayhood musste weg, weil die Montagestellen rosteten. Die Neukonservierung schaffte ich im September, neu montieren konnte ich noch nicht. Also keine Sprayhood. Aber wir sind viele Jahre ohne gesegelt, das Gefühl ist schon bekannt.
Schon für die Vorbereitung der Reise hatte ich mir einiges vorgenommen. Ich wollte fit sein unterwegs, um Kälte und Anstrengung gut auszuhalten, und dafür laufen und schwimmen gehen. Und ich wollte mir genau überlegen, was Kälte bedeutet und was ich dafür brauche. Beides rechtzeitig. Natürlich kam es wie so oft. Entkräftet durch zuviel Arbeit, überhaupt nicht fit wegen zuwenig Sport und ohne die ganze Sache gut durchdacht zu haben kam der 23.12., der Tag, an dem das Boot durch die Brücke musste, die danach für zwei Wochen zu bleibt. Zusammen mit L. fuhr ich früh morgens nach Greifswald. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Boot kauften wir noch Wasser und Fressalien ein für die kommenden Tage. Es war toll, das Boot nach so langer Zeit überhaupt mal wieder zu sehen. Lag da, als sei nichts gewesen, mit den Leinen alles okay, mit der Persenning alles okay. Das Deck mit alten Blättern und Vogelscheiße verdreckt, wie üblich, ansonsten aber war alles so, wie wir es verlassen hatten. Wir bauten die Persenning ab, schrubbten das Deck ordentlich. Peilten die Brücke um eins an, die vorletzte Öffnung des Jahres.
Um zwölf öffnete ich die Tür zum Motorraum. Sichtprüfung. Mein Blick blieb am Spannungsmesser für die Starterbatterie hängen. Die Nadel stand bei vier Volt. Damn. Adrenalin. Tausend Gedanken. Scheiß Billigbatterie, was mach ich jetzt Silvester?, kriegen wir das noch hin?, wie hab ich das damals gemacht als ich den Motor mit der Verbraucherbatterie starten wollte?, hat das damals überhaupt funktioniert? usw. Bäm. Ohne Motor geht nix. Keine Brücke, kein Segeln, kein Winter, nix.
Die Brücke um eins schaffen wir nicht. Aber es gibt ja noch eine um drei. Wir legen Landstrom, schalten das Ladegerät ein. Die Batterie wird nicht erkannt. Umschalten des Ladegeräts auf Konstantspannung hilft. Das Ladegerät dient dann einfach als Netzgerät und misst nicht gleichzeitig noch den Ladezustand der Batterie, es wird einfach Strom geliefert. Auf diese Weise laden wir eine dreiviertel Stunde. Die Starterbatterie hat nur knapp fünfzig Ampèrestunden (ja, ist zu klein, ich weiß), sollte also in zwei Stunden ausreichend voll sein, um den Motor zu starten. Unter normalen Umständen jedenfalls. Nach einer Stunde, es ist bald zwei Uhr, schalten wir das Ladegerät ab. Der Spannungsmesser zeigt elf Volt. Ein Fortschritt. Reicht aber nicht zum starten. Ich schalte das Ladegerät wieder in Ladebetrieb, diesmal wird die Batterie erkannt. Zeitlich wird das wahrscheinlich nicht reichen. Welche Lösungen gibt es noch?
Von Hand starten, mit der Kurbel, wollte ich immer schon mal ausprobieren mit diesem Motor. Hab ich bisher nicht gemacht, warum auch immer. Könnte ja durchaus mal nützlich sein. Heute zum Beispiel. Die Kurbel liegt seit Jahren immer griffbereit. Ich öffne die Ventilhebel, setze die Kurbel an, bringe das Rad auf Schwung. Aber bevor L. die Ventilhebel schließen kann, springen die ersten beiden von selbst zurück und die Kurbel stoppt. Soviel Kraft hab ich nicht. Keine Ahnung, warum das so passiert. Leider auch keine Zeit, um das irgendwo nachzulesen. Also nächste Option.
Wir lassen das Ladegerät laufen, während der Startknopf betätigt wird, in der Hoffnung, dass der zusätzliche Strom reicht, um den Motor zu starten. Eine schlechte Idee. Das Ladegerät schaltet sich sofort selbst aus, die Batterie stürzt kurzzeitig auf fünf Volt, Motor dreht nur sehr müde. Es ist viertel nach zwei. Wenn wir um halb drei nicht loskommen, ist die Nummer gelaufen. Nächste Option.
Ich baue das Ladekabel, das vom Ladegerät zur Starterbatterie läuft, so um, dass die Verbraucherbatterie den Anlasser bedient. Beim Basteln merke ich, dass ich wohl, als ich das vor vielen Jahren gebaut habe, schon bei der Installation an diese Notlösung gedacht haben muss. Die Verkabelung mit den Unterbrechungsschaltern und den verschiedenen Stormquellen ist so gemacht, dass es reicht, das Ladekabel vom Ladegerät einfach an die Verbraucherbatterie anzuschließen und mit dem Batterieschalter die Starterbatterie vom ganzen Kreis zu trennen. Weil das beim letzten Mal, als ich das versucht habe, nicht so richtig gut lief, so zumindest meine dunkle Erinnerung, öffne ich die Ventilhebel, dann startet L. den Motor, der Anlasser dreht, die Ventilhebel springen von alleine zurück, es ruckelt und zuckt ein wenig, der Auspuff hustet, dann springt der Motor an und - läuft. Unglaublich. Es ist fünf vor halb drei. Keine Zeit, um zu überlegen, ob es vielleicht besser wäre, unter diesen Umständen nicht raus zu fahren, weil diese Notlösung alles andere als zuverlässig ist. Wir packen das Landstromkabel weg, werfen die Leinen los, fahren aus der Box und nehmen Kurs Richtung Brücke. Wir sind prima in der Zeit.
Während L. oben den Fluss entlang steuert, schließe ich unten die Starterbatterie wieder an den Ladekreislauf an, damit sie jetzt, unter Motor, weiter geladen wird. Pünktlich um zehn vor drei sind wir an der Brücke. Die Brückenwärter hatten am Telefon - ich wollte sicher gehen, dass die Brücke auch wirklich aufmacht um drei - in einer Mischung aus drohend und bittend gesagt, dass wir auf jeden Fall pünktlich sein sollen. Ich winke ihnen kurz zu und wünsche mit ehrlichen Gedanken eine frohe Festzeit.
Und dann sind wir plötzlich durch, fahren durch den Hafen von Wieck, überlegen, ob das Boot besser längsseits vor dem Hafenamt oder in einer Box liegt. Längsseits ist besser. So komme ich bei den zu erwartenden westlichen Winden alleine besser los.
Am Abend gehts zurück nach Berlin. Erst am 25. bin ich wieder an Bord, diesmal allein. Eigentlich hatte ich geplant, am 26. früh aufzubrechen nach Rügen, um dort das angekündigte Sturmtief im Hafen abzuwarten. Aber das Tief zieht schneller als gedacht, und auf dem Greifswalder Bodden weht es mit sechs Beaufort, in Böen mehr. Kein gutes Setting, um das erste Mal seit langer Zeit alleine loszufahren. Natürlich schwanke ich bis zuletzt und überlege, ob ichs nicht wagen soll. Aber am Ende überwiegen Furcht und Sicherheitsüberlegungen. Es ist die richtige Entscheidung.
Inzwischen hat der Wind deutlich abgeflaut. Ich freue mich auf eine ruhige Nacht. Morgen geht es quer über den Greifswalder Bodden. Ein kurzes Stück, genau richtig, um auszuprobieren, wie es sich anfühlt, bei Temperaturen etwas über dem Gefrierpunkt zu segeln. Ich bin aufgeregt. Wintersegeln. Stay tuned.

27. Dec. 2016

Last Chance to Party
In Kopervik sprachen uns an einem Abend noch zwei nicht mehr ganz nüchterne Typen an, die mit ihrem Boot, einer schnittigen kleinen Segelyacht, gegenüber am Steg lagen. Sie fragten nach woher, wohin und wir fragten das Gleiche. Für die Regatta seien sie hier, die am nächsten Tag starten solle, erst mit einem Lauf auf dem Sund vor Kopervik, am Nachmittag dann mit einem Streckenrennen von Kopervik nach Haugesund. Dort sei ein großes internationales Jazzfestival mit vielen guten Konzerten, noch das ganze Wochenende (es war Freitag). Wir sollten unbedingt nochmal zurück fahren, um das Festival mitzukriegen. Für mich ein absurder Gedanke, nochmal zurück zu fahren, waren wir doch in den vergangenen Tagen so gut unterwegs gewesen, fokussiert auf ein zügiges Nachhausekommen. Aber dieses Bestehen darauf, dass wir dieses Festival auf keinen Fall verpassen dürfen, machte zumindest klar, dass es ihm ganz wichtig war.
Die beiden waren am Tag von Stavanger nach Kopervik gesegelt. Bald kam die Frage auf, ob wir in Stavanger vorbei gekommen seien, und als ich das verneinte, brach der Lokalpatriotismus sich in einer fast wüsten Beschimpfung Bahn: What, you didn't go to Stavanger? You are a fucking moron!
Was kumpelhaft gemeint war, empfand ich dann aber doch als ein wenig zu grob. Konnte aber auch sehen, dass er selbst von seiner Wortwahl etwas überrascht war. Und verstand auch, dass dieser inszenierte outcry eigentlich nur eine gesteigerte Form des üblichen Lobes verschiedener Orte war, das hier in vielen Gesprächen früher oder später stattfindet. Ab und an wurde uns dann erzählt, wo wir unbedingt hinfahren müssten wegen diesem und jenem unglaublich großartigen Ding.
An Stavanger vorbei zu fahren ist aber natürlich auch idiotisch. Insofern konnte ich nur beipflichten. Aber dass wir vorbei gefahren waren (und auf der Rückfahrt fuhren wir dann wieder vorbei, fucking morons) hatte ja seine Gründe, aber dem betrunkenen, kumpeligen Regattasegler diese Gründe darzulegen war in der Situation echt nicht angebracht.
Das Boot, mit dem sie da waren, war aber cool. Und ihre Story dazu war auch cool, und auch ein bisschen traurig. X-Men hieß das Boot, und vorne am Bug, vor dem Schriftzug, hatten sie sich einen Custom-Aufkleber gebastelt, und das sah grafisch dann so aus, als säße Wolverine vorne im Bug und würde gerade seinen Supermetallkrallen durch den Rumpf reißen. Mit dem Namen wollten sie aber auch ausdrücken, dass sie beide zwei geschiedene Männer sind. X-Men eben. Ha, ha. Als Identitätsentwurf fand ich das dann aber auch ungewollt subversiv, diese Mischung aus Ex-Mann und Übermann.
Später kam noch ein zweites Boot an, diesmal mit einer Frauencrew, die sich neben die X-Men legte, man kannte sich wohl auch. Lea kam noch mit einer der beiden ins Gespräch, auch über Haugesund. Das Jazzfestival sei wirklich toll, und es sei eben schon das Ende der Saison, sonst sei halt nirgends mehr was los. It's your last chance to party.

20. Aug. 2016

Fast Rückseitenwetter
Nach einer letzten unbequemen Nacht, in der der Wind durch die Wanten heulte und das Boot im stürmischen Nordwind an den Leinen tanzte, wachte ich morgens auf -- weil der Wind noch einmal zugenommen hatte und Regen auf die Luke prasselte. So sieht eigentlich keine Rückseite aus. Wenn ein Tief durchgezogen ist, findet sich auf der Rückseite des Tiefs meist blauer Himmel und starker, aber nicht mehr stürmischer Wind aus Nordwest bis Nord, je nachdem auf welcher Höhe relativ zum Zentrum des Tiefs man sich befindet. Der Regen zog aber bald ab, nur eine Schauerbö (wobei die Schauerböen hier deutlich mächtiger und ausgedehnter sein können als auf der Ostsee), und am späten Vormittag flaute der Wind endlich ab auf fünf bis sechs Beaufort. Liten Kuling. Nach dem Sturm erschien uns das nicht mehr als Obergrenze, bei der wir noch segeln wollen, sondern als guter Wind, zudem von hinten. Jedenfalls bis wir aus dem Hafen gefahren waren und die aufgewühlte See mit hohen, von Gischt bekränzten Wellen sichtbar wurde.
Erstmal aber fuhren wir an die Tankstelle. Denn das Anlegen unter Segeln drei oder vier Tage zuvor war weniger selbstgewählt als von einem Ausfall des Motors erzwungen gewesen. Schon als der Motor kurz nach dem Setzen des Großsegels, dreißig, vierzig Meilen vor Fedje, einfach so aufhörte zu laufen, und dann auch nicht mehr richtig anspringen wollte, hatte ich kurz über Ursachen nachgedacht. Allerdings nur kurz, weil dann recht bald der Wind auffrischte und unser Landfall unter Segeln geplant und vorbereitet werden musste, während wir mit hohen, seitlich anlaufenden Wellen zu tun hatten, außerdem mit einem permanenten Monitoring der Windrichtung und -stärke, von der die Möglichkeiten des Einlaufens und Anlegens unter Segeln in Fedje ja maßgeblich abhingen. Die Problemanalyse musste also warten.
Kurz nach unserer Ankunft in Fedje hatte sich unser Missgeschick mit dem Motor und unsere erzwungene kleine seglerische Meisterleistung -- Anlegen unter Segeln bei fünf bis sechs Beaufort -- schon herumgesprochen. Es war Samstag Nachmittag, deshalb gingen wir den langen Weg um die Bucht herum ins Dorfzentrum, um noch etwas einzukaufen. Auf dem Rückweg begegnete uns ein Mann auf dem Fahrrad, der uns ansprach. Der Segler, der am Morgen mit den Leinen geholfen hatte, habe ihm erzählt, dass wir ein Problem mit dem Motor hätten und deshalb unter Segeln reingekommen seien. Er könne uns gerne mit dem Dinghy rausschleppen, wenn wir weiter wollten.
Erst war ich ein wenig überrascht. Wir waren doch gerade erst angekommen und wollten gar nicht wieder raus. Freundlich lehnten wir sein Angebot ab und bedankten uns, und unser Plan, das Sturmtief in Fedje abzuwettern, leuchtete ihm auch ein. Später am Tag verstand ich dann sein Angebot besser. Nach unserer Ankunft hatte sich das Wetter wieder gebessert, es herrschte bester Segelwind, vier bis fünf Beaufort aus Nord, dazu Sonne, am Himmel nur kleine Kumuluswolken, die eine (noch) stabile Luftschichtung anzeigten. Erst am Abend zogen dann die ersten hohen Cirruswolken, Vorboten des Tiefs, am Himmel auf. Und es wäre ganz vernünftig gewesen, mit einem Motorproblem, das professionelle Hilfe erfordert, in eine größere Stadt, also nach Bergen, zu fahren. Zeitlich hätte das dicke gereicht. Ganz abgesehen davon dass der Wind weiter im Inland bei weitem nicht so stark wehen würde wie draußen auf der exponierten Insel Fedje in der offenen norwegischen See.
Im Lauf der drei Tage lernten wir den netten Nachbarn bei ein paar Pläuschen auch noch etwas kennen. Sein Boot, oder eigentlich: Schiff lag dreißig Meter entfernt an einem Schwimmsteg, ein altes Fischerboot mit einem hölzernen Rumpf, Eiche, sauber lackiert, und einem Aufbau aus Aluminium, wo er mit seinem Sohn gerade dabei war, die alten Laderäume und Arbeitsdecks zu mehreren Appartments auszubauen. Wände waren allerdings noch keine gezogen und alles war ziemlich in der Hauptphase. Überall standen oder lagen Werkzeuge, in der Mitte des Arbeitsdecks hatten sie eine große Werkbank aufgestellt. Die Decke war schon verlegt, darunter auch Kabel und andere Leitungen, wie er uns bei einem Besuch erklärte.
Schon beim ersten Besuch -- er kam bei uns vorbei, nachdem er selbst aus dem Dorf zurückgekehrt war -- erzählte er uns ein wenig von sich und seinem Leben. Vor der Geburt seines Sohnes (der in dem Moment neben ihm stand) war er mit seiner Frau auf die Insel Fedje gezogen und hatte dort das Fabrikgebäude gekauft, wo jetzt der Gästesteg ist, an dem Aimé auch lag. Dort hatte er die Zinnfigurenfabrik eingerichtet, die schon sein Großvater gegründet hatte und die bis dahin an einem anderen Ort gewesen war. Das Gebäude ist groß und das Unternehmen muss wirklich eine major operation mit vielen Mitarbeitern gewesen sein. Vor einigen Jahren aber hatte einer der größten Kunden der Fabrik entschieden, die Produktion seiner Figuren nach Thailand zu verlagern. Ein Konkurs konnte durch Entlassungen abgewendet werden, aber richtig erholen wollte sich das Geschäft nicht. Vor ein paar Jahren wurde das Fabrikgebäude dann verkauft, die Familie zog zurück aufs Festland nach Bergen. Was er jetzt genau macht, abgesehen von der Bootsrenovierung, wurde nicht klar. Der Mensch sprudelt vor Ideen und Einfällen, und das Gespräch und seine Erzählung verlief herrlich assoziativ, sodass ich jetzt keine kohärente Lebensgeschichte erinnere, bei der eines aus dem andern hervorgeht und die späteren Lebensphasen und -handlungen in den früheren ihre Ursachen finden, sondern eben: viele verschiedene Tätigkeiten, die sich zum Teil überschneiden, parallel laufen, abhängig sind voneinander oder unabhängig. Das Bauen und Arbeiten jedenfalls war ein wichtiger Baustein, egal ob in der Fabrik oder an einem seiner Boote. Neben dem Fischkutter besitzt die Familie noch eine große, alte, hölzerne Segelyacht und diverse Dinghies. Die Segelyacht liegt auch in Fedje, ein wunderschönes Schiff, das wir bei einem Spaziergang aus der Entfernung sahen. Bestimmt gute zwanzig Meter lang, elegante Linien, die Yacht eines edlen Herrn mit Geschmack, gebaut von einer Werft, die ihr Handwerk verstand.
Harald -- seinen richtigen Namen kenne ich nicht, irgendwie scheint man das hier nicht so zu machen mit der namentlichen Vorstellung, das ging mir auch schon bei anderen Begegnungen so -- bot uns auch an, den Kontakt zu einem Schiffsmaschinisten herzustellen, der auf der Insel lebt, falls unser Problem für uns selbst nicht lösbar sein sollte. Am nächsten Tag, der Wind blies erst mit sechs bis sieben Beaufort aus Süd und das Boot lag noch vergleichsweise ruhig an seinem Molenplatz, machte ich mich schließlich an den Motor. Zwei Möglichkeiten für die Ursache kamen nach meinem Wissen von der Technik und dem Zustand der Teile in Frage. Abgesehen also von allen tausend möglichen anderen Ursachen, die von Teilen herrühren könnten, die ich gar nicht kenne. Der Motor war nämlich bisher immer ein Teil vom Boot, das ich eher gemieden habe. Zumindest im Vergleich mit all den anderen Teilen (und das betrifft fast das gesamte Boot), die ich auf die eine oder andere Weise entweder selbst gebaut oder schonmal zerlegt und wieder zusammengebaut habe. Einen Ölwechsel habe ich mal gemacht, inklusive Ölfilterwechsel, und den letzten Ölwechsel leider viel zu spät, entsprechend einem doppelten Wartunsintervall zweihundert Betriebsstunden nach dem vorherigen Ölwechsel. Ganz zu Anfang habe ich den Dieselfilter gegen ein neues Modell getauscht und bei der Gelegenheit die Kraftstoffleitungen erneuert. Allerdings nicht daran gedacht, einen Absperrhahn einzubauen, weshalb der Dieselfilter nur bei niedrigem Stand im Tank gewechselt werden kann. Besonders fatal, wenn der Filter bei etwas höherem Tankstand blockiert. Jedes Jahr lasse ich das Wasser aus dem Kühlkreislauf, öffne das Gehäuse der Wasserpumpe und schmiere die zugehörigen Teile. Den Luftfilter habe ich auch zu Anfang gewechselt, also vor etwa zehn Jahren. Außerdem musste ich einen neuen Kühlwasserfilter einbauen, kurz vor der Reise, und bei der Gelegenheit hab ich auch die Kühlwasserleitungen bis zur Pumpe ausgetauscht, weil die viel zu lang waren und einen sehr großen Durchmesser hatten. Dafür hab ich Waschmaschinenschlauch verwendet, und auch da frage ich mich, ob das eine gute Idee war. Ist Waschmaschinenschlauch seewasserbeständig und ölbeständig?
Neben den beiden möglichen logischen Ursachen hatte ich also auch meine eigenen Basteleien als mögliche Ursache in irgendeiner verqueren Form im Kopf. Wahrscheinlicher aber als Kühlwasser- oder Ölsachen war beim beobachteten Absterben des Motors ein Problem bei der Dieselzufuhr. Die musste unterwegs irgendwie unterbrochen worden sein. Und dafür gab es zwei mögliche Gründe: Entweder hatte der Motor bei den hohen Wellen Luft gezogen. Das wäre das einfachste Problem, dann müssten einfach nur die Leitungen entlüftet werden. Oder aber die Schaukelei hatte jetzt endlich all den Bioschlamm so gut aufgewirbelt, dass der Filter sich zugesetzt hatte. Dann wäre neben dem Austausch der Filter auch eine gründliche Säuberung von Tank und Leitungen angefallen.
Laut meinen Berechnungen befanden sich noch fünfzig Liter im Tank. Also etwa ein Viertel voll. Hatte ich mich wirklich so verrechnet und der Sprit war doch alle? Schließlich hatten wir die Heizung häufiger als sonst angemacht (Normaltemperatur 10-15 Grad, am Tag!), und auch der Motor war meistens mit mehr als den sonst üblichen 2000 Umdrehungen gelaufen, um gegen Strömung, Wind und Wellen anzukommen, in schmalen Durchfahrten oder wenn wir auf See in die Flaute kamen. Aber fünfzig Liter? Und das, obwohl sonst meine Berechnungen immer einen höheren Verbrauch angenommen hatten als dann tatsächlich anfiel? Aufklärung brachte eine geometrische Zeichnung. Also erstmal Spritstand im Tank messen. Dafür haben wir leider kein elektronisches Instrument, sondern müssen jedes Mal die Inspektionsklappe aufschrauben (zwanzig kleine Schrauben) und dann ein kleines Stück Messlatte in den Tank hinunter lassen. Aber gut. Machte ich, und in der Tat: ~50 Liter, give or take. Also Bioschlamm? Ich baute den Feinfilter ab, fand dort aber rein gar nichts, nicht mal Spuren. Und wenn Bioschlamm die Ursache wäre, müssten doch dort wenigstens Spuren sichtbar sein? Ätzende Arbeit. Diesel auf den Händen. Diesel in der Bilge. Dieselgeruch im Boot. Und gleichzeitig toll. Endlich bekam der Motor die Aufmerksamkeit, die er schon längst hätte bekommen müssen. Weil nicht nur dass er einfach ausgegangen war, seit mehreren Tagen schon leckte am Ventil zur Entwässerung das Kühlwasser, tropfenweise nur, also nicht bedrohlich, aber eben doch. Am Motorkörper kristallisierte das Salz aus, und jeden Morgen vor Abfahrt lenzte ich einen Schwamm mit Wasser aus der Motorbilge.
Aufschluss brachte eine geometrische Zeichnung. Ich wollte wissen, wie sehr das Boot mit fünfzig Litern im Tank krängen muss, damit der Kraftstoffauslass am Tank in der Luft hängt. Ergebnis: 18 Grad. Da war ich ziemlich erstaunt. Weil: Zwanzig Grad krängen wir bei leichtem Wind um überhaupt loszufahren. Okay, nicht ganz so krass. Aber bei vier bis fünf Beaufort krängen wir locker zwanzig bis dreißig Grad. Und wenn das Boot von 1,5 bis zwei Meter hohen Wellen von der Seite geschubst wird, dann legt es sich locker soweit auf die Seite, gefühlt noch deutlich mehr. Und in der Tat hatte ja schon eine gute halbe Stunde vor dem Segelwechsel der Wind aufgefrischt, waren die Wellen höher und stärker geworden. Und hatten wir den richtigen Zeitpunkt zum Segelsetzen, weil Nacht und Dunkelheit und erschöpft, verpasst. Nicht schlimm, dachte ich da in der Nacht, ist kein Problem, ich muss Lea nicht früher wecken als im Wachplan festgelegt, und wir machen unsere fünf Knoten Fahrt auch jetzt. Situation ist stabil. Fehleinschätzung.
Beim Entlüften der Leitung kam dann auch ordentlich Luft. Die hatte der Motor gezogen. Die halbe Stunde im auffrischenden Wind hatte er noch die Reste aus der Leitung gezogen, bis dann eben irgendwann Luft kam und nichts mehr ging. Jetzt also entlüften, schön nach Handbuch. Und dabei die Reihenfolge falsch hingekriegt und erst am Feinfilter direkt am Motor, danach am Grobfilter entlüftet, der noch vor dem Feinfilter sitzt. Also nochmal am Feinfilter Diesel durch die Entlüftungsschraube gepumpt, bis sicher keine Luft mehr in der Leitung war. Bis dahin hatte ich die Prozedur auch schonmal gemacht, nach dem Wechsel der Filter vor Beginn der Reise. Damals hatte das gereicht und der Motor war nach wenigen Umdrehungen mit dem Anlasser wieder angesprungen. Also erster Startversuch. Funktioniert nicht. Im Handbuch steht, dass als nächstes die Hochdruckleitungen von der Einspritzpumpe zu den Zylindern einzeln entlüftet werden sollen, und zwar indem man jeweils eine Leitung abschraubt, den Motor mit dem Anlasser dreht und dann die Schraube zudreht, sobald Diesel austritt. Prima. Die Schraube geht kaum ab, ist noch komplett beschichte, die hat noch nie jemand abgemacht. Es braucht ordentlich Kraft auf dem Schraubenschlüssel, um sie loszumachen. Aber was sein muss, muss sein. Dann starten wir den Anlasser. Lassen ihn zehn Sekunden laufen, aber es kommt kein Diesel. Lassen ihn eine halbe Minute laufen, aber es kommt kein Diesel. Kann man den Motor überhaupt so lange mit dem Anlasser drehen, ohne dass er wegen fehlender Schmierung kaputt geht? Anruf beim Experten in der Familie: "Ja, kann man, müsste aber eigentlich nach ein paar Umdrehungen was kommen. Sonst musst Du halt noch den Zulauf der Pumpe entlüften. Oder die russische Methode, die Einspritzpumpe am Anschluss der Zylinderleitungen mit Diesel füllen."
Ich beschreibe die Leitung vom Feinfilter zur Einspritzpumpe und den Anschluss der Leitung an der Pumpe. "Das ist doch eine Entlüftungsschraube!" Schön wär's, steht aber nichts von im Handbuch. Da steht nur: Feinfilter entlüften, und dann die Nummer mit der Hochdruckleitung. Auf dem Rechner habe ich noch ein Handbuch für unseren Motor, das sich an den professionellen Mechaniker richtet. Dort sind alle Teile des Motors nochmal genauer beschrieben. Und in der Tat ist dort die Schraube an der Leitung vor der Pumpe als Entlüftungsschraube aufgeführt. Warum in aller Welt nicht im Nutzerhandbuch? Wenn da das Entlüften der Leitungen bis zur Hochdruckleitung nach der Pumpe beschrieben ist?
Das Entlüften mit dieser letzten Schraube bringt jedenfalls den erhofften Heilungseffekt. Weitere Aktionen mit den Hochdruckleitungen sind dann gar nicht mehr nötig. Der Motor stottert kurz, als würde er Anlauf nehmen, dann läuft erst ein Zylinder, bald auch die zwei weiteren. Noch ein paar kurze Stotterer und alles läuft wieder bestens, wie bekannt. Ich höre auf jede kleinste Unwucht, jedes kleinste Geräusch, jede Abweichung vom Rhythmus, aber alles steht durch. Wir lassen den Motor eine halbe Stunde laufen. Ich bin froh, dass das funktioniert hat. Noch am gleichen Abend nehme ich mir das undichte Ventil vor, baue es aus, lerne die Konstruktion kennen, die glücklicherweise sehr einfach ist. Leider aber auch sehr fehleranfällig. Ein Konus mit einem Loch durch wird von einer Schraube mit Sprengring in place gehalten. Diese Sicherungsschraube muss also so fest angezogen sein, dass die Spannung des Sprengrings ausreicht, um Hülle und Innenteil so gegeneinander zu pressen, dass kein Wasser durchkommt. Damit das Teil aber als Ventil funktioniert, muss gleichzeitig die Spannung gering genug sein, dass man den Hebel noch drehen kann. Dafür ist der Sprengring da. Und der ist, nach dreißig Jahren, leider ziemlich verwittert und gar nicht mehr geeignet für die richtige Spannung. Weil dieses Ventil nur für die Entwässerung gebraucht wird und das, so hoffe ich, erst wieder zum Einwintern passiert, ziehe ich die Sicherung einfach so fest, dass kein Wasser mehr austritt. Bewegen kann man das Ventil nur, wenn vorher die Schraube wieder gelockert wird. Nicht so komfortabel, nicht optimal, aber jedenfalls dicht.
Der Motor und mein Verhältnis zum Motor sind also wieder gut in Schuss, als wir die Leinen lösen, um zur Bootstankstelle zu fahren. Wir wollen vor der Abfahrt den Tank füllen, damit uns nicht wieder Luft in die Leitung kommt. Der Kai, an dem die Zapfsäule steht, ist ziemlich räudig, nur mit alten Reifen behängt, wie die meisten Industriekais hier in der Gegend. An einer Stelle fehlen die Reifen sogar, und als wir angelegt haben sehen wir, dass knapp oberhalb der Wasserlinie ein alter, rostiger Eisenstab aus der Wand ragt, der vorher dazu da war, einen Reifen zu stabilisieren. Ich bin froh um unsere übertrieben großen Kugelfender, die wir schon zum Abfendern während des Sturms aufgeblasen und rausgehängt haben, und die uns jetzt schön weit von der Mole fernhalten.
Wir tanken voll, natürlich. Dann geht es raus aus dem Hafen.
Wir haben vor der Abfahrt die 35er, unsere kleine Genua angeschlagen, in Erwartung von fünf Beaufort, die der Wetterdienst vorhergesagt hat. Vor der Einfahrt von Fedje ist ein recht großes, aber noch gut durch Schären und Felsen geschütztes Becken. Dort ist das Wasser ruhig (außer bei östlichen Winden), man hat aber schon einen guten Blick auf den Fjord, der zwei Seemeilen weiter nördlich ins offene Meer übergeht. Von dort aus sehen wir, wie sich an den Felsen auf der gegenüberliegenden Seite die Wellen brechen, und wir sehen die Wellen selbst von Norden nach Süden durch den Fjord laufen. Die Wellen sind hoch und haben ordentliche Schaumkronen. Wir wechseln die 35er gegen die Starkwindfock. Weil während dem Zusammenlegen immer wieder Böen ins Segel fahren, dauert die Aktion eine ganze Weile. Schließlich geht das neue Vorsegel nach oben und wir nehmen Kurs aus der Bucht raus ins offene Wasser. Der Wind zieht uns gleich gut voran, und schon bald haben wir Fedje querab, nehmen Kurs Süd, und laufen die Wellen unterm Rumpf hindurch, dass das Wasser an den Seiten hervor sprudelt. Herrliches Segeln. Die Sache ist ein kleines bisschen überwältigend, weil ich nicht ganz glauben kann, dass wir das jetzt gerade machen. Vor kurzem war hier noch Sturm und jetzt segeln wir hier? Der Himmel ist noch von Wolken bedeckt, und in Luv sehen wir den einen oder anderen Schauer über Land ziehen. Sonne gibt es nicht.
Aber schon bald gibt sich dieses Gefühl der Unsicherheit. Aimé findet gut ihren Weg, und mit der Starkwindfock sind wir sogar unterpowert, machen trotz guten Winds nur um die fünf Knoten. Also wechseln wir wieder auf die 35er. Was auch gut klappt. Inzwischen sind wir eingespielt, auch wenn sich das Boot im Wellengang mal etwas stärker bewegt. Die Arbeit auf dem Vorschiff ist gut, Aktion, es passiert was, ich schaue nach achtern, blicke in den Wind, und freue mich, dass wir mit dem größeren Segel viel besser im Wasser liegen und besser vorankommen, nicht weniger stabil als vorher, aber mit unglaublich langen Surfs, wenn zwischendurch eine Bö und eine Welle so zusammenkommen, dass sie uns zusammen ein weites Stück vorantragen.
Später kommt die Sonne und die Szenerie entwickelt sich zur klassischen Rückseite. Sonne bricht durch die Wolkenlücken, die Schauerböen werden weniger. Größere Wolken steigen über der Inselkette in Luv von uns nach oben und vereisen, verbreiten sich dann flach fast konzentrisch in Zeitlupe nach außen, ein irrer Anblick. Nur eine Schauerbö erwischt uns, recht spät, dann doch noch, und deckt uns nicht nur mit Regen, sondern auch mit Hagelkörnern ein, die eine ganze Weile auf Deck und auf der Sprayhood liegen bleiben, bevor sie schmelzen. Es ist kalt heute, unter zehn Grad, und ich trage alle langen Unterhosen, die ich habe, dazu meine polartaugliche Marinejacke.
Am frühen Abend passieren wir Bergen. Der Tidenstrom läuft mit uns, und weil der Strom in dieser Gegend so stark ist, dass wir ihn für die Fahrtplanung berücksichtigen müssen, beschließen wir, noch weiter zu fahren. Mit Sonnenuntergang erreichen wir eine kleine Bucht zehn Seemeilen südlich von Bergen. Das Ankermanöver dauert lang, weil der Anker auf dem felsigen Boden eine ganze Weile nicht greift, und als wir mit allem fertig sind ist es schon dunkel.
Am nächsten Tag stehen wir um sechs Uhr auf. Der Wind soll weiter aus Nordwest wehen, wenn auch schwächer als am Vortag. Aber weil in den inneren Schärengewässern der Wind oft anders weht als weiter draußen an der Küste, sind wir auch mit dem leichten Ostwind zufrieden, der uns am frühen Vormittag über den Korsfjord und quer über den Bjørnafjord schiebt. Für heute haben wir uns viel vorgenommen. Der Wind soll in der kommenden Nacht auf Südwest drehen und bis auf sechs Beaufort auffrischen, und wir wollen deshalb vorher eine der wenigen unausweichlich offenen Stellen an der Küste, Sletta, passieren. Gegen Mittag schläft der Wind ein und wir starten den Motor. Damit hatten wir schon gerechnet. Strömung hindert uns am guten Vorankommen und wir suchen unser Glück, weniger Strömung, ganz am Rand des Fjords. Funktioniert, anders als in den flacheren Gewässern der Ostsee, leider nur eingeschränkt, weil die Felswände so steil abfallen, dass auch am Rand der Strom durch nichts gebremst wird. Am späten Nachmittag passieren wir Leirvik, und hier kentert der Strom und wir fahren plötzlich statt mit vier mit siebeneinhalb Knoten unserem Ziel entgegen.
Über die Sletta können wir segeln, aber kurz vor Haugesund schläft der Wind wieder ein. Noch immer haben wir den Strom mit uns, und beschließen deshalb, durch den schmalen Haugesund noch weiter zu fahren, bis es dunkel wird. Und landen schließlich in Kopervik, einer Kleinstadt mit etwa siebentausend Einwohnern, wo wir auch jetzt noch liegen. Den ganzen Tag hat es geregnet und aus Südwest geblasen, sodass ein Vorankommen zwar möglich, aber unglaublich mühsam gewesen wäre. Und wir brauchen unsere Kraft für die anstehenden langen Phasen, die uns wieder raus auf die Nordsee führen werden. Einige Nachtfahrten stehen an. Im besten Fall schaffen wir es von hier aus um Kap Lindesnes bis Mandal ohne Zwischenstopp, um dann von dort aus schon bald in Richtung Skagen aufzubrechen. Die Reise nähert sich wirklich ihrem Ende, und es ist ein merkwürdiges Zwischenstadium, in das mich dieser Umstand bringt. Ich bin fokussiert auf die Fahrt. Freue mich auch auf die Herausforderung, jetzt nochmal länger über See zu fahren. Gleichzeitig ist das alles auch sehr arbeitsintensiv und mühsam, und ich will bald ankommen. Und mich andererseits vorher nochmal gut erholen, nicht so bald losfahren. Noch ein wenig von Norwegen, von der Gegend hier sehen, nachdem wir in den letzten zwei Wochen fast nur unterwegs waren.
Der Wind hat inzwischen auf West gedreht. Für morgen sind noch starke Westwinde angesagt, sechs Beaufort, in Böen sieben bis acht. Deshalb können wir erstmal nur einen kurzen Schlag machen. Vorgesehen haben wir Tananger oder die Insel Rott. Dort enden die Schären des Westlands und wir müssen ein langes Stück Küste auf See entlang segeln, bevor es dann quer übers Skagerrak geht. Mit etwas Wetterglück ist das in einigen Tagen zu schaffen. Es kann aber auch länger dauern. In jedem Fall haben wir uns vorgenommen, nur dann zu segeln, wenn wir uns sicher sind, dass wirs gut hinkriegen, und uns nicht von Termindruck zu falschen Entscheidungen drängen zu lassen. Klar ist: Gegenan geht nicht. Und sieben Beaufort sind die Grenze. So und so sind die Tage und Nächte übers Meer meist Heavy Metal. Inzwischen haben wir aber auch schon einiges erlebt, sodass mich die anstehenden Fahrten nicht schrecken. Das Boot ist robust, und wir sind es inzwischen auch.

12. Aug. 2016

47
Seit zwei Tagen und zwei Nächten stürmt es inzwischen. Das Boot holt bei jeder Bö weit über und reißt inzwischen auch immer stärker an den Leinen. Der Wind hat auf Nordnordwest gedreht und kommt jetzt fast von vorne. Gegen den Südwest- und den Westwind waren wir noch ein wenig geschützt durch ein Haus am Kai, das wie ein Windbrecher wirkte. Mit dem Nordwind jetzt kriegen wir das Ganze nochmal mit full force. Obwohl er wenig Anlauf hat, baut der Wind im Hafenbecken außerdem eine ernstzunehmende Welle auf, die das Boot zusätzlich in Bewegung bringt. Wenn der Wind jetzt noch ein bisschen weiter dreht, wird er das Boot nicht mehr vom Steg weg, sondern dagegen drücken. Deshalb haben wir heute morgen schon die beiden großen Fender aufgeblasen und vorne und achtern platziert. Trotzdem graut es mir vor diesem Scheitelpunkt. Irgendwann im Lauf der Nacht wird das passieren.
Obwohl ich weiß, dass das Boot gut und sicher vertäut ist, raubt mir das heftige Einrucken den Schlaf. Ein Anholen der Spring, um die Vorleine vom Zug nach vorne zu entlasten, hat nicht gefruchtet. Ich sitze also wieder unter Deck und warte, dass der Wind ausreichend ab- oder die Müdigkeit ausreichend zunimmt, um endlich zu schlafen. Inzwischen scheint mir, dass es ewig weiter so stürmen wird. Hat sich in den vergangenen Wochen das Wetter zum Teil mehrmals am Tag verändert, ist jetzt, abgesehen von der sehr graduellen Änderung der Windrichtung, kein Wechsel mehr zu spüren. Und obwohl ich weiß, dass eben diese Windrichtung anzeigt, dass das Sturmtief langsam nach Westen oder Nordwesten abzieht, zeigt sich die Rückseite des Tiefs nicht wie sonst mit eitel Sonnenschein, etwas gemäßigtem Wind und steigendem Luftdruck. Im Gegenteil, die Sonne, die heute am Nachmittag kurzzeitig zu sehen war, ist wieder von Wolken bedeckt, Regen und Hagelschauer ziehen mit heftigen Böen über uns hinweg und der Luftdruck ist, nach kurzem Anstieg, wieder gefallen.
Positiv betrachtet ist es eine Erfahrung, von der ich sicher noch lange zehren werde. Selten zuvor habe ich einen so schweren Sturm erlebt. Zwischendurch habe ich Fluchtgedanken und wäre am liebsten gar nicht hier, sondern wieder zurück in Greifswald, am Ziel dieser Rückreise. Uns stehen noch eine Reihe längerer Passagen über die offene See bevor, von Tananger aus rund ums Kap Lindesnes bis Mandal, und von dort aus die 120 Seemeilen quer übers Skagerrak. Und das nächste Tiefdruckgebiet ist schon im Anzug. Ein Norweger, mit dem wir uns heute unterhalten haben und der das Wetter und die Gegend hier kennt, meinte, dass so ein Tief normalerweise frühestens Ende Oktober, eher im November zu erwarten ist und für Anfang August nicht normal ist. Er muss es wissen, er arbeitet auf einer Ölförderplattform draußen vor der Küste. Einerseits ist das beruhigend, weil es heißt, dass wir darauf hoffen können, dass sich das jetzt nicht so schnell wiederholt. Andererseits ist es aber auch beunruhigend, weil es heißt, dass die Herbst- und Winterstürme uns auch jetzt schon erwischen können. In den pilot charts ist der August bereits ein schlechter Monat, was Stürme angeht. Statistisch gesehen sind Stürme hier zwar nicht so wahrscheinlich wie in den folgenden Herbstmonaten, aber sie sind auch nicht so unwahrscheinlich wie in den Sommermonaten Juni und Juli, in denen es so gut wie keine Stürme gibt. Deshalb endet die Saison hier auch pünktlich am 15. August.
Das alles wussten wir. Und für diese Tage und diese Nächte hatte es der Wetterbericht auch vorhergesagt: Bis zu 50 Knoten Wind. 47 Knoten hat die Wetterstation von Fedje gemessen, die etwa dreihundert Meter von unserem Liegeplatz entfernt ist. Das sind neun Beaufort oder schlicht und ergreifend: Sturm. Was das auch im Hafen an Anspannung und Anstrengung bedeutet, war mir vorher nicht klar. Ich bin belehrt. Das kann deshalb von mir aus auch gerne mal wieder aufhören.

10. Aug. 2016

Eingeweht -- Sturm
Nach zwei sehr langen Schlägen über insgesamt 250 Seemeilen mit gutem Wind aus nördlichen Richtungen liegen wir jetzt seit zwei Tagen im Hafen von Fedje fest. Sturm. Der Wind weht mit vierzig Knoten aus West, draußen vor der Küste türmen sich die Wellen auf eine Höhe von neun Metern. Wir haben das boot mit dreifachen Vor- und Achterleinen und doppelten Springs gesichert, außerdem unsere großen Sturmfender aufgeblasen. Der Hafen von Fedje ist gut geschützt, sodass kein Schwell in den Hafen steht. Wir liegen auf der Ostseite eines massiven Betonkais, der außen mit Holz verschalt ist. Der Wind drückt das Boot also vom Steg weg und lässt es in den Böen so weit überholen, dass uns beim Frühstück (nach einer Nacht mit eher wenig Schlaf) Tassen, Teller, Marmeladen- und Schokocrèmegläser übern Tisch rutschen. Abgesehen von einer dauerhaft im letzten Winkel des Hafens mit sehr vielen Leinen und zusätzlichen Ankern vertäuten Bavaria 38 sind wir das einzige Segelboot im Hafen. Ein riesiger Hochseefischer hat am Industriekai gegenüber festgemacht, um den Sturm hier abzuwettern.
Die Fahrt von Uthaug bis hierher verlief dank eines nördlichen Winds recht zügig. Von Uthaug aus führt der Weg durch die Trondheimsleia, und weil das Wetter sehr stabil war, segelten wir die Nacht durch. Inzwischen sind Nachtfahrten auch wieder Nachtfahrten, von eins bis drei ist es, abgesehen von einem sanften Leuchten am nördlichen Horizont, ganz dunkel. Am Abend war der Himmel von kleinen Wolken bedeckt, die eine stabile Luftschichtung anzeigen. Trotzdem bargen wir gegen Mitternacht mit der letzten Helligkeit das Großsegel und ließen nur die große Genua stehen, um für einen auffrischenden Wind noch etwas Reserven zu haben. Unter Vollzeug waren wir die Stunden davor mit sechs bis sieben Knoten gen Süden gesegelt und hatten es also nicht mehr ganz so eilig. Gegen halb drei, ich hatte gerade Wache, kam von achtern ein Großschiff auf uns zu. Mit guter Sicht konnte ich das eine ganze Weile beobachten. Bei einer Entfernung von drei Meilen wurde das AIS-Signal auf dem Kartenplotter sichtbar. Soweit so gut. Dass es ein Kollisionskurs ist, hatte ich oben schon gesehen, das Schiff zeigte uns beständig rot und grün, das ganze Buglicht also, das man nur sieht, wenn ein Schiff direkt auf einen zukommt. Aber unser Kurs führte auch entlang der üblichen Schiffahrtsroute, sodass ich davon ausging, dass der aufkommende Frachter (dass es ein Frachter war konnte ich in den AIS-Daten sehen) irgendwann ausscheren würde, um uns zu überholen. Vier Minuten vor impact war ich mir nicht mehr so sicher. Beherzt und auch etwas eilig schaute ich im Plotter nach dem Namen des Schiffs, zog das Handfunkgerät aus der Halterung und ging wieder an Deck. Keine Kursänderung. Auf Kanal 16 funkte ich den Frachter an. Am andern Ende der Verbindung eine verschlafene Stimme, aber immerhin wurde auf den Funkspruch reagiert. Ich bat um ein Gespräch auf Kanal 6, und vergaß dann vor lauter Aufregung die Etikette. Statt erstmal unsere Position mitzuteilen und die Situation kurz zu erklären funkte ich: "Hi, this is the sailing yacht Aimé, I just wanted to make sure that you see us or if we should go to starboard so that you can have your way." Eine Antwort über Funk blieb aus, aber das Schiff hinter uns änderte sehr abrupt seinen Kurs, um an Steuerbord an uns vorbei zu fahren.
Am Vormittag, als wir gerade aus der Trondheimsleia heraus fuhren, schlief der Wind ein. Wir bargen die Segel und motorten. Vom Ausgang der Trondheimsleia bis zur Einfahrt in den Fjord nach Alesund war ein Stück Strecke zurückzulegen, das seewärts sehr exponiert ist. Die alte Welle des Nordwestwinds, der in den vergangenen Tagen teils mit sechs Beaufort geweht hatte, traf uns hier direkt von der Seite. Lea übernahm ihre Wache, aber an Schlaf war wegen der heftigen Rollbewegungen kaum zu denken. Aber es nützt nichts. Die Flaute ist wirklich absolut. Keine vom Wind geriffelten Flächen whatsoever um uns herum. Erst kurz vor Alesund hebt sich wieder ein Lüftchen und wir setzen wieder Segel. Weil wir wegen der schnellen Fahrt am Vortag recht früh bei Alesund waren und dort auch wieder segeln konnten, entschieden wir uns dafür, den Tag trotz Müdigkeit noch zu nutzen und möglichst nahe an die Halbinsel Stad heranzufahren. Das Sturmtief, das uns jetzt hier im Hafen festhält und das Boot an den Leinen wild tanzen lässt, war schon angekündigt und wir wussten, dass wir den Nordwind und das gute Wetter nutzen mussten, um weiter nach Süden und am besten schon um die Halbinsel Stad zu kommen. Stad ist einer der wenigen Punkte an der norwegischen Küste, an der man keine Wahl hat zwischen Schären und See, man muss auf die See hinaus um Stad zu runden. Eine massive, hohe, felsige Halbinsel streckt sich hier weit raus ins Meer. Steil abfallende Felsen bilden ein radikales Kap, das nur bei günstigen Bedingungen gerundet werden kann, weil das Kap alle Wettereffekte verstärkt. Nach dem Durchzug des Tiefs wäre hier mit meterhohem Seegang zu rechnen, was selbst bei günstigen Windbedingungen eine Umrundung des Kaps unmöglich machen kann.
Am späten Nachmittag erreichten wir schließlich unser neues Tagesziel, eine kleine Bucht, von mehreren Schären umschlossen, Borgarøya. Dort gibt es einen Schwimmsteg, den der Segelklub einer nahegelegenen größeren Stadt gebaut hat. Ein wirklich schöner Ort. Weil wir nicht so spät dort waren und ich trotz Müdigkeit mal wieder Lust auf Fisch hatte, und auch Lust auf Angeln, warf ich die Angel noch ein wenig aus. Hatte aber nur Pech, verlor zwei Blinker und angelte eine Qualle, die ich dann mühsam vom Haken klauben musste. Danach war ich wirklich erschöpft, die Müdigkeit der Fahrtnacht schlug gut durch, ich ließ das Angelzeug im Cockpit liegen und legte mich schlafen. Schlief auch wunderbar bis elf Uhr am nächsten Morgen. Beim Frühstück erzählte Lea, die schon früher aufgestanden und ein wenig durch die Gegend gelaufen war, von einer Begegnung mit drei merkwürdigen Leuten, die am frühen Morgen mit einem kleinen Boot gekommen waren. Sahen irgendwie fertig aus, nervös, viel rauchend. Ein junger Typ und eine junge Frau, er ausgemergelt mit Armeejacke überm T-Shirt, sichtlich frierend, sie noch etwas besser genährt, mit schmutzigen Klamotten. Ihr Begleiter war ein mittelalter Typ, um die 40, der beim Boot der drei geblieben war. Sie benutzten die öffentlichen Toiletten, die zum Steg gehören (Borgerøya ist ein Ausflugsort, es gibt auch einen kleinen Grillplatz), und fuhren dann wieder ab.
Wir haben das auch in Rørvik gesehen, das nicht so nette und herausgeputzte Norwegen. Die Häuser ein wenig heruntergekommen, loser Putz, abblätternde Holzfarbe, die Spuren von zuviel Zigaretten und Alkohol in den Gesichtern der Leute, die an dem Sonntag vor ihren Häusern saßen oder auf der Straße unterwegs waren, abgerockte Klamotten, zum Teil aus Coolness, zum Teil weil neue Sachen teuer sind, Rost an den Karosserien von Kleinwagen, die ihr end of life in anderen Gegenden schon längst erreicht hätten. Aber diese Gegend war nicht so sehr Elend wie die drei Gestalten mit ihrem kleinen Boot, die auf der schönen Sommerinsel -- um die Bucht liegen eine Reihe von Sommerhäusern -- deplatziert wirkten. Man muss das erstmal zusammen bringen, diese wunderschöne Natur, die Berge, das Meer, und ein menschliches Elend, das hier eben doch aus den mittleren industriellen Ballungen entsteht, wie sie die Gegend, in der Borgerøya liegt, auszeichnet. Neben kleineren Städten sind auf der Fahrt durch die Fjorde und Schären hier und da Fabriken zu sehen, das meiste Fischverarbeitung, ein bisschen Ölindustrie. An die Felsen gebaut steht dann da eine Fabrik, und davor liegen zwei oder drei große Hochseetrawler, die hier ihren Fang abladen. Laut Revierhandbuch wird hier für den Weltmarkt produziert, man exportiert vor allem nach Europa und Asien. Und wo Industriearbeit ist, ist auch Ausbeutung und Elend. Klingt mir selbst zu einfach, aber eine ausgedehnte kulturgeschichtliche Analyse schaffe ich hier nicht (woanders vermutlich auch nicht).
Die Geschichte ging jedenfalls ärgerlich zuende, als ich nämlich nach dem Frühstück an Deck kam, war meine Angel weg. Die drei Leute waren die einzigen Besucher gewesen, wir hatten die Nacht über allein am Steg gelegen, und von Land hätte in der Nacht kaum jemand kommen können, war ja eine kleine Insel. Lea hatte die drei beim Wegfahren noch mit etwas hantieren sehen. Am Abend zuvor hatte ich noch kurz gedacht: Und was, wenn jetzt jemand kommt und uns was Böses will?

Am frühen Nachmittag brachen wir in Borgarøya auf, motorten trotz guten Winds quer über die Bucht, um zügig durch den Windschatten in Lee der nächsten Insel zu kommen. Zehn Meilen vor Stad wurde der Wind etwas stabiler und wir setzten die Segel. Machten sehr bald gute fünf bis sechs Knoten. Fahren wollten wir so, dass wir spätestens am morgigen Abend in einem besonders gut geschützten Hafen ankommen würden. Auf der Hinfahrt hatten wir nur einen solchen Hafen selbst gesehen, Fedje. Von Stad bis Fedje sind es auf dem Seeweg, also nicht durch die Fjorde, etwas mehr als achtzig Meilen. Und weil das Wetter noch etwa 30 Stunden halten sollte, entschieden wir uns für die Seeoption. Mit etwas Aufregung meinerseits, weil eine der vielen Stimmen in mir recht deutlich sagte: Bist du verrückt? Ein Sturmtief zieht an und ihr begebt euch ohne Not raus auf die Nordsee? Die Gründe für diesen Hopser überwogen aber schließlich. Und ich bin jetzt sehr froh, dass wir nach Fedje gefahren sind. Sicher, weiter innen in den Fjorden wäre der Wind nicht so stark wie hier. Aber wir kannten den Hafen schon und wussten, dass es hier diese Mole gibt, an der wir den Sturm gut würden abwettern können.
Bald schon hatten wir Stad querab. Eine andere Segelyacht, die kurz vor uns ums Kap gegangen war, hielt inzwischen Kurs auf Måløy, in die Schären hinein. Wir setzten Kurs ab aufs nächste Kap. Zunächst kamen wir gut voran, segelten unter Vollzeug bei langsam abflauendem Wind um die fünf Knoten. Aber gegen Abend schlief dann der Wind ein und wir bargen die Segel, starteten den Motor. Auf Wind warten, was wir sonst durchaus gemacht hätten, kam wegen des anziehenden Tiefs nicht in Frage. Trotz eines Zeitpuffers von etwa zwölf Stunden wollten wir so schnell wie möglich in Fedje sein. Und wir haben noch Sprit für etwa zwanzig Stunden motoren im Tank, das sollte also locker ausreichen. Bis Fedje sind es nur noch sechzig Meilen, dafür bräuchten wir unter Motor, also wenn anders als angekündigt kein Wind mehr kommen sollte, zwölf Stunden.
Um Mitternacht übernahm Lea die erste Wache. Das Boot bewegte sich mit Wellen von der Seite eher unangenehm. Ich schlief nicht, sondern machte mich am Plotter mit Ausweichmöglichkeiten vertraut. Wo könnten wir in die Schären einfahren, wo sind mögliche Schutzhäfen, die wir anlaufen können? Das Tief und der schnell abflauende Wind haben mich nervös gemacht. Gegen zwei löse ich Lea ab. Wir legen fest, dass wir erst Segel setzen, wenn wir zuverlässig wissen, dass uns das ausreichend zügig, also mit wenigstens vier Knoten, voranbringt. Der Himmel ist bewölkt und erstmals ist die Nacht wirklich zappenduster. die See ist nicht zu sehen, und diesmal auch kein heller Streifen mehr am Horizont. Nur die Leuchttürme an der Küste und von weit draußen der Widerschein der Bohrinseln dringen durch die Nacht. Ohne Sicht aufs Wasser ist es sehr schwer, die Windstärke richtig einzuschätzen. Kurz bevor es hell wird hebt sich der Wind so stark, dass klar wird: Wir können segeln. Aber Lea schläft noch und ich will sie nicht wecken, bevor ihre Wache anfängt. Eine Stunde mehr oder weniger ist bei einer Fahrt von fast zwanzig Stunden ja dann auch egal. Das Boot fährt unter Segeln zwar deutlich stabiler, aber noch ist die Situation auszuhalten.
Während langsam der Tag anbricht und das Wasser wieder sichtbar wird, steigert sich der Wind innerhalb kurzer Zeit auf fünf Beaufort. Die Wellen sind jetzt auch höher und versperren zum Teil schon die Sicht auf den Horizont. Aimé wird rabiat geschubst. Wir brauchen jetzt Segel. Ich wecke Lea. Sie ist sofort da und kaum restmüde, was mich einigermaßen überrascht, weil wir beide bei diesen Nachtfahrten nicht genug Schlaf kriegen. Wir gehen zusammen an Deck und setzen zuerst das Großsegel. Lea steht am Ruder, ich setze am Mast stehend das Segel. Weil der Wind nicht so wirkt, als würde er bald wieder abflauen, und weil es inzwischen wirklich frisch weht, die Wellen um uns herum regelmäßig Schaumkronen haben, setzen wir das Segel gleich ins dritte Reff. In dem Moment, in dem ich gerade die letzten Handgriffe mache, stirbt der Motor. Ich merke erst gar nicht, was los ist, weil dieser Moment auch sonst der Moment ist, in dem wir den Motor stoppen und erstmal unter Großsegel auf Kurs gehen, um dann das Vorsegel vorzubereiten. Lea sagt, dass der Motor von alleine ausgegangen ist. Mir fährt der Schreck in alle Glieder. Ich betätige den Anlasser, und der Motor springt an. Erleichterung. Aber statt rund zu laufen fängt er an zu stottern und stirbt wieder ab, trotz Gas geben. Entweder der Sprit ist alle oder er hat bei der heftigen Schaukelei trotz der fünfzig Liter, die eigentlich noch im Tank sein sollten, Luft gezogen. Oder er ist aus anderen Gründen kaputt. Klar ist jedenfalls: Der Motor läuft nicht mehr, wir sind auf hoher See, bis zum nächsten Hafen sind es noch dreißig Meilen, dort müssen wir unter Segeln anlegen, ein Sturmtief ist im Anzug.
Manchmal bringen mich solche Situation in einen merkwürdig effizienten Modus. Ich packe die große Genua, die vom Leichtwind am Abend zuvor noch an der Reling hängt, weg, ziehe sie dazu direkt unter Deck, ohne sie vorher ordentlich in den Sack zu packen, weil Wind und Wellen schon zu stark sind, um das große Segel ordentlich zusammenzulegen. (Merke: Nachts heißt Segel bergen Segel wegpacken.) Wir machen allein mit dem Großsegel im dritten Reff vier bis fünf Knoten Fahrt. Ich hole die Starkwindfock an Deck und schlage sie an, und bald sind wir wieder ordentlich besegelt. Wir haben einen etwas raumeren Kurs als Halbwindkurs, und mit der neuen Besegelung drückt uns der Wind mit sechs bis sieben Knoten konstant voran. Weil wir vor einer Leeküste fahren machen wir einen kleinen Luvbogen. Der Wind nimmt weiter zu, und auch die Wellen nehmen weiter zu. Ab und zu erwischt uns eine besonders große und legt uns so weit auf die Seite, dass das aufgefierte Großsegel durchs Wasser schleift. Scary. Aber noch will ich kein Segel wegnehmen. Wir wollen so bald wie möglich nach Fedje. Lea steuert das Boot durch die Wellen und ich plane unter Deck den Landfall und das Anlegen unter Segeln. Nicht einfach, aber wir haben Glück. Beim jetzt beständig wehenden West- bis Nordwestwind können wir Fedje gut anlaufen und auch durch die enge Fahrrinne der Einfahrt bis in den Hafen segeln. Der Steg, an den wir wollen, verläuft auch in der richtigen Richtung, also so, dass der Wind schräg davon weg weht. Wir können also einen Aufschießer machen und sind dann direkt längsseits, haben ein wenig Platz zum Auslaufen, und wenns nicht klappt ziehen wir das Segel schnell wieder hoch und versuchens nochmal. Vorausgesetzt, der Steg ist frei. Was ich sehr hoffe. Ansonsten ist hinter dem Steg noch eine holzverschalte Kaimauer, die auch als Gästesteg genutzt wird. Die ist allerdings problematisch, weil sie ganz hinten, südwestlich, im Hafenbecken liegt, und wir deshalb keinen Raum für den Aufschießer haben. Die Kaimauer müssten wir mit halbem Wind anlaufen, dann eine sehr enge Kurve fahren, um möglichst viel Fahrt zu verlieren, und dann die Restfahrt mit den Leinen bremsen. Riskant.
Als ich nach dieser Planung wieder an Deck komme, hat der Wind weiter zugenommen und weht jetzt mit fünf bis sechs Beaufort. Die Wellen erreichen eine Höhe von zweieinhalb Metern. Von der Seite ist das sehr unangenehm. Aber schon bald können wir abfallen und endlich, endlich mit raumem Wind Kurs auf Fedje nehmen, das noch etwa fünfzehn Meilen entfernt ist. Es ist neun Uhr, aber besonders hell ist es nicht geworden an diesem Vormittag. Der Himmel ist mit Wolken bedeckt, und nördlich und westlich von uns hat sicher Horizont langsam immer weiter eingedunkelt. Das Wetter vertieft sich langsam. für den Tag ist eine Besserung angekündigt, aber auch einzelne Schauerböen. Eine davon, eine ziemlich ausgedehnte, verfolgt uns jetzt also und kommt langsam näher. Etwa zehn Meilen vor Fedje bergen wir deshalb das Großsegel, um etwas Reserve zu haben. In der Schauerbö wird der Wind nochmal auffrischen, und mit beiden Segeln sind wir jetzt schon am Limit. Aimé surft die Wellen runter wie nichts Gutes, und im ganzen System ist viel Druck, das Boot lässt sich nicht so leicht auf Kurs halten. Mit dem Vorsegel allein stablisiert sich das Boot. Die Wellen schubsen nicht mehr so stark, sondern laufen jetzt wegen der geringeren Fahrt ruhig unterm Boot durch. Und mit dem Segeldruckpunkt weiter vorne lässt sich das Boot jetzt auch viel besser auf Kurs halten. Mit der Nervosität im Fahrverhalten schwindet auch meine eigene Nervosität. Ich kann wieder nach links und rechts schauen, sehe, wie die Wellen an den dunklen Felsen von Utvær brechen und weiße Gischt versprühen, sehe in der Ferne die Berge des norwegischen Festlandsockels, und vor uns erscheint langsam die Insel Fedje über dem Horizont.
Die Schauerbö erreicht uns kurz vor der Einfahrt in den Hafen. In der kleinen, nach Osten offenen Bucht vor dem Hafen drehen wir das Boot nur mit dem Vorsegel an den Wind und lassen uns mit langsamer fahrt über die Bucht ziehen, um Leinen und Fender vorzubereiten. Wir sind zu müde und erschöpft, um an die großen roten Fender zu denken, die wir eigentlich auch für solche Situationen an Bord haben. Weil die Teile aufgeblasen zu viel Platz wegnehmen, lagern sie ohne Luft unter Deck. Wahrscheinlich scheuen wir die Mühe und denken deshalb nicht mal daran. Es wird auch so gehen. Ich bin froh, dass wir den Hafen schon kennen und genau wissen, wie und wo wir zwischen den Perches -- den kleinen eisernen Stangen, die hier oft schmale Fahrwasser zwischen Untiefen hindurch bezeichnen -- fahren müssen, wieviel Platz wir im Hafenbecken haben und wo es tief genug ist für uns, um anzulegen, und wo nicht.
In der Einfahrt versuche ich nochmal, den Motor zu starten. Und tatsächlich springt er an! Große Erleichterung. Das ist unter diesen Windbedingungen dann doch einfacher und sicherer. Wir lassen das Segel zur Sicherheit aber noch oben, bis wir im Hafenbecken sind. Und bevor wir es runternehmen können, stirbt der Motor auch schon wieder ab. Also doch unter Segeln. Die Schauerbö schiebt uns schnell durch die Einfahrt, und als wir ins Hafenbecken einfahren, sehen wir, dass die beiden Schwimmstege, die für unser Manöver in Frage kommen, belegt sind. Am vorderen Schwimmsteg liegen zwei Yachten, am hinteren eine, allerdings eine sehr große, die den gesamten Platz belegt. Kurz überlege ich, einfach an der Yacht anzulegen und das Boot dann von Hand zu verholen, verwerfe den Gedanken aber wieder. Lieber nichts kaputt machen. Und der Kai noch hinter dem Schwimmsteg, am südwestlichen Ende des Hafenbeckens, ist frei. Auch wenn es nicht so günstig ist, möglich ist es doch.
Dann geht alles sehr schnell. Mit Rauschefahrt in der Bö sind wir am Schwimmsteg vorbei. Ich hole weit aus, lasse das Boot bis kurz vor den Fährkai fahren, steuere dann an der Südkante der Einfahrt mit halbem Wind entlang. Lea steht am Fall. Der Punkt, an dem das Segel geborgen wird, ist kritisch. Fällt das Segel zu früh, schaffen wir es nicht an den Steg und möglicherweise auch nicht mehr durch den Wind, weil wir ja mit halbem Wind anfahren müssen und keinen Aufschießer auf den Steg zu machen können. Erst ganz am Ende können wir drehen. Bergen wir das Segel zu spät, haben wir zuviel Fahrt und fahren am Steg vorbei gegen die schicke Aluyacht, die am Schwimmsteg direkt davor liegt. Insgesamt sind da nicht mehr als dreißig Meter Platz.
Das Segel fällt, Lea befestigt das Tuch mit einem schnellen Zeising, nimmt dann die Vorleine, und dann sind wir auch schon am Steg, ich lege das Ruder hart Steuerbord, versuche damit etwas Fahrt zu killen, bringe das Boot mit der scharfen Drehung dabei längsseits an den Steg. Lea klettert hoch -- der Steg ist etwa 1,5 Meter über der Bordwand (Tidengewässer!) -- und legt die Vorleine locker über einen Poller, wartet, bis das Boot steht. Bremsen könnte man besser mit der Achterleine, aber gegen den Wind halten kann man das Boot nur mit der Vorleine. Ein Dilemma, das wir zugunsten der Vorleine entschieden haben. Aber jetzt haben wir zuviel Fahrt und kommen der Aluyacht näher, Lea bringt etwas Zug auf die Vorleine, der Bug dreht zum Steg und macht mit der Bordkante einen nicht ganz sanften Einschlag in die Holzverschalung. Dann stehen wir. Ein kleiner Abdruck am Steg, am Boot ist nichts zu sehen, wir machen die Leinen fest. Ein Mann von der Aluyacht nimmt die Achterleine an, das Schiff kommt aus Holland und ist auf dem Rückweg. Wir sind jetzt erstmal hier fest. Es ist halb elf Uhr morgens und wir habens geschafft. Feierabend. Frühstück.

09. Aug. 2016

Liten Kuling -- Stiv Kuling
Jetzt sind wir wirklich auf dem Rückweg. Und haben es eilig. Niemand mit Zeit und Verstand fährt bei sechs bis sieben Beaufort gegenan. Wir wussten, worauf wir uns einlassen, der Wetterbericht hatte den kleinen Starkwind oder kleinen Sturm auch angekündigt: zeitweise liten kuling aus Südwest. Nach Südwesten wollten wir. Nach zwei Tagen mit wenig Wind hatten wir uns auf Wind gefreut. Liten kuling sind sechs Beaufort. Für Aimé eigentlich kein Problem, solange die Wellen nicht zu hoch sind. Und solange aus dem kleinen Starkwind kein richtiger Starkwind wird.
Eigentlich begann die Fahrt heute schon am Abend zuvor. Weil wir recht früh unser Tagesziel erreicht hatten, fuhren wir noch eine Stunde weiter und ankerten in einer Bucht, die ich im Norske Los -- das ist das sehr detaillierte offizielle Revierhandbuch des norwegischen Seekartenamts -- gefunden hatte. Harbaksvika, die Bucht, ist nach Süden und Südwesten prima geschützt. Aber nach Nordnordwest ist sie sehr weit offen. Windtechnisch war das kein Problem, weil in der Nacht der Wind schon aus Süden blies, aber durch den Schwell, der von See seinen Weg durch die Schären findet, und durch die Wellen vorbeifahrender Schiffe, lagen wir sehr unruhig.
Wegen der Pläne für den folgenden Tag war ich aufgeregt und konnte nicht gut einschlafen, wachte dann, als der Wind schon zunahm, immer wieder auf. Um sechs klingelte der Wecker. Es blies unglaublich böig und regnete in Strömen, die Sicht war so schlecht, dass wir kaum die Felsen um die Bucht sehen konnten. Kein Wetter um loszufahren.
Gegen zehn Uhr klarte es auf. Schnelles Frühstück, dann Kartenarbeit mit den aktuellen Wetterberichten, um zu entscheiden, ob wir den ursprünglich geplanten Weg außen an den Schären entlang und bis in einen vierzig Seemeilen Luftlinie entfernten Hafen noch schaffen wollen oder lieber innerhalb des Schärengürtels mühsam hundert Steine umkreuzen, dafür aber weniger Seegang und etwas weniger starken Wind haben, außerdem verschiedene Anlaufmöglichkeiten.
Wegen der Starkwindvorhersage und weil es schon spät war, entschieden wir uns für den Schutz der Schären, ohne hohe Wellen kreuzt es sich einfach angenehmer. Die Fahrt verlief auch gut, gegen Mittag kam die Sonne raus, es wurde ein herrliches Segeln inmitten einer kargen Fels- und Schärenlandschaft. Herrlich. Wir segelten mit unserer Starkwindfock und dem Großsegel im dritten Reff gute fünf Knoten hoch am Wind, konnten einige Strecken sogar anliegen. Erst gegen Nachmittag drehte der Wind etwas weiter südlich und wir mussten durch die engen Fjorde und Sunde aufkreuzen. Was vor allem anstrengend für die Navigation ist, die Lea übernommen hatte. Etwa zehn Meilen vor unserem Ziel, Uthaug, frischte der Wind weiter auf und wehte mit konstant sieben Beaufort. Wir segelten entlang einer Leeküste, keine halbe Seemeile vom steinigen Ufer, entlang einer schmalen Fahrrinne, von vorne kommt ein großes Schiff, von hinten kommt ein großes Schiff -- das war der Moment, an dem ich dachte: Warum zum Teufel sind wir denn heute losgefahren? Anstatt im Hafen oder vor Anker zu bleiben und den Tag zu genießen.
Wir kreuzten uns ein kleines Stück von der Küste frei und wechselten die Starkwindfock gegen die Sturmfock. Anfangs waren wir damit noch langsam, aber schon bald frischte der Wind noch weiter auf und Aimé segelte mit so wenig Tuch wie selten wieder gute vier Knoten gegenan. Bei Starkwind wird irgendwann der Wendewinkel immer schlechter, weil das Boot nicht mehr so hart am Wind zu halten ist. Die Segel müssen etwas offener gefahren werden, um noch Headway gegen Wind und Wellen zu machen.
Der Himmel zog sich zu, die Wolken verdichteten sich zu ausgedehnten Schauerböen, die uns ordentlich auf die Seite legten. Die Wellen wurden größer und wuschen jetzt immer wieder übers Deck. Wir blieben gut gelaunt, es waren die letzten zwei Meilen, bevor wir dann endlich endlich, am Ende des Tages, für zwei kurze Meilen nochmal dreißig Grad abfallen konnten und mit Rumpfgeschwindigkeit, 7,5 Knoten, auf den Hafen zuliefen. Der Hafen von Uthaug ist glücklicherweise recht weitläufig, sodass wir in den Hafen segeln konnten. Mussten wir auch. Mit unserem Motor wären wir kaum gegen die hohen, steilen und schnell laufenden Wellen angekommen. Ganz zu schweigen davon, dass das Bergen der Segel ein Affront gewesen wäre. Segelnd ging die Einfahrt also leichter. Nach der Einfahrt ein Aufschießer und im ruhigen Wasser dann entspannt einpacken. Der Fischer, der direkt nach uns einlief, trat kurz aus seinem Haus aufs Seitendeck und grüßte uns.
Wir haben keinen Windmesser an Bord, aber der aktualisierte Wetterbericht hatte die Winddaten für den Abend nochmal nach oben korrigiert auf 30 Knoten Wind, oder stiv kuling, wie das auf norwegisch heißt. Das finde ich jetzt natürlich wieder total abenteuerlich. Ich hab mir aber auch sehr fest vorgenommen, mir bei der nächsten Starkwindvorhersage genau zu überlegen, ob das jetzt sein muss. Oder eben lieber nicht.

Am nächsten Tag: Der Sturm hat sich in der Nacht ausgeweht, jetzt scheint wieder die Sonne, draußen ist Flaute. Wir fahren trotzdem los, müssen weiter, wollen weiter. Nicht zuletzt wegen der Düsenjets, die hier knapp über unserer Mastspitze ihren Landeanflug machen. Nicht weit von hier ist der wichtigste Stützpunkt der norwegischen Luftwaffe. Merkwürdig, für Pazifisten übel, andererseits lustig: Wie hier alle zwanzig Minuten das Dröhnen der Jets die postkartenidyllische Stille zerreißt.

03. Aug. 2016

Updates
Lange bin ich nicht in diese Reise reingekommen, und auf eine merkwürdige Weise bin ich zwischendurch immer noch seltsam detached. Vielleicht gelingt es mir deshalb nicht, regelmäßiger zu schreiben, obwohl ich mir das anfangs vorgenommen hatte. Seit einigen Tagen sind wir wieder auf der Rückreise, haben den Polarkreis in südlicher Richtung überquert und wollen jetzt zügig nach Süden kommen. Gestern sind wir mit einem langen Schlag bei gutem Wind aus nördlicher Richtung schon weit gekommen. Aber jetzt macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Schon gestern bei der Einfahrt in den Fjord kurz vor Roervik (o mit Strich durch) zog ein Gewitter vor uns von Land auf See, mit Blitz und Donner, die wir Gott sei Dank nur aus der Ferne sahen. Für heute waren auch Gewitter angesagt, deshalb sind wir in der Ankerbucht geblieben, wo wir gestern spät (gegen zwei Uhr nachts) angekommen sind. Morgen auch wieder Schauer- und Gewitterböen. Und übermorgen auch. Die beiden Tiefs, die hier langsam und unberechenbar die Küste hoch und runter ziehen, werden uns in den kommenden Tagen das Fahrtenleben schwer machen.

Wie dem auch sei. Nachfolgend kommt der erste Teil des Berichts von unseren Abenteuern seit der Entscheidung, über Nacht vom Festland aus hoch bis nach Sula zu fahren. Sula liegt am äußersten Ende eines Archipels, das von der Küste aus weit nach Nordwesten in die Norwegische See hinaus reicht, und ist eine der westlichsten ganzjährig bewohnten Siedlungen Norwegens.

Nachtfahrt

Gegen 15 Uhr kamen wir aus Hamsaroeya schließlich los. Motorten ein Stück, quer über die Bucht in den Sund hinein, und setzten dann die Segel. Wenig Wind, und, wie üblich auf dieser Reise, von vorn. Das neue flach geschnittene Vorsegel bringt uns aber gute Höhe und mit drei bis fünf Knoten kreuzen wir entspannt bis zur Ausfahrt. Schon an der ersten Kardinaltonne, die noch ein Stück in den Schären liegt, spüren wir die langen Bewegungen der Nordseedünung.
Gegen neun Uhr abends lassen wir die letzte Kardinaltonne an Steuerbord. Jetzt liegen noch etwa siebzig Meilen offene See vor uns, bis wir das kleine Archipel erreichen, in dem die Insel Sula liegt. Der Wind weht inzwischen mit vier Beaufort aus Norden und wir haben das Großsegel ins erste Reff gesetzt. Die Wellen einer alten Dünung laufen jetzt mit 1,5 bis zwei Metern unter Aimé durch. Dazu kommt eine Windsee von einem halben bis einem Meter. Im besten Fall steigt Aimé die langen Wellen sanft hinauf und gleitet auf dem Wellenrücken sanft wieder hinunter. Immer wieder aber trifft sich eine der steileren Windseen mit einer langen Dünungswelle, und just auf dem Wellenkamm oben wird der Bug nochmal um einen guten halben Meter angehoben, bevor er dann mit einem Ruck ins dahinter liegende, zwei Meter tiefe Wellental fällt. Der seetüchtig geschnittene Rumpf taucht dann zwar nicht gerade sanft ein, aber er schlägt auch nicht auf, wie man es von den meisten Serienyachten kennt. Nur ab und an gibt es eine kleine Erschütterung, wenn der Abhang doch zu steil ist.
L. und ich haben uns in Wachen eingeteilt, zwei Stunden sind wir jeweils oben an Deck, beobachten die Situation, den Plotter, die Segelstellung. Ich übernehme die erste Wache von zehn bis zwölf, weil ich sowieso noch nicht schlafen kann. Der Himmel ist bedeckt, trotzdem wird es nicht dunkel. Das Meer ist in ein pastellfarbenes Zwielicht getaucht. Der Seegang ist jetzt regelmäßiger, und das Boot zieht am Wind seine weite Bahn. Ab und an drückt uns eine Bö auf die Seite, schwappt Seewasser übers Vorschiff, insgesamt aber ist das Wetter ruhig.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht taucht in der Ferne an Backbord ein Kreuzfahrtschiff auf. Ich sehe es von weitem hell erleuchtet, lange bevor das AIS-Signal auf dem Kartenplotter sichtbar wird. Ein paar Fischer sind unterwegs. Die sind allerdings im Zwielicht nicht gut zu sehen, aber auf dem Plotter kann ich sehen, wie sie vor der Küste langsam ihre Kreise ziehen.
Als Lea ihre Wache antritt bin ich immer noch nicht müde. Es ist das erste Mal seit der fordernden Überfahrt von Skagen nach Norwegen, dass wir uns für längere Zeit auf die Nordsee wagen, oder hier eben auf die norwegische See, den küstennahen Teil des Nordatlantiks. Atlantik. Davon hab ich oft geträumt, vor allem tagsüber, und habe lange Fahrten geplant auf meiner elektronischen Seekarte. Jetzt sind wir da, unterwegs, segeln hoch am Wind an einer Kette von weit ins Meer hinaus reichenden kleinen Inseln und Schären entlang, die auf unserer Leeseite liegen, in einem Gebiet, das uns mit seinen heftigen Wetterwechseln schon oft genug überrascht und gut angestrengt hat.
Anstatt mich schlafen zu legen, hundemüde wie ich bin, setze ich mich an den Plotter und arbeite B-Pläne aus für den Fall, dass der Wind auffrischt. Wir segeln in Luv der Schären und Felsen, und bei konstanten vier Beaufort, die wir jetzt haben, ist das auch kein Problem. Aber bei sechs bis sieben -- und solche plötzlichen Windwechsel haben wir hier schon erlebt -- und einer Strömung, die uns nach Norden versetzt, auf die Inseln und die vorgelagerten Felsen zu, können wir diesen Kurs nicht halten. Kurz überlege ich, ob wir dem Kreuzfahrtschiff folgen sollen, das Kurs auf die Trondheimsleia genommen hat, das breite Fahrwasser, das innerhalb des Schärengartens bis zum Trondheimsfjord und weiter verläuft. Aber wir haben uns nicht ohne Grund entschieden, hoch am Wind nicht nur Strecke nach Norden, sondern auch etwas Höhe nach Westen gut zu machen. Für die nächsten Tage sind weiter nördliche Winde angesagt, Sula ist dafür ein guter Ausgangspunkt. Und nach einigen Tagen mit wenig Wind erfüllt sich in dieser Nacht zumindest unsere Hoffnung, vor der Küste etwas mehr Wind zu finden.
Nachdem ich die schmalen Einfahrten in die Schären in der Karte gefunden und im Hafenhandbuch einige Häfen identifiziert habe, die bei jedem Wetter angelaufen werden können, sind meine freien zwei Stunden fast vorbei. Ich atme tief durch und lausche auf die Geräusche, die das Boot macht. Die Großschot knarzt, wenn sie Winddruck kriegt, außen am rumpf gluckert das Wasser vorbei, ab und an klatscht in Luv eine Welle gegen den Rumpf, die Dirk klopft leise am Großsegel, in den Schapps klackern die Kleinteile im Rhythmus der Wellenbewegung.
Ich ziehe mir die Segelhose an. Drunter trage ich zwei lange Unterhosen, eine etwas dünnere aus Fleece und eine dicke, flauschige aus schweizer Armeebeständen, außerdem noch eine weit geschnittene normale Hose. Unter der gefütterten Segeljacke habe ich noch einen Wollpullover und einen Kapuzenpullover, um den Kopf warm zu halten. Obwohl es nicht ganz dunkel wird, ist es in der Nacht kälter als tagsüber, und im Wind kühlt man sehr schnell aus. Mit der Montur macht es aber viel Spaß.
Oben an Deck, im Cockpit, erklärt Lea mir die Situation: Kreuzfahrtschiff ist weg, zwei Fischer an Backbord müssen weiter beobachtet werden, kommen uns aber wahrscheinlich nicht in die Quere, Wind weht konstant, Kurs ist der gleiche. Na dann gute Nacht. Lea verschwindet unter Deck und legt sich schlafen. Für die Fahrt haben wir das Bett im Salon eingerichtet, auf der Steuerbordseite. Das ist von den Schiffsbewegungen her der ruhigste Platz. Und man kann im Bedarfsfall aktiviert werden, zum Beispiel für Segelmanöver oder navigatorisch schwierige Passagen.
Und während ich Lea unten so ruhig schlafen sehe, denke ich daran, dass hier auf unserer Reise ein übermäßiges Risiko durch nichts gerechtfertigt ist, und dass es richtig war, die Reisepläne umzuschreiben und an der Küste entlang nach Norden zu segeln. Der zweite Gedanke ist, dass wir jetzt aber wieder auf offener See sind, und dass wir diese Entscheidung im vollen Bewusstsein für alle Möglichkeiten von Flaute bis Starkwind getroffen haben, weil wir wissen, dass wir ein seetüchtiges Boot haben, mit dem wir alle Eventualitäten meistern können. Kann Lea deshalb gut schlafen? Und ich eben gerade nicht? Weil ich das noch nicht angenommen habe, weil mir das unbedingte Vertrauen in das Schiff noch fehlt? Vielleicht ist es nicht nur das Vertrauen ins Schiff, sondern auch das Vertrauen in uns, die Besatzung, und vor allem das Vertrauen in mich selbst. Und hierbei weniger das Vertrauen auf meine Fähigkeiten und Erfahrungen als Skipper, sondern meine Fähigkeiten als Bootsbastler und -manager. Ist das Rigg richtig gespannt? Hält der Mast den Druck wirklich aus, obwohl er manchmal die verbotene S-Kurve macht? Bleibt die Hydraulik dicht und wird der Schlupf auf dem Level bleiben und sich nicht verschlimmern? Springt der Motor an, wenn wir ihn brauchen, und bleibt er an und geht nicht mitten in der Hafeneinfahrt aus? Bleibt der Kühlwasserschlauch dicht, obwohl er als Waschmaschinenschlauch nicht notwendig für diesen Zweck entworfen wurde?
Objekte Gründe sind bei solchen Zweifeln zwar nicht restlos überzeugend, aber schon hilfreich: Bis hierher sind wir ohne einen einzigen plötzlichen Schaden gekommen. Klar, das übliche hat sich ergeben: Ein Griff an der Luke achtern ist ein wenig undicht und muss nachgezogen werden, hier und da gibt es ein paar Roststellen, im Dieseltank wohnen ein paar Mikroben zuviel (okay: ein paar Millionen Mikroben), aber alles in allem hat alles gut gehalten, auch bei sehr viel Wind, auch bei massivem Wellengang, und beides von vorn. Dieses Boot ist seetüchtig as can be. Hat es also etwas mit meinem Vertrauen in die Welt und in die Zukunft zu tun? Dem Vertrauen, Dass da nach der Schauerbö, die am Horizont aufzieht und uns erwischen wird, wieder die pastellfarbene Nacht mit ihren vier Beaufort aus Nordwest wiederkehrt, und dass wir dann auch wieder ausreffen können, wenn wir überhaupt einreffen müssen? Das, und die Sicherheit, dass wir schon rechtzeitig einreffen, dass wir aufmerksam genug sind und nicht mehr so häufig überrascht werden, und dass wir, auch wenn wir überrascht werden, beherzt und doch ruhig die Segel reffen, bergen, wechseln werden.
Nachtgedanken. Irgendwann schweifen meine Assoziationen dann weiter und ich denke an alles Mögliche und zwischendurch auch einfach an gar nichts. Müde. Um vier Uhr morgens löst Lea mich ab. Inzwischen ist es wieder hell geworden, bis Sula bleiben noch etwa vierzig Meilen. Ich gehe unter Deck, ziehe meine Segelklamotten aus, lege mich in die Koje und schlafe.
Um halb sieben weckt Lea mich. Der Wind hat abgeflaut und wir machen zuwenig Fahrt. Wir reffen das Großsegel aus. Noch ist Sula nicht zu sehen, und auch sonst ist um uns herum kein Land in Sicht. Es ist immer wieder ein großartiges, aber auch merkwürdiges Gefühl, hier Manöver zu machen. Totale Selbstbezüglichkeit, Selbstgenügsamkeit, frei gewählt und dann zur Notwendigkeit geworden, weil wir hier eben erstmal vor allem auf uns selbst gestellt sind. Da werden dann die Gedanken auch gerne mal groß und selbstbezüglich. Erstmal Kaffee. Danach sieht die Welt wieder etwas konkreter aus. Noch knapp dreißig Meilen bis Sula, am frühen Nachmittag sollten wir dort ankommen. Der Wetterbericht, den wir über Navtex empfangen haben, meldet stabile Wetterlage mit nördlichen Winden zwischen drei und fünf Beaufort.
Gegen Mittag kommen die ersten Felsen in Sicht. Kurze Zeit später schläft der Wind ein. Wir bergen die Segel und motoren die letzten zehn Meilen bis zur Einfahrt in die Schären und weiter bis zum Hafen. Ein wenig erschöpft und glücklich, nach vierundzwanzig Stunden Segeln am Ziel zu sein, navigieren wir zwischen den Inseln hindurch und endlich in den Hafen. Wir machen am Gästeschwimmsteg fest und freuen uns, dass wir die Leinen mal wieder gezeitenunabhängig kurz machen können.
Nach einem kleinen Mittagessen machen wir uns trotz Müdigkeit auf, um die Gegend ein wenig zu erkunden. Wir spazieren zum Leuchtturm, der westlich auf einem kleinen Hügel steht. Von See aus konnte man sehen, wie sich die Häuser auf der wetterabgewandten Seite dieses Hügels gruppieren. Man hat hier einen guten Blick über das ganze Schärengebiet, das sich um Sula herum lagert.
Auf dem Rückweg kehren wir im Pub ein, der direkt am Hafen liegt und zusammen mit dem kleinen Einkaufsladen und der Landungsbrücke für die Schnellfähre das Zentrum des öffentlichen Lebens hier ist.
Drinnen sitzen drei Gäste mit Essen und Getränken. Die Wirtin steht an der Bar und blättert in einer Zeitschrift. Das Motto des Raums ist "Schiff". An der Wand hängt eine große Bronzetafel, die wohl früher an einer großen Maschine befestigt war, jedenfalls informiert sie darüber, dass dieser Dieselmotor von der Firma XY in Schweden hergestellt wurde, anno 1956. Die Lampen an der Decke sind Schiffslampen nachempfunden, an den Wänden hängt maritime Stimmungsdeko, ein Stück Fischernetz, ein kleines Nebelhorn, ein alter Südwester, in einer Vitrine steht ein Modellschiff. Auch von der Größe her erinnert der Raum an Schiff. Die Decke ist niedrig, zwischen den Tischen ist nicht besonders viel Platz, aber doch genug, dass man gut durchkommt, alles ist funktional gestellt und doch auf Gemütlichkeit gerichtet. Aus den Boxen kommen französische Chansons, was dem Ganzen einen merkwürdigen Touch gibt, der zwischen mediterranem Flair und der Tristesse einer Kaurismäki-Szene schankt. Am Stammtisch vorne in der Ecke sitzen drei Gäste mit Essen und Bier. Wir werden auf Norwegisch begrüßt, aber ein Wechsel auf Englisch gelingt trotz unseres auf Norwegisch geradebrechtem Spruch, dass wir kein Norwegisch können, nicht so gut.
Auf der Speisekarte stehen ein Wildgericht, eine Quiche (Chanson!), ein Fischburger und eine Fischsuppe. Ich nehme die Fischsuppe und bin nach den ersten skeptischen Bissen ziemlich begeistert. Am Nebentisch spricht man über die Tyske, die Deutschen, und ich höre vor allem ein wenig Neugier in den kurzen Wortwechseln mit der Wirtin.
Beim Zahlen geben wir großzügig Trinkgeld, wegen dem Spruch am Geldbecher: Wir sparen auf ein Segelboot. Auch andere Gäste, die nach uns kommen, lachen über diesen Satz. Lustig ist der vor allem, weil hier eigentlich alle ein Boot haben, und es deshalb nicht lustig wäre, da hinzuschreiben: Wir sparen auf ein Boot. Segelboote sind aber eher selten, die meisten Leute sind mit Motorbooten unterwegs, weil man damit die Strecken zwischen den Inseln schneller zurücklegen kann und auch beim Ankern und Anlegen in Häfen flexibler ist als mit einem Segelboot, das nur langsam unterwegs ist. Segelboote sind vor allem Urlaubs- und Freizeitboote, während man ein kleines Motorboot auch notwendig braucht, um Freunde zu besuchen oder auf dem Festland einzukaufen.

Hundert-Meilen-Stiefel

Am nächsten Tag schlafen wir lange aus und erholen uns ein wenig an Bord. Gegen Mittag checken wir den Wetterbericht und planen die nächsten Tage. Der leichte Nordwind soll noch einen Tag bleiben, danach ist Flaute angesagt. Weil die Nachtfahrt gut geklappt hat und wir mit einem langen Schlag hundert Meilen geschafft haben, und weil sich diese Hundert-Meilen-Stiefel ziemlich gut anfühlen, beschließen wir, den Wind noch zu nutzen und die kommende Nacht wieder durchzufahren, bis Roervik, dem nächsten Milestone auf unserer Reise nach Norden.
Gegen fünf Uhr nachmittags lösen wir die Leinen. Das erste Stück, das durch eine enge und nicht trivial zu navigierende Fahrrinne zwischen den Schären und Felsen, über und unter Wasser, hindurch führt, motoren wir. Nach etwa zwei Seemeilen öffnet sich das Fahrwasser und wir setzen die Segel. Segeln an einer Fischfarm vorbei, die sich hier an die Felsen gehängt hat. Weil nicht besonders viel Platz ist können wir hier nicht den gleichen Respektabstand halten wie sonst und fahren recht dicht an den mit Netzen überspannten Käfigen vorbei. Es platscht und plätschert von dort, ständig springen Fische hoch, bis an die Netze. Und keine kleinen. Ich stelle mir vor, wie das unter Wasser aussehen muss. Ein ganzer Schwarm dicht gedrängt gehalten von einem engmaschigen Zaun. Die Farm hat fünf solche Käfige, an jeden sind eine Reihe von Schläuchen angeschlossen, und ich frage mich, ob die Fische auf diese Weise nicht nur gefüttert, sondern auch geerntet werden?
Dann sind wir an der Fischfarm vorbei gesegelt, fallen nach Steuerbord ab, segeln durch eine schmale, aber tiefe Durchfahrt und sind dann im offenen Wasser des Frohavet, das zwischen dem Schärengürtel zwischen Sula und dem Leuchtturm Halten liegt. Wir segeln in Lee des Schärengürtels bei wenig Wind, kommen aber mit drei bis vier Knoten noch passabel voran, sodass wir die Segel stehen lassen. gegen Mitternacht liegt der Leuchtturm Halten querab, wir verlassen das Frohavet und segeln wieder hinaus auf die Norwegische See. Eine lange, alte Dünung schaukelt uns. Der Wind bleibt schwach und dreht, anders als vorhergesagt, nicht auf Nordwest, sondern bleibt nördlich, sodass wir unser Ziel, Roervik, nicht mehr anliegen können. Wir fallen ab und erreichen am frühen Vormittag etwa dreißig Meilen vor Roervik die Küste. Hier schläft der Wind ganz ein. Wir nehmen die Segel runter und starten den Motor.
Seit wir die Fjorde und inneren Fahrwasser verlassen haben, haben wir kein anderes Segelboot mehr gesehen. Aber jetzt kommt von Süden her langsam eins näher, wie wir unter Motor. Überholer muss sich freihalten, also bleibt unser Autopilot auf Kurs. Peilung wandert nur wenig aus, und ich frage mich, wann die denn drehen? Gar nicht, das Boot passiert trotzdem etwa fünfzig Meter entfernt an Backbord. Es ist niemand an Deck. Na gut. Deshalb vielleicht offene See?
Wir halten trotzdem weiter gut Ausschau. Als plötzlich das Echolot von unendlicher Tiefe (>=200 Meter) auf 13,4 Meter springt. Dann auf 12, 11, neun Meter. Dann wieder 15, Lea ist schon am Plotter und ruft Entwarnung: Hier gibt es nicht mal Unterwasserberge, die so hoch reichen würden. Unser Echolot spinnt. Ich denke an Fische, aber dafür sind die Messungen zu konstant. Ich schalte das Gerät aus und wieder ein. Es zeigt weiter Tiefen zwischen neun und zwanzig Metern. Hat sich vielleicht irgendwas auf das Glas des Gebers gesetzt, eine besonders geformte Pocke, die das Echo so zurückwirft, dass es konstant diese falschen Werte anzeigt? Nach einer halben Stunde, ein Fischer hat gerade unseren Kurs gequert, beschließen wir, dass es doch Fische sein müssen, die hier entlang der Küste ziehen. Riesige Schwärme, das Echolot zeigt die ganzen verbleibenden vier, fünf Stunden bis zur Einfahrt nach Roervik diese Werte. Nur ganz selten klafft eine Lücke im Schwarm und das Echolot zeigt die drei bekannten Striche, die es bei dieser Tiefe zeigen soll. Um dann wieder zurück zu springen. Kurz überlege ich, den Trolling-Köder auszuwerfen, den ich dabei habe, einfach um auch zu sehen, was denn da für Fische die ganze Zeit unter uns schwimmen. Ich lasse es dann aber bleiben. Einmal fürchte ich, dass ein wirklich großer Fisch dran gehen könnte und ich den dann nicht an Bord kriege. Oder der mich runterzieht. In die Tiefe. Nach unten, zwischen die Unterwasserberge, durch Täler und Felder und Wiesen und Wälder aus Algen, Quallen und Granit, in die Schwärme dieser Fischleiber hinein.
Außerdem ist gerade keine Essenszeit. Und ich fange aus Prinzip keinen Fisch, den ich nicht esse. Nur wenn er zu klein ist gebe ich ihn wieder ins Meer.
Am frühen Abend erreichen wir Roervik. Am Gästesteg ist noch ein letzter Platz frei, in den Aimé gerade so hineinpasst. Weil nur sehr wenig Platz ist und der Wind seitlich weht, manövrieren wir uns rückwärts in die Gasse. Ein freundlicher Stegnachbar nimmt unsere Leine an. Wir schaffen es mit Motorkraft allein nur bis etwa zwei Meter neben den Steg. Die erste Leinenübergabe scheitert, die Leine fällt ins Wasser. Der nette Herr zeigt ganz erstaunlichen Einsatz, legt sich bäuchlings auf den Steg und angelt nach der Leine, erreicht sie aber nicht. Der zweite Versuch klappt besser. Wir belegen die Leine als Spring und ziehen uns dann ganz langsam an den Steg. Wir sind erschöpft, aber glücklich darüber, dass wir diese kleine selbstgestellte Probe gut bestanden und in kurzer Zeit viel Strecke gemacht haben. Und über das Erlebnis der pastellfarbenen See vor Sula, dem Blick aufs Meer bis zum Horizont.

Mitternachtsdämmerung

Wir bleiben einen Tag in Roervik, um Klamotten zu waschen und uns nach den beiden langen Etappen ein wenig auszuruhen. Unterwegs sein kostet Kraft, auch wenn wir versuchen, möglichst *sustainable* zu segeln, also so, dass wir ständig bei Kräften bleiben, und uns nicht auspowern mit Blick auf den sicheren Hafen und die Ruhezeit nach der Fahrt. So richtig haut das aber eben noch nicht hin.
Roervik ist ein größerer Hafen, für Freizeit, Industrie und Fischerei. Die Stadt selbst ist allerdings sehr verstreut. Am Hafen gibt es die üblichen Bootsläden für Motoren und Bootszubehör, außerdem einen Baumarkt und zwei Tankstellen, die für Boote und Autos zugleich gedacht und deshalb direkt am Wasser gebaut sind. Hier tanken Boote und Autos aus dem gleichen Zapfhahn. Das zeigt ein bisschen, welche Rolle hier die kleinen Motorboote spielen, die man ständig über die Fjorde heizen sieht. Viele Ferienhäuser, die man hier und da auf die eine oder andere kleine Insel gebaut hat, sind nur mit dem Boot erreichbar. Und viele Wege sind mit dem eigenen Boot schneller zu machen, weil mit dem Auto entweder Fähren oder Brücken benutzt werden müssen und deshalb oft große Umwege zu machen sind, obwohl der Fährverkehr in Norwegen wirklich gut entwickelt und ausgebaut ist. Jedenfalls begegnen uns ständig Fähren, die zwischen den größeren Inseln und dem Festland oder quer über tief ins Land schneidende Fjorde verkehren.
Jeden Abend begegnen sich hier die beiden Hurtigschiffe, die zwischen Bergen und einem Ort im fernen Norden verkehren, der mir nicht bekannt ist. In Norwegen gibt es einen Fernsehkanal, der rund um die Uhr einen Livestream von einem der Hurtigschiffe sendet, die auf der Hurtigrute durch die Fjorde und Schärengürtel der norwegischen Küste fahren. Vielleicht ist das hier das, was früher auf Bayern 3 die Space Night war? Ob die auf dem Hurtigruten-Livestream auch entsprechende Musik laufen haben?
Neben den Bootsläden und Tankstellen gibt es noch mehrere Supermärkte mit großen Parkplätzen und eine kleine Fußgängerzone mit kleineren Läden. Dazu noch einen Pub. Das zusammen ist wahrscheinlich das, was man hier Zentrum nennt. Aber wirklich verdichtet ist das Leben hier nicht. Auf dem kurzen Weg vom Hafen zu diesem Zentrum laufen wir an einer Reihe von Häusern vorbei, die hier in bester Lage verfallen. Die Dächer werden von einer Unzahl an Möwen bewohnt, die hier ihre Nester gebaut haben. Die jungen Möwen machen Flugübungen und flattern laut krächzend knapp über unsere Köpfe.
Wir nutzen den Ruhetag, um unsere Vorräte im Supermarkt ein wenig zu ergänzen. Vor allem Süßkram wird gebraucht, aber auch Marmelade, Brot und frisches Gemüse. Im Supermarkt hören wir plötzlich Deutsch, ein Mann und eine Frau überlegen, woran sie normale Milch erkennen. Später, beim Spaziergang zum äußeren Hafen, wo wir die spektakuläre Begegnung der beiden Hurtigboote verfolgen und fotografieren können -- die beiden Boote fahren sehr, sehr langsam aneinander vorbei, an Deck stehen die Passagiere und jubeln sich gegenseitig zu --, kommen wir an einem kleinen Appartmentkomplex vorbei, die Autos auf dem Parkplatz haben vor allem deutsche Kennzeichen.
Als wir zurück zum Boot kommen erwartet uns ein älterer Mann, den wir zuvor schon auf einem Segelboot gesehen haben, das am Steg gegenüber liegt. Er spricht uns auf unser Boot an, auf deutsch (überhaupt sprechen hier fast alle Menschen deutsch fast so gut wie englisch), und erzählt dann, dass er sein Boot gerade gekauft hat und es jetzt von Bodö (o mit Strich durch) nach Trondheim überführt. Das Boot heißt Jazz und macht einen robusten Eindruck. GFK-Bau aus den siebziger Jahren, als man GFK noch massiv und im Handauflegeverfahren zu stabilen und langlebigen Bootsrümpfen verarbeitet hat. Er empfiehlt uns die Insel Budö als Anlaufpunkt, das Restaurant dort mache einen erstklassigen portugiesisch zubereiteten Dorsch. Es ist 25 Jahre her, dass er gesegelt ist, und jetzt hat er sich dieses Boot gekauft. Gerne hätte ich seine Geschichte gehört, aber es ist spät und wir wollen am nächsten Tag früh los. Der Wetterbericht hat Südwestwind der Stärke sechs bis sieben angekündigt, und den wollen wir nutzen, um nochmal ein gutes Stück nach Norden zu kommen. Wir laden ihn also nicht zu uns ein, und irgendwann gehen alle ihrer Wege. Er will weiter nach Süden, seine Söhne sind an Bord, und sie wollen warten, bis sich der Wind wieder ändert. Wir wünschen uns gegenseitig eine gute Fahrt.
Am nächsten Tag regnet es in Strömen. Und es stürmt ziemlich. Der norwegische Wetterdienst hat für diese Windstärke einen eher niedlichen Ausdruck: liten kuling heißt soviel wie "kleiner Starkwind" oder "little gale". Und mit kleinem Starkwind meinen die hier einen Wind mit sieben Beaufort. Acht Beaufort sind Starkwind. Und dann kommen erst die Sturmtitel. Wir bleiben jedenfalls angesichts des Starkregens, der da mit dem Starkwind gekommen ist, noch ein bisschen im Bett liegen. Frühstücken gemütlich. Auch wenn wir innerhalb des Schärengürtels segeln und dort keinen Seegang haben, sind wir am Ende halt doch Ostseesegler, die bei sieben nicht freudestrahlend die Leinen losmachen.
Gegen elf Uhr ist es dann aber doch soweit. Der kleine Starkwind weht immer noch sehr kräftig, aber der Regen ist etwas weniger geworden. Wir binden noch am Liegeplatz das dritte Reff ins Großsegel und schlagen unsere Starkwindfock an. Mit dieser Besegelung sollte es eigentlich gut gehen. Dann werfen wir die Leinen los. Der Wind drückt uns seitlich auf den Steg. Wir müssen, weil es so eng ist, vorwärts raus, und dampfen in die Achterspring ein, um den Bug rauszudrehen. Aber der Wind ist so stark, dass Lea mit dem Bootshaken und ihrem ganzen Gewicht noch mitdrücken muss. Damit kommen wir dann gut weg. Im äußeren Hafenbecken klarieren wir die Leinen und packen dann in Ruhe Leinen und Fender weg. Ein großer Katamaran, mit Piratenflagge unter der Backbordsaling, fährt an uns vorbei. Die Kollegen haben ihren Gennaker angeschlagen. Und während wir vor dem Hafen unsere Starkwindbesegelung hochziehen, wird auf dem Katamaran der Gennaker ausgerollt. Das Rigg auf dem Katamaran ist aber auch etwas anders gestaltet als unseres. Der Mast ist im Vergleich zur Größe des Rumpfs recht klein, und der Gennaker ist deshalb ebenfalls nicht besonders groß. Mit unserer kleinen Besegelung können wir deshalb sogar eine Weile mit dem Kat mithalten, bis er dann auf seinen zwei Rümpfen voraus in den Regenschleiern langsam verschwindet.
Weil der Wind in den Düsen zwischen den Inseln nochmal heftiger weht, bergen wir das Großsegel und fahren eine Weile nur mit der Starkwindfock, die wir aber schon bald gegen die 35er Arbeitsfock tauschen. Mit dieser Besegelung zieht der Wind uns gut, es gibt aber noch genug Reserve für die Böen, und so segeln wir mit fünf bis sieben Knoten zügig gen Norden. Als später der Wind etwas abflaut setzen wir das Großsegel, erst im zweiten Reff, später ganz. Als Zwischenstop haben wir den Hafen Tjoetta gewählt, der günstig an unserer Gesamtroute gelegen ist. Eine Stunde nach Mitternacht, im Dämmerlicht, schläft der Wind ein. Wir bergen die Segel und motoren die letzten fünf Meilen. In Tjoetta ist der Gästesteg komplett belegt. Auch sonst gibt es im Hafen keine Liegemöglichkeit. Wir sind müde. Der Norske Los, der norwegische Lotse, ein Handbuch für alle Seefahrer, empfiehlt als Ankerplatz die Bucht direkt neben dem Hafen. Gegen zwei fällt dort unser Anker, und um halb drei liegen wir im Bett, hundemüde, erschöpft, froh um den guten Segeltag. Einschlafen ist nicht einfach, weil es noch so dämmrig ist wie im deutschen Hochsommer gegen zehn Uhr abends. Wir fahren der Mitternachtssonne hinterher und haben hier, eine Tagesreise südlich des Polarkreises, schonmal Mitternachtsdämmerung.

31. Jul. 2016

Sula
Die letzte Woche brachte einen Crewwechsel, seit einigen Tagen sind L. und ich zu zweit unterwegs. Wir wollen weiter nach Norden, und in den ersten zwei, drei Tagen kamen wir mit südlichen Winden auch gut voran. Inzwischen bringt eine ausgedehnte, flache Tiefdruckzone vor der Küste aber nördliche Winde, die noch dazu nur sehr schwach wehen, sodass wir mehr motoren müssen als sonst. Und weil wir nicht so gerne motoren machen wir weniger Strecke als geplant. Deshalb haben wir uns entschieden, unser Glück jetzt vor der Küste zu suchen und einen längeren Abschnitt nonstop auf See zu machen. Jetzt gerade liegen wir in einem kleinen Hafen zehn Meilen nördlich von Alesund. Von hier aus bis zum nächsten Etappenziel, Sula, sind es etwa einhundert Meilen. Wenn alles gut läuft, sollten wir das in dreißig Stunden schaffen. Ich bin gespannt. Es ist eine Weile her, dass wir länger auf See unterwegs waren. Das Wetter ist durchwachsen: Wind von vorn, Regen. Aber Starkwind oder Sturm sind nicht zu erwarten, eher zu schwacher Wind. Wir werden sehen.
Ich bin gespannt, ob wir unseren Modus gut umstellen können von Tagestörns, die, neben dem Genuss der Landschaft unterwegs und ab und an auch schönen Segelphasen, viel aufs Ankommen und dann Ausruhen gerichtet sind, auf Nonstopfahrt, bei der man sich unterwegs ausruht und fit hält. Dass wir bereit sind, daran zweifle ich nicht. Aufregend ist es trotzdem. Alle Systeme sind gecheckt, bisher hat sich auf der Fahrt auch alles gut bewährt, das Boot ist seetüchtig, und ich glaube, wir sind es inzwischen auch.

12. Jul. 2016

strange place for snow
wir sind viel unterwegs gewesen, und die bedingungen sind weiterhin anstrengend bis erschöpfend. deshalb schreibe ich nur wenig. es regnet viel, daran haben wir uns inzwischen gewöhnt. außerdem wird es kälter. vierzehn grad, maximal. sonst auch gerne mal um die zehn. lange unterhosen, lange hosen, darüber die regenhose, gegen nässe und wind, langärmliges shirt, kapuzenpulli, wollpullover und gefütterte segeljacke, und ohne handschuhe werden die hände nach einer halben stunde steif.
seit zwei tagen liegen wir in rosendal, am eingang des hardangerfjords. die berge erheben sich hier vom ufer weg bis auf zweitausend meter. die einfahrt in den fjord war ein bisschen so, als würde man in ein überflutetes alpental einfahren. und in der tat sind die berge hier alpin. vom hafen aus können wir einen gletscherberg sehen, und ringsum auf den bergen liegt schnee. wir sind wirklich im norden angekommen.
die fahrt bis tananger war abwechslungsreich. ums kap lindesnes, das südlichste kap norwegens, fuhr uns nochmal ein starker südwestwind in die segel, bei bis zu sieben beaufort am kap, aus südwest, mussten wir uns um diesen punkt noch herumkämpfen. aber jetzt waren die bedingungen nicht mehr so neu für uns, mit der starkwindfock und dem großsegel im dritten reff arbeiteten wir uns schritt für schritt voran, bis wir dann nach dem kap etwas abfallen konnten und mit einem schrick in den schoten bei guter geschwindigkeit bis zum hafen farsund segeln konnten.
ein netter junger typ von einem polnischen zweimaster nahm unsere leinen an. die yacht war ein gutes stück vor uns ums kap gekreuzt, gut erkennbar daran, dass sie nur ein stück vom vorsegel und das kleine besansegel gesetzt hatten. auch am nächsten tag haben wir die gleiche route. der zweimaster wählt einen etwas landseitigeren kurs, während wir uns einen kleinen luvbogen erlauben, der uns ein stück von der küste wegführt. das erste mal seit göteborg kommt an diesem tag der wind nicht von vorne, und wir genießen das segeln auf raumwindkurs. mit dem wind und den wellen schräg von hinten spielt aimé ihr geschwindigkeitspotenzial aus, und schon bald lassen wir den etwas gemütlicher segelnden zweimaster achteraus. erst am späten nachmittag dreht der wind, kurz vor dem leuchtturm egeroe, der das letzte kap markiert, das wir heute runden wollen. also schalten wir wieder auf den am-wind-modus um und kreuzen bis zu einer kleinen bucht auf der nordseite der nördlichen einfahrt nach egersund.
die bucht ist im revierführer beschrieben, den wir dabei haben, und offenbar hat die polnische yacht den gleichen führer, denn etwa eine stunde nach unserer ankunft läuft das boot auch in die bucht ein. wir liegen längsseits an einem steg, der eigentlich für das anlegen mit heckanker und bugleinen vorgesehen ist. aber weil die saison hier noch immer nicht so richtig angefangen hat, ist das okay. nur die tiefe stimmt nicht ganz. als wir schon fest sind merke ich, dass das boot mit dem kiel den fels touchiert. nicht schlimm, nur ganz sachte, aber es reicht, um sofort wieder abzulegen, ein stück weit ins becken der bucht hinein zu fahren und den anker zu werfen. die anderen segler dankens uns und legen sich auf den frei gewordenen platz.
am nächsten tag schlafen wir aus. wind soll es erst ab dem nachmittag geben. aber ich bin's zufrieden. von egersund bis tananger ist ein letztes längeres ungeschütztes stück küste zu bewältigen, bis wir endlich in den westnorwegischen schärengarten einlaufen. und auch wenn ich guten wind am meisten schätze, ist hier in diesen breiten zuwenig wind doch besser als zuviel. und aimé kann mit ihrer 120-prozent-besegelung auch bei sehr wenig wind noch gut strecke machen, sodass wir erst am ende des tages, als der wind komplett einschläft und nur eine etwa eineinhalb meter hohe dünung aus nordwest das boot von einer seite auf die andere schiebt, motoren müssen.

pacific princess

von tananger aus segeln wir endlich wieder im schutz der inseln. für die kommenden tage sind südliche wind vorhergesagt, die wir nutzen wollen, um weiter nach norden zu kommen. wir starten am frühen vormittag bei drei bis vier beaufort. der himmel ist bewölkt, zwischendurch regnet es ein wenig. ohne die dünung, die uns in den letzten tagen immer geschaukelt hat, gleitet aimé sanft und leise übers wasser, ein ganz erstaunliches gefühl. in der ferne tauchen berge auf. bald fahren wir in den haugesund ein, und nach und nach rücken die beiden ufer, zwischen denen wir fahren, näher zusammen. bisher hat der wind beständig geweht, aber kurz vor haugesund, wir fahren gerade in eine etwas weitere bucht ein, die als hafen für frachtschiffe dient, frischt der wind plötzlich massiv auf. ich sehe die erste bö kommen, bevor sie uns erwischt. aber noch bevor wir ein manöver einleiten können ist die bö da und presst aimé auf die seite. wir luven an und reffen das großsegel gleich ins zweite reff, bergen dann das vorsegel. problematisch ist die situation nicht, aber es ist doch immer wieder überraschend, wie schnell sich der wind hier ändern kann, und wie massiv die böen dann einfallen können. für ein kurzes assessment der situation und um zu entscheiden, ob wir in haugesund in den hafen gehen oder doch weiterfahren sollen, drehen wir das boot bei. haugesund ist nur wenige meilen entfernt, aber eigentlich wollten wir noch ein gutes stück weiterkommen heute. hinter haugesund kommt ein fünf meilen langes stück, das nach westen offen ist und deshalb nur bei passenden bedingungen gemeistert werden kann. und auch wenn der wind jetzt sehr stark weht, kommt er doch aus südost und weht also ein wenig ablandig, sodass sich direkt an der küste keine hohe see aufbauen kann.
der wind wird nicht mehr weniger, also gehen wir erstmal wieder in fahrt, folgen dem fahrwasser in richtung haugesund, wo wir so oder so vorbei müssen, egal ob wir dann in den hafen einbiegen oder nicht. der wind weht so stark, dass aimé nur mit dem doppelt gerefften großsegel konstant sechseinhalb knoten segelt. als wir uns dem hafen nähern, erreicht uns ein funkspruch. daniel sitzt unten am kartentisch und hört, wie eine segelyacht nahebei haugesund gerufen wird, vom kreuzfahrtschiff pacific princess. wir biegen gerade um die ecke und sehen das riesige schiff am kai liegen, direkt vor der einfahrt in den yachthafen. die motoren laufen, an den leinen sind hafenarbeiter beschäftigt. wir funken zurück, und tatsächlich sind wir gemeint. der lotse der pacific princess bittet uns, abstand zu halten vom bug und vom heck des dampfers, man ist mit dem ablegemanöver beschäftigt, das ein wenig haarig sei, "it is a bit windy". noch nie, nie, nie hat uns ein großes schiff angefunkt, und es ist toll, einen kurzen moment mal so wichtig zu sein. wir versichern dem lotsen und dem kapitän, dass wir uns freihalten und sowieso nicht in den hafen einlaufen wollen, und dass wir northbound sind. die pacific princess ist southbound, meint der lotse, "also alles kein problem".
und dann sind wir schon vorbei an haugesund und an backbord öffnet sich wieder das meer. der wind weht mit sieben beaufort von schräg hinten, und wir schlagen die starkwindfock an, um im zweifel besser manövrierfähig zu sein und das großsegel ins dritte reff setzen zu können, falls der wind noch weiter zunimmt. unsere rechnung mit dem ablandigen wind geht aber gut auf, der wind schiebt uns schnell über den offenen abschnitt wieder in den schutz der seeseitigen inseln. über navtex -- ein system zur funkgestützten verbreitung von nautischen warn- und wetternachrichten in textform -- kommt eine sturmwarnung des norwegischen seewetterdienstes für unser seegebiet. ab dem frühen morgen soll der wind auf acht beaufort auffrischen. weil der norwegische wetterdienst nach unserer erfahrung immer sehr exakte prognosen liefert oder manchmal auch ein wenig untertreibt, nehmen wir die warnung ernst und segeln bei jetzt erstmal abflauendem wind nach mosterhamn, ein hafen, der bei südlichen winden guten schutz bietet.
in der tat nimmt der wind am frühen morgen zu und gegen mittag stürmt es draußen heftig. wir nutzen den segelfreien tag und erkunden die gegend. in moster, dem dorf zum hafen, steht die ältestes steinkirche norwegens, im 12. jahrhundert gebaut. in der holzkirche, die vorher am selben ort stand, hielt der heilige olaf den ersten christlichen gottesdienst, bevor er in den darauf folgenden jahren seinen anspruch auf den thron durchsetzte und damit die christianisierung norwegens massiv vorantrieb.
die kirche ist toll, die wände sind mit malereien aus dem frühen 17. jahrhundert geziert, auch der altar und die bänke sind ein paar hundert jahre alt.

heute wollen wir noch weiterfahren, wenn hoffentlich am nachmittag die sonne noch durchkommt, wie vom wetterbericht vorhergesagt. ansonsten segeln wir eben weiter im regen, wie auch in den vergangenen tagen. man gewöhnt sich irgendwann dran. und das wasser, das da vom himmel kommt, ist unglaublich frisch.

bilder

03. Jul. 2016

Besuch vom Zoll
Heute morgen, kaum aufgestanden, Wetter unglaublich und gar nicht typisch -- Himmel blau, Wind sanft -- steh ich im Cockpit, schaue so in die Gegend, sehe ein Motorboot einfahren, denke kurz: Oh, der Samstag in Stokken geht aber früh los, jetzt schon die ersten Ausflügler? Dann dreht das Boot auf den Steg zu, an dem wir mit einer Reihe weiterer Boote liegen, ein junger Mann kommt aus dem Führerhäuschen, stellt sich vorne auf den Bug. Wollen die zu uns? Ja, wollen sie. Jetzt erkenne ich auch die Uniform. Sie kommen bis auf ein paar Meter heran."Snakker du Norsk?" fragt mich der junge Mann. Nej, jag snakker ikke Norsk. English, please. Es ist der Zoll, und man will wissen, was wir an Alkohol dabei haben. Ich zähle es ihm genaustens auf: Eine Flasche Rum, eine Flasche Rotwein, eine Flasche Weißwein, eine Flasche Porto, und ein paar Flaschen Bier. Wieviele Personen an Bord seien? Drei. Alle deutsch? Nein, zweimal deutsch, einmal schwedisch.
Ob er an Bord kommen will, frage ich. Er fragt erstmal über sein Funkgerät den Chef, der noch im Führerhäuschen steht. Was irgendwie komisch wirkt, es sind keine zwei Meter und auf die kurze Distanz höre sogar ich seine Stimme aus dem Gerät. Also geht der Chef zu ihm hin, sie sprechen kurz, dann wird genickt, ja, sie wollen an Bord kommen. Wir sollen die Pässe bereit halten. Na prima. Und das alles vor dem Frühstück und bei bestem Segelwetter.
Unter Deck lässt sich der Zollbeamte unsere Alkoholvorräte zeigen. Die sind einigermaßen verteilt, aber gut sichtbar. Ob das wirklich alles sei, fragt er. Offensichtlich ist ihm das zu wenig. Aber es ist alles. Wir haben einfach kaum Alkohol dabei. Tabak? Auch nicht. Kautabak? Die Frage geht an Daniel. Der schüttelt den Kopf. Kein Tabak, kaum Alkohol, da ist für den Zoll nicht viel zu holen. Zwischendurch fragt er mich noch nach unserer Route und wo wir weiter hin wollen, mit Daniel gibt es ein bisschen scandinavian bonding: Was er denn als Schwede mit zwei Deutschen auf einem Boot mache?
Das Vorschiff lässt er sich von Daniel zeigen, und fragt ihn bei der Gelegenheit nach Drogen. Haben wir aber auch nicht dabei. Das Achterschiff soll ich ihm zeigen, und auch ich werde nach Drogen gefragt. Ob ich noch nie in meinem Leben was genommen habe? Doch, klar, als Teenager, was ausprobiert, aber später nicht mehr.
Die Papiere fürs Boot lässt er sich schon gar nicht mehr zeigen. Ich frage noch danach, wieviel Alkohol man denn überhaupt einführen darf. Eine Flasche harten Alk pro Nase, zwei Flaschen Wein, fünf Liter Bier. Wenn man Zigaretten dabei hat, dann nur zwei Liter Bier. Und ein wenig als Erklärung für die Durchsuchung sagt er, dass deutsche Yachten, die eine Weile in Norwegen unterwegs sind, meist deutlich mehr einführen.
Ich bin froh, als die Herren wieder weg sind. Diese Mikro-Machtsituationen behagen mir nicht. Es liegt schließlich in deren Hand, ob sie es bei ein bisschen psychologisch geschultem Abchecken belassen oder ob sie unser Boot (und uns) richtig gut filzen. Wir waren aber wohl vertrauenserweckend genug, um es bei dem Blick in ein paar Schapps, Schränke und Stauräume zu belassen.

Segelmäßig bringt uns der Tag einmal mehr Gegenwind. Seit Göteborg segeln wir permanent hoch am Wind. So eben auch heute. Was aber innerhalb der Schären deutlich mehr Spaß macht als auf offener See. Eine Fahrt mit starker Krängung, aber ansonsten ruhig. Wir segeln mit dem Großsegel im dritten Reff und der neuen Genua, was uns gute Höhe und guten Speed bringt. Die Landschaft ändert sich langsam. Die Hügel werden höher, auch die Inseln, zwischen denen wir segeln. Der Wald wird etwas dichter. Aber noch immer sind alle Inseln und Ufer mit Sommerhütten gesäumt. Wirklich einsam ist es hier noch nicht. Aber das kommt vielleicht noch.
Jetzt liegen wir in einem Sund, der von zwei hohen Inseln begrenzt wird und für alle Wetterlagen guten Schutz bietet. Von hier aus sind es noch etwa acht Seemeilen bis Lindesnes, dem südlichsten Kap Norwegens. Wenn wir das gerundet haben, ändert sich unser Kurs endlich auf Nordwest, sodass wir nicht mehr gegen den hier mächtig herrschenden Südwestwind ankämpfen müssen. Vielleicht ist uns ja irgendwann mal wieder auch ein Tag mit Wind von hinten vergönnt.

25. Jun. 2016

Küstensegeln
Nachdem wir uns in Arendal einen Tag erholt haben ist jetzt Küstensegeln angesagt. Wir wollen bald in die Region um Bergen kommen, wollen uns aber auch nicht hetzen und setzen auf entspanntes Fahren entlang der Küste innerhalb des Schärengürtels. Gestern: Weil für den Nachmittag Gewitter angesagt sind, starten wir früh, stehen um fünf auf, begrüßen die Sonne, die schon aufgegangen ist, frühstücken eine gute Müslimahlzeit und verlassen dann still und leise den Hafen. Der Wind kommt, wie in den letzten Tagen und eigentlich immer seit unserem Zwischenstop in Göteborg, von vorn. Diesmal aber als sanfte Brise, ohne Wellen. Mit Genua und Großsegel kreuzen wir durch die Schären auf, bis der Wind einschläft. Nach zwei Stunden Motorfahrt erreichen wir die Blindleia ("Einbahnstraße"), ein verzweigtes Gebiet von kleinen Fjorden und Buchten, das, anders als der Name vermuten lässt, mit dem Boot durchfahren werden kann. Gegen zwei erreichen wir Mortensholmen, eine Bucht, die ein kleines Stück vom Hauptfahrwasser weg führt. Mit dem letzten Wind - in der Blindleia haben wir wieder Segel gesetzt, um die Szenerie ganz in Ruhe zu genießen - segeln wir in die Bucht hinter eine kleine Insel und werfen dort den Anker.
Als wir gerade unter Deck sind fängt es an zu regnen. L. ist trotzdem mutig und macht das Schlauchboot klar für eine Expedition an Land. Aber der Wald am Ufer ist zu dicht gewachsen und ein Durchkommen nicht möglich.

Am nächsten Tag, also heute, schlafen wir aus lassen die Sache langsam angehen. Die Erschöpfung sitzt uns noch in den Gliedern. Und Zeitdruck haben wir jetzt keinen mehr. Was sich ziemlich gut anfühlt. Der Regen hat noch nicht aufgehört, aber er lässt langsam nach, als wir den Anker lichten. Die Wolken, die schon den ganzen Morgen tief bis in die Baumwipfel hingen, legen sich langsam als dichter Nebel übers Wasser. Zum Teil können wir keine dreißig Meter weit schauen, wie Gespenster tauchen die Felsen aus dem Dunst auf. Einer von uns ist immer unten am Kartenplotter, um die nächsten Seezeichen und Landspitzen, die oben sichtbar werden, zu identifizieren und den Kurs zu bestimmen. Wir fahren unter Motor, weil der Wind zu schwach ist zum Segeln, und beenden den Tag deshalb schon früh.
Jetzt liegen wir in Stokken, einer kleinen Ausflugsinsel einige Seemeilen vor Kristiansand. Ich schreibe diesen Eintrag um Mitternacht, und draußen ist es immer noch dämmrig. Auf den Booten nebenan ist high life, die Saison ist hier inzwischen eingeläutet. Bei unserem letzten Besuch hier, vor zwei Jahren, lag außer uns nur noch eine andere Segelyacht am Steg, jetzt sind hier insgesamt etwa zwanzig Boote an den Felsen und am Steg vertäut. Einige kennen sich und feiern munter ins Wochenende.
Wenn morgen das Wetter so gut wird, wie angekündigt, machen wir einen längeren Segeltag und ich hoffe, dass wir ein gutes Stück weiter kommen. Aber selbst wenn nicht - ich freue mich schon, wenn es einfach ein sonniger Tag wird.
So sind wir also vom Ozeansegeln wieder zum Küstensegeln gekommen. Und es fühlt sich gut an. Auch wenn es nicht von allzu langer Dauer ist. Spätestens ab dem Kap Lindesnes liegen wieder einige Meilen auf der offenen See vor uns. Ausgeruht sind wir ja jetzt. Sturmerprobt auch. Und hoffentlich schlauer als letztes Mal: den Sprung nach Egersund und Stavanger machen wir nur bei gutem Wetter und passendem Wind.

25. Jun. 2016

Starkwind und Sturm überm Skagerrak
Skagen war am Ende doch eine sehr schöne Station. Einmal weil der Ort einfach mythisch ist. Ein Land's End, eine Sandlandzunge, die immer schmaler wird, bis sie irgendwann dort ins Wasser läuft, wo sich Ostsee und Nordsee treffen. Man kann noch ein ganzes Stück durch knietiefes Wasser waten und spüren, wie das Wasser aus dem Atlantik in die Ostsee läuft. Manchmal wohl auch umgekehrt. Als ich hineingewatet bin in dieses Aufeinandertreffen, da setzte die Strömung ostwärts. Seepflanzen trieben an meinen Füßen vorbei, die Wellen schwappten bis über die Knie. Ein Westwind der Stärke sechs, mit Regen durchsetzt (weswegen wir auch im Hafen geblieben waren, trotz Reisefieber).
Auf dem Weg zur Spitze kommen wir an mehreren Bunkern vorbei. Auf einem steht groß: Zimmer frei. Auf deutsch. Scherzbold. Neben den unangenehmen WWII-Implikationen ist das andererseits auch lustig, weil in Skagen der Wille zum Ferienparadies in der Einkaufs- und Kneipenmeile und mit den vielen Ferienwohnungen sehr spürbar ist. Aber die Ferienwohnungen stehen leer, erstaunlich viele Häuser sind zu verkaufen, und außer an den Orten, die Besucher anziehen -- Kneipen rund um den Yachthafen, Einkaufszone, der Strand zwischen einem großen Parkplatz und Skagens Odde (die Landspitze) --, ist in der Stadt nicht viel los. Man sieht kaum Leute. Auch von den vielen kleinen Fischerbooten fahren nur wenige aus dem Hafen während wir da sind, was aber auch am Wetter liegen kann. Neben den kleinen Fischerbooten liegen in den größeren Hafenbecken auch riesige Hochseetrawler, Fabrikschiffe, die den Fang an Bord direkt verarbeiten und entweder tieffrieren oder eindosen. Man hat in Skagen also alle versammelt, vom kleinen Fischerboot ohne Aufbauten mit seinen paar Fischerfähnchen über den Hochseefischer von zwölf Metern mit seiner Sturmverschalung aus Blech vorne am Bug bis zu den riesenhaften Hochseetrawlern, die mehr als hundert Meter lang und höher als ein fünfstöckiges Haus sind. Wobei der Sprung vom Hochseefischer zum Fabrikschiff doch etwas größer ist als vom kleinen zum großen Fischerboot. Einfach vom Gefühl her. Schiere Größe. Godzilla, Ernie und die Maus. Oder so ähnlich.
Am Abend nach unserem Spaziergang zur Odde checken wir das Wetter. Wir wollen los und den großen Schlag machen, so bald wie möglich. Das Tief über Südnorwegen beschert uns westliche Winde Stärke sechs. Das Wetterrouting berechnet für die Kurse nach Mandal oder nach Kristiansand einen Kurs mit 100 Prozent hoch am Wind. Wir beschließen zu warten. Am nächsten Tag sieht es nicht besser aus. Der Durchzug einer Warmfront bringt zwar südlich drehenden Wind, aber auch sieben bis acht Beaufort, und am Westausgang des Skagerraks, also dort, wo wir hinwollen, eine See von drei Metern. Für einen Halbwindkurs bei stürmischem Wind definitiv zuviel. Also warten wir weiter. Besuchen das Kunstmuseum und die schwedische Sjömanskirken.
Die Dauerausstellung im Museum ist den Malern der Künstlerkolonie Skagen gewidmet, die im späten 19. Jahrhundert und bis in die zehner Jahre hier aktiv war. Die Künstler werden als Vorläufer einer Moderne gewertet, die sich in einem neuen Realismus und Naturalismus äußert. Auf den Bildern sind zahlreiche Motive von Fischern und Fischerei, Strandbilder, Haushalt, Dorfleben. Um 1900 war Skagen noch ein abgelegener und wenig populärer Ort. Erst sehr spät fand der Tourismus seinen Weg hierher, aber da waren die Künstler schon wieder weg. Die suchten in Skagen gerade die Abgeschiedenheit und die Entfernung von der Akademie, die sich sowohl in Fahrstunden ausdrücken ließ als auch ästhetisch realisiert werden sollte. Sehr schön ist die Hängung in den Räumen: Das Museum hat sich an den frühen Pariser Salons orientiert, ein Kunstmarkt, auf dem möglichst viele Bilder auf möglichst engem Raum gehängt wurden. Es gibt im Museum also keine Ordnung nach Namen und Werken, sondern nach Größen. Zwischen die großformatigeren Bilder schieben sich viele Kleinformate, es gibt kaum Einzelbilder, und man muss sich das kleine Schild am Bild anschauen, um den Namen des Malers zu erfahren. Angenehme Entsakralisierung der Bilder und eine schöne Möglichkeit, Ähnlichkeiten und Unterschiede in Motiven, Farbgebung und Zeichnung zu entdecken.
Ein Nachbar, der mit seinem Boot im Hafen in der Nähe lag, hatte mir am Tag zuvor vom Museum erzählt, als wir so über das Wetter plauschten. Und kam dann etwas überraschend darauf zu sprechen, dass ihn besonders die Bilder der toten Seemänner beeindruckt haben, weil das als Motiv sonst in der ganzen Marinemalerei kaum zu finden sei. Natürlich sprang bei mir sofort die Deutungsmaschine an, psychologisch, und das nicht nur in Bezug auf meinen Gesprächspartner, sondern auch auf mich gerichtet, weil mich die toten Seemänner dann natürlich auch sofort total interessierten. Es gab dann in der Ausstellung aber nur zwei. Einer, der gerade aus dem Wasser getragen wird, ohne Schuhe, nur mit abgerissenem Hemd und Hose bekleidet, mehr Schiffbrüchiger denn toter Seemann, weil die Utensilien, die die lebendigen Seemänner auf den Bildern auszeichneten -- hohe Seestiefel, Gummihose, Öljacke --, fehlten. Der andere tote Seemann war ein Fischer, aufgebahrt in voller Montur.
Der Besuch in der schwedischen Sjömanskirkan am späteren Nachmittag war vielleicht deshalb nur angemessen. Der Zusammenhang mit den Fischerbildern im Museum war aber keine Absicht. Zur Kirche gehört ein großes Café, das offensiv mit freiem Internetzugang wirbt. Betrieben wird das Café von Freiwilligen, die jeweils für eine Woche aus Schweden zusammen mit einem oder einer Geistlichen anreisen. Seit 2010 gibt es keinen festen Pfarrer mehr hier.
Wir werden von einer Gruppe älterer Damen aufs herzlichste emfpangen und bekommen Café und selbstgebackene Kaneelbulla dazu. Herrlichkeit. Eine der Damen, Karin, setzt sich zu uns und erzählt ein bisschen. Die Pfarrerin kommt an unserem Tisch vorbei, fragt kurz woher und wohin, empfiehlt uns eine Besichtigung des Kirchenraums und widmet sich dann an einem anderen Tisch wieder ihren Papieren. Als sie erfährt, dass wir mit dem Segelboot unterwegs sind, erzählt Karin, dass sie früher auch gesegelt ist, zum Teil auch allein auf ihrem schwedischen Schärenkreuzer. Eine Besonderheit damals, meint sie, die Männer im Hafen hätten jedes Mal mißbilligend den Kopf geschüttelt, wenn sie eingelaufen sei. Männerdomäne Segeln.
Der Kirchenraum ist klein, aber fein und ernsthaft. Jeden Sonntag findet hier ein Gottesdienst statt, und auch sonst macht es den Anschein, als ob es hier, oben in der Kirche und unten im Café, ein lebendiges Gemeindeleben gibt. Während des Gesprächs warte ich die ganze Zeit darauf, dass Karin irgendeine missionarisch gefärbte Frage stellt, aber es kommt keine einzige. Als ehemaliger Schüler einer evangelischen Schule habe ich verschiedenste religionspädagogische Strategien kennen gelernt, aber wenn Karin eine hat, dann ist sie so subtil, dass ich nichts merke. Abgesehen vielleicht davon, dass alles, was passiert, wirklich sehr welcoming ist.
Den Tag über schon hat es begonnen zu regnen, der Wind hat auf Süd gedreht und langsam zugenommen. Gegen Abend weht es überm Hafen mit sieben Beaufort, die Warmfront zieht durch. Wir liegen im Windschatten von fünf riesigen Dieseltanks und der MS Europa, ein Kreuzfahrtschiff, das direkt bei den Tanks festgemacht hat. Industriehafen galore, und die wenigen Kreuzfahrer, die ihr Schiff an diesem unwirtlichen Ort zu Fuß verlassen, wirken mir ihren Regenschirmen etwas verloren zwischen den Fischerbooten, Schuppen und Industriebetrieben.

Am Abend mache ich eine große Wetterlage mit Seewetterberichten vom deutschen, schwedischen, norwegischen und dänischen Wetterdienst, dazu noch die Grib-Daten vom Wetterdienst der USA. Alle sagen übereinstimmend für den Vormittag West bis Südwest Stärke 4-5, später vorübergehend zunehmend 6 voraus, für die Nacht süddrehend 4-5. Dazu eitel Sonnenschein den ganzen Tag. Fast wie Rückseitenwetter, nur eben mit Wind aus Südwest. Wir wollen los und beschließen, die Überfahrt zu machen und eine möglichst westlichen Kurs hoch am Wind anzulegen und dann zu sehen, wo an der norwegischen Küste wir ankommen. Die Distanz ist die kürzestmögliche für diesen Schlag, etwa achtzig Meilen über die offene See. Lieber wäre ich mit günstigeren Winden direkt bis Mandal ganz an der Südspitze gesegelt, aber nach vier Tagen in Göteborg und vier Tagen in Skagen ist es wirklich Zeit, endlich voranzukommen. Fünf bis sechs Beaufort und 1,5 Meter Welle, das sollte für uns gut zu schaffen sein.
Am nächsten Morgen stehen wir um fünf Uhr auf, frühstücken, tanken nochmal Wasser, schlagen das neue Vorsegel an. Ich checke nochmal den Seewetterbericht. Weiterhin anfangs fünf, später zunehmende sechs Beaufort, in der Nacht abnehmend vier bis fünf, süddrehend. Und eine Starkwind- und Sturmwarnung nur fürs Skagerrak, für sonst kein anderes Seegebiet. Das wird so schlimm nicht sein, denke ich, höchstens in Böen vorübergehend sieben Beaufort, aber das stecken wir weg. Solange das nicht dauerhaft ist und die Wellen nicht zu hoch werden, können wir auch bei starkem Wind recht hoch am Wind noch vier bis fünf Knoten machen. Das schaffen wir gut.
Eine Fehleinschätzung, wie sich im Lauf des Tages noch zeigen sollte, was das Wetter und was das schaffen angeht.

Gegen acht Uhr passieren wir die innere Hafeneinfahrt und setzen im großen Vorhafen das Großsegel im dritten Reff und die neue Genua 3, die passenderweise genau 33 Quadratmeter groß ist und nach Wunsch sehr hoch, kurz und flach geschnitten ist, sodass wir die Schot innerhalb der Wanten führen und das Segel sehr dicht und flach ziehen können. Gut für einen Kurs am Wind bis etwa sechs Beaufort. Und den werden wir in den nächsten zwanzig Stunden fahren.
Hinter der Landzunge weht der Wind deutlich schwächer, sodass wir ausreffen und das Großsegel im ersten Reff stehen lassen. Mit Wind von hinten -- wir müssen noch um Skagens Odde herum -- und ohne Wellen im Schutz der Landzunge segeln wir, entspannt und froh über den Sonnenschein nach den vergangenen Regentagen, los. Wir passieren das Kap so knapp wie möglich, lassen die beiden Kardinalzeichen an steuerbord. Der Verkehr hält sich in Grenzen, und die Frachter, Tanker und Trawler auf dem Weg zu ihren Hochseefischgründen weichen uns freundlich und sehr rechtzeitig aus.
Am Kap frischt der Wind deutlich auf und wir reffen das Großsegel. Es weht böig und mit der Genua haben wir etwas zuviel Tuch. Aber schon bald lässt der Kapeffekt nach und wir erreichen beständigeren Wind. Langsam baut sich die Windsee auf. Die Wellen sind unbequem steil. Das Wasser ist hier noch nicht tief und der Wind ist etwas stärker als erwartet. Wir tauschen die Genua gegen die 20er Starkwindfock, um etwas Ruhe ins Schiff zu bringen. Mit der Starkwindbesegelung sucht sich das Boot seinen Weg durch die Wellen fast von selbst. Die Sonne scheint, es weht mit guten fünf Beaufort und wir sind auf dem Weg nach Norwegen. Wenn es so bleibt wird das eine herrliche Überfahrt.
Wenn.

Gegen zwölf haben wir die ersten zwanzig Meilen von Skagens Odde nach Norwegen geschafft. Skagen ist achteraus im Dunst verschwunden, andere Schiffe sehen wir auch nicht mehr, um uns herum ist nur noch das offene Meer. Die Windsee hat sich etwas stärker aufgesteilt und schubst uns zwischendurch ein wenig unangenehm herum. Beim Steuern achte ich schon darauf, besonders großen Wellen mit brechenden Kämmen auszuweichen. Ab und zu spritzt Gischt übers Deck. Mit der neuen Sprayhood wird aber wenigstens nur der Rudergänger oder die Rudergängerin nass, alle anderen ducken sich in den geschützten Niedergang. Auch der Wind nimmt jetzt weiter zu, wie angekündigt. Bei sechs Beaufort sind wir mit der Starkwindfock und dem dreifach gerefften Großsegel gut ausgestattet, Aimé schiebt sich mit etwa fünf Knoten durch die Wellen, stoppt nur manchmal ein, wenn wir eine besonders steile Welle schlecht erwischen. Eine Weile lassen wir den Autopiloten steuern, was gut funktioniert. Der Windgenerator liefert ungefähr den Strom, den der Autopilot verbraucht, manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger. Eine runde Sache.
Gegen vier, wir sind inzwischen etwa dreißig Meilen von Skagen und 45 Meilen von Norwegen entfernt, frischt der Wind weiter auf. Die Wellen sind jetzt, im tiefen Wasser (laut Seekarte um die 600 Meter), nicht mehr so steil. Aber sie sind höher geworden, und von "See 1,5 Meter" kann inzwischen keine Rede mehr sein. Im Wellental sehen wir selbst auf der hohen Kante nur noch die ankommende Welle, können nicht mehr über den Kamm hinausschauen. In den Böen legt der Wind den Schaum von den brechenden Wellenkämmen in Streifen. Böen sieben Beaufort. Ich habe das Ruder vom Autopiloten übernommen, und ein Gespür für die Bootsbewegung zu bekommen. Das muss die Starkwindwarnung sein, zunehmend sechs, und Starkwindwarnung in Böen sieben, denke ich. Die Besegelung entwickelt in den Böen inzwischen deutlich zuviel Kraft, ab und zu wird das Seitendeck in Lee ins Wasser gedrückt. Aber wir machen gute Fahrt, und solange das nur in den stärkeren Böen passiert ist es auszuhalten. Und bald sollte der Wind, laut Bericht, auch wieder etwas abnehmen.
Tut er aber nicht. Stattdessen nimmt er weiter zu. Immer noch unter einem strahlend blauen Himmel, im gleißenden Licht, präsentiert sich das Meer als ein wildes. Die Wellen erreichen inzwischen zweieinhalb Meter, zwischendurch brechen die Kämme. Steuerfrauen und -männer weichen diesen besonders hohen und steilen Wellen so gut es geht aus. Immer wieder fliegt Gischt übers Deck. Der Druck ist für die Starkwindfock zu groß, und wir bergen das Vorsegel. Beigedreht, mit dreifach gerefftem Großsegel, wird das Boot sofort ruhiger. Aber die hohen Wellen machen den Segelwechsel etwas beschwerlich. Und ich habe inzwischen Sorge, dass der Wind noch weiter zunehmen könnte. Noch machen wir gegenan Strecke gut, aber viele Reserven haben wir für diesen Kurs nicht mehr.
Am wackersten von allen hält sich das Boot. Immer wieder schiebt es sich die Wellen hinauf bis über den Kamm, und selbst wenn der Bug in ein besonders steiles Wellental fällt ist das Aufkommen weich. Nur manchmal schlägt eine Welle knallend gegen den Rumpf. Wir haben die Schoten ein wenig geöffnet, um Geschwindigkeit im Schiff zu halten. Lässt sich die Begegnung mit einem gischtenden Wellenkamm nicht vermeiden, können wir deutlich anluven, damit uns die Welle nicht quer drückt. Wobei selbst dann das Boot zwar sehr weit krängt, aber weiter seinen Weg findet.
Inzwischen weht der Wind konstant mit sieben Beaufort. Der Winddruck unterm Segel zerstäubt die Gischt und weht sie wie Dampf aus groben Tropfen in Lee am Cockpit vorbei. Stellenweise hebt der Wind von alleine die Kämme von den Wellen. Ein entspannter Rundumblick, um das Panorama zu genießen, gelingt mir nicht mehr. Ich frage mich, was wir konkret machen. Fock runter und beidrehen, um abzuwarten, bis das durchgezogen ist? Ablaufen nach Larvik, wo man auch bei ungünstigem Wetter und nachts einlaufen kann? Oder weiter gegen diesen stürmischen Wind ankämpfen mit der Hoffnung, in Landnähe etwas Entspannung zu finden? Unsere ungefähre Ankunftszeit an der Küste ist zu allem Unglück trotz Mittsommernacht in den dunklen Stunden des Tages. Richtig dunkel wird es nicht, aber doch zu dunkel, um durch schmale, nur mit unbefeuerten Baken und Stangen bezeichneten Fahrwassern in die Schären einzulaufen. Nach fast fünfzehn Stunden unterwegs ist sind Skipper und Crew auch nicht mehr im besten Zustand. Wo sie zuschlägt raubt die Seekrankheit die Kräfte, die Koordination und die richtige Selbsteinschätzung. Unten am Kartentisch frage ich mich, was wir hier überhaupt machen. Schwere Selbstvorwürfe formulieren sich in meinem Kopf, begleitet von Angstvorstellungen. Was, wenn jetzt noch was kaputt geht? Oder schlimmer noch jemandem etwas passiert? Nie im Leben hätten wir mit einer Starkwind- und Sturmwarnung und Gegenwind rausfahren dürfen. Was habe ich mir dabei gedacht?
Mit einiger Anstrengung schiebe ich diese Gedanken beiseite und widme mich der Situation. Wie ist unsere Lage? Welche Möglichkeiten haben wir? Bis zur Küste sind es noch 25 Seemeilen hoch am Wind mit einem Wind, der in den Böen Sturmstärke erreicht und noch nicht so wirkt, als würde er sich in den kommenden Stunden legen. Bis Larvik sind es fünfzig Seemeilen auf raumem Kurs, was deutlich angenehmer zu segeln wäre, aber auch sehr weit weg ist. Andererseits ist bei Dunkelheit ein Landfall nur mit einem befeuerten Hafen zu machen. Uns bleiben deshalb drei Möglichkeiten. Entweder der Wind dreht bald etwas südlich, wie angekündigt, und wir können Arendal anlaufen, das wäre der best case. Oder wir erreichen die Küste irgendwo anders, drehen für ein paar Stunden bei und machen den Landfall bei Tagesanbruch. Und wenn wegen der hohen Wellen ein Einlaufen in die Schären an dieser Stelle nicht möglich ist, segeln wir mit dem Wind nordwärts bis zum nächsten tiefen Fahrwasser.
Das heißt noch weiter gegen den Wind. Obwohl die heftigen Bootsbewegungen dagegen sprechen, ist doch auch klar, dass alle an Bord schon jetzt sehr geschwächt sind und wir möglichst bald Ruhe brauchen, vor Anker oder in einem Hafen. Alle Seekranken werden dick eingepackt, angeleint sind wir alle schon seit einer Weile wegen des hohen und ruppigen Seegangs. Ein Teil der Crew reaktiviert sich nach den Attacken, andere driften in das nächste, passive Stadium der Seekrankheit. Ich bin selbst zu sehr beschäftigt mit der navigatorischen und seglerischen Situation, um etwas dagegen zu tun und gebe deshalb keine aktive Hilfe mehr, mit dem Wissen, dass wir in einigen Stunden in ruhigeres Wasser kommen werden, wenn wir die Küste erreichen.
Als wir den Fahrweg für die Großschiffahrt kreuzen, der weit vor der Küste verläuft, kommt ein Frachter in Sicht. Für unseren Landfall in oder bei Arendal wäre ein genauer Wetterbericht hilfreich. Der Prognose, die von 6 Beaufort und später abnehmendem Wind sprach, kann ich gerade nicht mehr glauben. Also funken wir den Frachter an, der sich nach dem fünften Versuch auch tatsächlich meldet. Mein erstes ordentliches Funkgespräch von Schiff zu Schiff immerhin. Leider hat der Offizier an Deck auch keinen Wetterbericht, der den aktuellen Wind vorhersagt.
Wir setzen also darauf, dass der Wind in Landnähe etwas abflaut. Und eigentlich sollte in Landnähe auch der Seegang etwas abnehmen. Und in der Tat schwächt sich der Wind zehn Meilen vor der Küste etwas ab. Wir machen mit Sturmfock und Groß im dritten Reff immer noch vier bis fünf Knoten, und das Boot holt immer noch weit über, wenn eine steile Welle uns erwischt und eine Bö einfällt. Aber die Spitzen sind nicht mehr so heftig, dass sie mich an mögliche Reserven denken lassen, die wir noch aktivieren könnten (Trysegel, Beidrehen, Treibanker). Der Wind dreht jetzt auch etwas nach Süd, sodass wir Arendal anliegen können. Gegen eins kommt der Leuchtturm in Sicht und ich bin wirklich dankbar, dass wir diesen Weg schlussendlich fahren können. Alles andere wäre umständlich und schwieriger gewesen.
Weil alle von der Fahrt sehr geschwächt sind und die Einfahrt bei Dunkelheit trotz guter Befeuerung nicht ohne Schwierigkeiten ist und ein genaues Navigieren und Steuern verlangt, drehen wir das Boot bei und warten, bis sich die Dämmerung, die die ganze Zeit im Norden sichtbar ist, weiter nach Osten verschiebt und der Himmel wieder heller wird. Als der große Felsen, auf dem der Leuchtturm steht, schattenhaft sichtbar wird, nehmen wir Kurs auf die Einfahrt ins Fahrwasser. Der Wind nimmt immer weiter ab, und als wir in Arendal einlaufen, weht es nur noch mit zwei bis drei Beaufort. Die Sonne geht auf. Wir legen am erstbesten Steg an, machen das Boot fest, spannen die Fallen ab, versorgen die Segel, schalten die Heizung ein, um das Boot innen ein bisschen zu trocknen, und fallen dann in die Kojen.

Inzwischen, nach einem Ruhetag heute, sind alle wieder einigermaßen wohlauf. Die vollständige Erholung wird noch ein paar Tage dauern.
In der Rückschau auf diese Fahrt übers Skagerrak haben wir heute entschieden, nicht weiter nach Island zu segeln, sondern an der norwegischen Küste zu bleiben und dort weiter nach Norden zu fahren. Das Boot scheint bereit für eine Ozeanreise nach Island, aber wir sind es im Moment noch nicht. Wir sind auf dem Weg dahin, aber die Zeit, die uns von der Saison her noch bleibt, reicht nicht aus für ein ausreichendes Training. Und nicht um alles in der Welt setze ich und setzen wir unsere Gesundheit und unser Wohlergehen aufs Spiel.

Neues und altes Ziel ist deshalb: der Polarkreis. Bis dahin sind es noch etwa achthundert Seemeilen, alles entlang der Küste. Machbar. Aber mal sehen. Es kommt am Ende vielleicht doch wieder anders.
to be continued

23. Jun. 2016

Stuck at Göteborg, stuck at Skagen
Seit zwei Tagen liegen wir in Skagen fest. Von Göteborg aus konnten wir uns noch gegen einen Westwind mit fünf Beaufort in zwölf Stunden herankämpfen, aber seitdem weht es mit sechs bis sieben Beaufort aus West übers Skagerrak, mit drei Meter Seegang, und dagegen kommt selbst unsere hochseetüchtige Aimé nicht sinnvoll an. Heute zieht eine Warmfront durch (eigentlich eine Okklusionsfront, funktioniert aber ähnlich: Dauerregen, sehr viel Wind, Gewitter über der norwegischen Südküste), die wir noch im Hafen abwarten. Morgen früh wollen wir auf der Rückseite dieses Tiefs, das so endlos lange über dem Skagerrak lag, nach Norwegen segeln. Angesagt sind Sonne und fünf bis sechs Beaufort, mit etwa eineinhalb Metern Wellengang. Und auch wenn es weiter aus Westen weht und wir deshalb gegenan segeln müssen, ist das doch gut machbar und wir wollen endlich Strecke nach Westen machen. Für die kommenden Tage ist eine entspannte Wettersituation angesagt, mit anfangs noch kräftigem und später etwas abflauendem Wind aus West.

Ich bin sehr lange nicht reingekommen in diese Reise. Erst haben die Bastelarbeiten unseren Start verzögert, und dann ging es so schnell, dass ich gar nicht richtig von Basteln auf Fahrt umschalten konnte. Vom Gefühl her war das Boot noch Baustelle, und mit einer Baustelle segelt es sich nicht so gut über die offene Ostsee! Die wichtigen Sachen waren schon gemacht, und im Kopf wusste ich, dass das Boot ausreichend seetüchtig und bestens vorbereitet ist. Anders gesagt: Das Boot war eigentlich schon besser vorbereitet als ich, und die Baustelle war mehr mental als tatsächlich.
Aber jetzt, nach etwas mehr als zwei Wochen unterwegs, in denen wir etwa genauso lange in Häfen festsaßen wie wir unterwegs waren, will ich endlich und unbedingt weiter und bin froh, dass sich das Wetter morgen bessert. Das Boot ist bereit, ich bin bereit, und alle anderen an Bord sind auch bereit für die längeren Strecken, die ab jetzt auf dem Programm stehen. Wir starten mit achtzig Meilen bis Norwegen, für die wir beim angekündigten Westwind knapp zwanzig Stunden brauchen werden. Die Dauer schreckt mich nicht, und wenn das Wetter gut ist, dann kann es von mir aus auch gleich weiter gehen. Das wird sich zeigen, wenn wir die norwegische Küste erreichen. So und so ist es richtig, jetzt Schritt für Schritt in einen Modus zu schalten, in dem wir unterwegs nicht an den nächsten Hafen denken, wo wir uns von der Reise erholen können. Auch unterwegs können wir uns erholen, können kochen, essen, schlafen, Zähne putzen, und was man den lieben langen Tag eben so macht. Ich bin gespannt und freue mich drauf.

Die Bilder sind leider nur für Freunde sichtbar, aber eine offene Auswahl kommt bald.

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20. Jun. 2016

Basteln -- Reise
Es war ein langer und mühsamer Bastelweg bis zum Start der Reise. Und dann ging alles so schnell, dass ich kaum hinterher kam. Am einen Tag noch damit beschäftigt, die Dieselfilter zu wechseln und den Tank zu checken (Dieselpest, aber noch im Rahmen), am nächsten Tag schon unterwegs. Morgens Greifswald, abends Schaproder Bodden, vor Anker (der neue Anker hält, bin dankbar und begeistert). Dann am nächsten Tag kurz nach Sonnenaufgang los, mit Ostwind 4-5 Beaufort über die Ostsee nach Schweden, Falsterbokanal. Erste Seefahrt seit eineinhalb Jahren, und erste Seefahrt mit den neu angebauten Teilen (Windgenerator schlussendlich auf dem selbstgebastelten Gestell, mit zwei Seitenstreben die notwendige Verstärkung geschafft, hat sich als seetauglich erwiesen). Im Falsterbokanal an einem verlassenen Steg übernachtet, neben einer schwimmenden Sauna und einer Yacht aus Dänemark, die nach Bornholm möchte und auf günstige Winde wartet.
Am nächsten Tag mit einer Stunde Verzögerung durch die Kanalbrücke (technischer Defekt an der Brücke), mit Südost durch den gesamten Sund und an der Landspitze Kullen vorbei ins Kattegat bis nach Torekov. Dort legen wir einen Ruhetag ein. Dann weiter, jetzt mit südwestlichen Winden, bis zur Malö-Bucht. Und schließlich, vorgestern, bei Nordwest mit 6-7 Beaufort und also hartem Gegenwind haben wir uns bis nach Göteborg gekämpft, wo wir jetzt und noch bis übermorgen liegen. Crewwechsel, und wenn sich die Wettervorhersage einigermaßen erfüllt, geht es Montag mittag weiter mit einem langen Schlag bis Norwegen. Die Großwetterlage ist entspannt, und mit etwas Glück bleibt das Tiefdruckgebiet, das uns im Moment Sonne und Nordostwind beschert, südlich von uns, sodass wir auf der Nordseite des Tiefs mit östlichen Winden (4-6 Beaufort) unseren Weg nach Westen machen können.
Die Einzelheiten zu den vergangenen Tagen muss ich später nachliefern und finde hoffentlich Zeit, Muße und Gelassenheit dafür, wenn wir unterwegs sind. Bisher waren die Tage mit Segeln angefüllt, und mit der innerlichen Umstellung von Basteln auf Reisen. Das immerhin ist jetzt fast abgeschlossen und das Boot hat sich für mich in den vergangenen Tagen von Baustelle und Wohnung wieder zur Segelyacht gewandelt und vorgestern auch seine Robustheit und Seetüchtigkeit unter Beweis gestellt.

12. Jun. 2016

Selbermachen: Geräteträger, oder: Besser Scheitern Teil 1
Ich hatte mir das so schön vorgestellt: Ein günstig erstandener Träger mit exakt den passenden Maßen, entweder aufs Deck oder, noch besser, auf die Reling geschraubt. auf dem Geräteträger dann Windgenerator, Fluxgatekompass, Navtex-Antenne, Paddelrad für die Windanzeige. Und Platz für weitere Gadgets, wenn sie erschwinglich oder nötig werden, zum Beispiel Radar, Solarpanel, Wettersensoren.
Nach vielen Wochen aufmerksamer Suche in den üblichen Anzeigenheften und -webseiten fand ich endlich einen Träger mit den passenden Maßen. Also Auto gemietet, hingefahren, Träger zum Boot gebracht. Professionell geschweißt aus seewasserbeständigem Aluminium, von den Maßen her genau der Abstand zwischen den beiden achteren Relingskörben, und unten am Fuß sogar schon ein aufgeschnittenes Rohr mit 30 mm Durchmesser, das exakt auf das 25 mm Relingsrohr passen würde.
Erster Rückschlag: Die Relingskörbe laufen nicht parallel, der Träger schon. Und das obere Rohr der Relingskörbe ist auch nicht so gerade, wie ich gedacht hatte. Aber egal. Mit Flaschenzug zwinge ich den Träger auf den Heckkorb und befestige ihn mit jeweils drei massiven Schellen.
Zweiter Rückschlag: Der Geräteträger ist in sich nicht stabil. er schwingt seitlich viel zu stark, um nur daran zu denken, einen Windgenerator obendrauf zu montieren. Also besorge ich Aluplatten und Flacheisen, mit denen der Träger seitlich verstärkt und nach unten hin fest mit dem Heckkorb verbunden wird. Bleche und Flacheisen werden an die Rohre genietet. Die Konstruktion funktioniert auch, ich bin nach mehreren Tagen Arbeit sehr froh.
Dritter Rückschlag: Der Träger hat zwar gefühlt die richtige Höhe, aber der kleine Mast, der beim Generator dabei war, reicht nicht hoch genug, sodass die Rotorblätter bis zwei Meter über Deck heranreichen. Winken sollte man also nicht, wenn man unter dem Gerät steht. Zu gefährlich. also besorge ich eine Verlängerung und bin ein bisschen stolz über meine Idee, das neue Rohr mit dem ursprünglichen Fuß mit einem weiteren Rohrstück, das in die beiden Rohre passt, zu verbinden. Das Verbindungsrohr passt aber nun leider gerade nicht -- bei einem Durchmesser der Rohre von 48 mm und 3 mm Wandstärke müsste ein Rohr mit 42 mm Durchmesser passen, dachte ich. Aber dem ist nicht so. Weil eine Tolerant von Null eben niemals passt. Also mache ich einen Längsschnitt in das Verbindungsrohr, damit es sich zusammendrücken lässt. Das funktioniert auch. Die drei Rohre werden also schön vernietet und der Mast damit um siebzig Zentimeter verlängert. Ich bin sehr glücklich über diese Lösung, die sehr stabil ist.
Vierter Rückschlag: Ich montiere den Windgenerator auf seinem neuen, verlängerten Mast, auf dem Geräteträger und bin dabei fast euphorisch. Es ist ein heftiger Balanceakt und großer Kraftaufwand wegen der Hebelkräfte. Auf dem Achterdeck stehend balanciere ich den Generator auf seinem 1,20 m hohen Mast zu den Bohrlöchern und schraube ihn fest. Das funktioniert auch und sieht ziemlich gut aus. Ich freue mich. Greife dann an den Geräteträger und wackel ein bisschen. Der Mast und der Generator wackeln auch. Ich greife an den Mast vom Generator, im unteren Teil, und ziehe ihn nach vorne. Er lässt sich ein gutes Stück ziehen, die vordere Querstange des Geräteträgers federt freudig mit.
Fünfter Rückschlag: Und nicht nur das Rohr federt, sondern auch die Platte, die zwischen das vordere und das hintere Rohr geschweißt ist. Die Schweißnaht ist nicht durchgezogen, sondern nur alle zwanzig Zentimeter ein Stück Schweißnaht von fünf bis zehn Zentimetern. Dort, wo nicht verschweißt ist, federn das Blech und das Rohr. Ich besorge also einen weiteren Aluwinkel und ein Flacheisen, um die Platte und das Rohr horizontal zu stabilisieren. Das gelingt auch einigermaßen. Es ist bei weitem nicht mehr so weich wie vorher. Aber, und das ist der aktuellste Rückschlag, es ist immer noch weich. Der Generator lässt sich mit wenig Kraft nach vorne ziehen und in Schwingung versetzen. Der zentrale Problempunkt ist die Verbindung von Geräteträger und Generatormast. Hier sind enorme Hebelkräfte am Werk. Ich rechne mir das also aus: Laut Gebrauchsanleitung muss die Konstruktion eine Zugkraft von 68 kg am Windgenerator aushalten. Weil der Mastfuß nur zehn Zentimeter breit ist, dafür der Mast aber 120 Zentimeter lang, ist das ein 12facher Hebel. Am Mastfuß wirkt also eine Kraft von etwa 800 kg. Das ist bald eine Tonne.
Mit dieser Zahl kann ich nicht viel anfangen. Plastischer wird es so: Ich wiege etwa siebzig. Wenn ich mich also oben horizontal an die Stange hängen kann, dann geht das alles. Oder wenn man das Ding um 90 Grad kippt und ich hänge mich ganz normal dran. Das, und vielleicht ist das der finale Rückschlag und ich sollte den ganzen Scheiß jetzt einfach wieder abbauen, das kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Aber einen Test ist es allemal wert.

Es ist hart, festzustellen, dass alle bisherige Mühe zwar zum unter den Umständen bestmöglichen Ergebnis geführt hat, dieser Zustand aber trotzem noch nicht ausreichend ist. Oder jedenfalls vermutlich nicht ausreichend ist. Vielleicht geht das ja auch, vielleicht kann der Generator auf dem Träger ein bisschen wippen, vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Aber richtig fühlt es sich nicht an. Wenn ich an unsere Starkwindepisoden in Norwegen denke, wünsche ich mir eigentlich einen Träger, der überhaupt nicht wackelt. Noch bin ich nicht bereit, das Ding, für das ich soviel Zeit; Mühe und Geld aufgebracht habe, einfach wieder abzubauen und mit einer Mastlösung zu ersetzen. Konnte ich wirklich so daneben liegen mit meinen Überlegungen? Oder ist das nicht einfach nur eine übertriebene Furcht vor einem Bisschen Gewackel? Ich meine, sogar unser Mast wackelt, wenn wir unterwegs sind, und das ist ganz normal. Am Ende wäre ein Umstellen auf die klassische, stabilere Lösung aber vermutlich der richtige Schritt. Nur während ich hier hin und her baue hat der Sommer längst angefangen, und ich will endlich los. Ich hab wirklich genug gebastelt. *to be continued ...*

21. May. 2016

Fit und Refit
Weil wir dieses Jahr weiter raus fahren wollen als jemals zuvor und weil das Boot im vergangenen Jahr wegen Zeitmangel kaum bewegt und wenig gepflegt wurde, stehen jetzt einige Vorbereitungen und Reparaturen an. Das Boot soll fit werden für eine Reise, und neben dem Einbau von einigen zusätzlichen Features wie der Sprayhood und dem Geräteträger mit Windgenerator gehört dazu auch das Refit von einigen Teilen.
Neben einer Reihe von kleineren Mängeln, vor allem Rost, war seit einer Weile schon die Steuersäule etwas undicht. Wenn Wasser ins Cockpit kam, vor allem bei Regen, tropfte das durch. Wenig, aber beständig. Und dann stand in der Motorbilge immer Wasser. Nach einem ersten Versuch, das von außen mit Dichtungsmasse abzudichten (schlug fehl, klar), war jetzt ordentlicher Neuaufbau angesagt. Weil der Cockpitboden nicht starr ist, arbeitet diese Verbindung leider immer ein wenig. Deshalb ist jetzt von oben und unten ein Stück Sperrholz dazwischen bzw. dagegen gesetzt. Hat von der Konstruktion auch funktioniert. Und es ist einfach schön, wenn eine Sache, die einige Vorbereitung erfordert -- Demontage, Roststellen säubern, Beschichtung aufbauen, Formteile zusägen, testen ob's passt -- endlich abgeschlossen wird. Außerdem fühlt sich nur wenig so blöd an wie eine demontierte Steuersäule -- das Boot ist gründlich manövrierunfähig.
Aber jetzt steht die Steuersäule wieder, und besser als vorher, ich bin gespannt, ob das jetzt endlich dicht hält. Es wird bald einiges zu testen geben.

Ansonsten ist die neue Sprayhood inzwischen fertig und angebaut. Die Konstruktion ist ziemlich gut gelungen. Gelernt hab ich dabei, dass es gut ist, mich selbst in die Planung zu involvieren und schon die Konstruktion und die erste Anpassung von neuen Teilen mitzumachen. Die Rolle des aktiven Eigners ist nicht einfach, vor allem wenn man zu Unentschlossenheit neigt. Die Sache soll ja schon zügig erledigt werden. Andererseits hat die gute Zusammenarbeit mit dem Bootsbauer/Segelmacher zu guten Features und Ergänzungen geführt. Mir war sehr wichtig, dass die Sprayhood gut weggeklappt werden kann und dass sie, wenn sie weggeklappt ist, gut verstaut ist, damit man das Deck bei Manövern nutzen kann und auch nichts kaputt macht, wenn man aus Versehen mal irgendwo drauf steht. Das steht ja auch schon im Gesamtkonzept: Das Deck von Aimé ist Arbeitsfläche. Für jedes Segelmanöver gehen wir an Deck, beim Vorsegelwechsel aufs Vordeck, beim Reffen des Großsegels an den Mast, beim nachziehen des Baumniederholers hinter den Mast. Die Sprayhood passt da im aufgebauten Zustand rein, und im abgebauten jetzt eben auch.
Warum ist es mir so wichtig, dass die Sprayhood gut verstaut werden kann? Warum bleibt die nicht einfach immer oben? Dafür gibt's zwei Gründe: Erstens finde ich den freien Blick rundum toll, und wenn das Wetter gut ist, brauche ich keine Sprayhood sondern fahre lieber ohne. Wir sind sechs Jahre ohne Sprayhood gesegelt, auch bei schlechtem Wetter. Zweitens glaube ich, dass wir bei sehr stürmischem Wetter und hohen Wellen die Sprayhood ebenfalls wegklappen werden, damit nichts kaputt geht. Don't get me wrong -- die Sprayhood ist sehr stabil und wird sicher sehr gut halten. Aber ich habe schon Schiffe gesehen, da hat der Wellenschlag den massiv verschweißten Bugkorb verbogen. Ich glaube nicht, dass wir so schnell oder oft in solches Wetter kommen, am besten überhaupt nicht, aber wir möchten darauf vorbereitet sein.
Die Sprayhood haben die Leute von der Tuchwerkstatt gebaut, und wie gewohnt ist alles beste Qualität und echte Maßarbeit. Die Schwierigkeit war, die richtige Höhe zu finden und die richtige Form, die funktionale und ästhetische Ansprüche berücksichtigt. Mit einer sehr eleganten Biegung des Gestänges und einer geschickten Aufteilung der Sichtfenster im Tuch ist das auch ziemlich gut gelungen. Aussehen ist natürlich immer Geschmacksache, aber ich finde es ziemlich schnittig.
Disclaimer: Die Tuchwerkstatt gehört zu unseren freundlichen Unterstützern.

18. Apr. 2016

Außenborder
Auf unserer Norwegenreise vor zwei Jahren haben wir oft geankert. Das war immer sehr schön. Meistens lagen wir bei eher gutem Wetter in eher kleinen Buchten, sodass wir das nächstgelegene Ufer immer gut mit unserem nicht motorisierten Schlauchboot oder schwimmend erreichen konnten. Und weil wir ab und an in Häfen halt machten, mussten wir auch nichts mit dem Schlauchboot transportieren.
Bei einigen Gelegenheiten aber spürten wir doch den Wunsch nach einem kleinen Motor. Ganz zu Beginn der Reise lagen wir vor Hiddensee vor Anker. Die Boddengewässer sind sehr flach, und die Ufer sind sehr flach, sodass man hier meist ein gutes Stück vom Land entfernt liegt. Starker Nordwind hinderte uns zwei Tage lang an der Weiterfahrt (wir wollten nach Norden), und weil wir Zeit hatten blieben wir einfach in Klimphores Bucht und spazierten am Tag über die Insel.
Wir lagen etwa 500 Meter vom Ufer entfernt, direkt am inneren Rand des Ankerbeckens. Der starke Seitenwind beim Übersetzen trieb das Schlauchboot ziemlich deutlich ab, dazu kam die Strömung, sodass wir vom Boot zum Land und umgekehrt stets 30-40 Grad vorhalten und also gegen Wind und Strömung rudern mussten. Das ging, bei ca. 5-6 Beaufort, war aber ziemlich anstrengend. Die anderen Ankerlieger staunten auch nicht schlecht und beobachteten uns mit Ferngläsern, als wir in einer kleinen Schauerbö die Überfahrt wagten. Und ich war ziemlich froh um diese Beobachtung durch mögliche Retter, falls wir es wider Erwarten nicht zurück zum Schiff schaffen sollten. Am Ende ging es, aber es war sehr anstrengend, und mehr Wind und Strömung hätte es nicht sein dürfen.
An einem Ankerplatz in Norwegen waren wir wiederum selbst Beobachter einer dramatischen Szene, und bereiteten uns gedanklich schon darauf vor, im Notfall zu helfen. Wir saßen gerade unter Deck beim Mittagessen -- draußen blies der Wind recht frisch und ab und zu zog ein Schauer durch --, als wir die lauten Rufe eines Kindes hörten. In der Stimme klang Angst mit, und wir gingen sofort an Deck, um nachzusehen, woher die Rufe kommen. Ein gutes Stück von uns entfernt ankerte eine Segelyacht, eine ältere Dehler von etwa 30-35 Fuß, augenscheinlich gut in Schuss und seetüchtig ausgestattet. Auf der Cockpitbank stand ein Junge und rief laut nach seinem Opa. Wir folgten seinem Blick und sahen den Opa in einem Schlauchboot mühsam gegen den Wind ankämpfen. Obwohl er kräftig ruderte kam er kaum voran. Jedes Mal, wenn ein etwas unpräziser Schlag das Boot ein wenig drehte, drückte der Wind den Bug noch ein Stück weiter zur Seite und das Boot trieb zurück, bis der Mann mit einem weiteren Schlag den Bug wieder in den Wind drehen konnte. So machte er mit drei Schlägen etwas Strecke gut, bis er mit dem vierten Schlag wieder zurück trieb. Der Junge an Bord der Yacht hatte das gemerkt und hatte deshalb Angst um seinen Opa. Der starke Wind wehte ablandig und das Schlauchboot drohte aus der Bucht ins offene Wasser getrieben zu werden.
Wir konnten in dem Moment nichts tun, waren aber schon bereit, den Motor zu starten und den Anker zu lichten, sollte das Schlauchboot wirklich aus der Bucht getrieben werden.
Nach bangen zehn Minuten erreichte das Boot schließlich ruhigeres Wasser und der Mann konnte im Windschatten des Ufers zurück zu seiner Yacht paddeln. Dort empfing ihn der verzweifelte Junge, der seinen Opa stürmisch umarmte. Eine rührende Szene. Der alte Mann beschwichtigte und vertäute das Schlauchboot, dann gingen beide unter Deck. Ein Heißgetränk, Tee oder Kaffee, hatten sich beide redlich verdient.

Für mich war das, auch in Anbetracht unserer eigenen mühsamen Ruderei vor Hiddensee, sehr lehrreich, und auch wenn das sicher in vielen Ratgebern und Lehrbüchern längst drinsteht und ich das für diverse Scheine auch gelernt habe, nahm ich mir nach dieser Szene ganz bewusst vor, für die nächste größere Reise einen zuverlässigen Außenborder anzuschaffen. Und weil wir jetzt dabei sind, eine längere Reise im Sommer vorzubereiten, habe ich endlich einen Außenborder besorgt.
Ich habe viel Zeit damit verbracht, zu überlegen und zu prüfen, welcher Außenborder geeignet ist. Das Szenario für die Formulierung von Kriterien ist Folgendes: Wir haben ein sehr kleines, leichtes Schlauchboot, das bei Flaute nicht viel Schub braucht, andererseits bei starkem Wind leicht abgetrieben wird. Wenn wir unterwegs sind, dann laufen wir oft tagelang keine Häfen an, sondern ankern irgendwo und wollen dann einfach an Land (und wieder zurück zum Boot). Ich bin ein Freund der Reduktion und der Verträglichkeit von Material für Mensch und Umwelt. Dass der Innenborder von Aimé eine ganze Reihe öliger Stoffe braucht (Diesel, Additiv, Motoröl, Getriebeöl), die bei der Verarbeitung nicht gut für die Umwelt und nicht gut für die Haut sind, reicht mir schon. Das wollte ich nicht auch noch für den Außenborder haben. Die wichtigsten Eigenschaften sind deshalb:

  • Elektromotor
  • zuverlässig
  • seewassertauglich
  • wasserdicht
  • leicht
  • robust
  • kostengünstig in der Anschaffung
  • langfristig kostengünstig
Wie so oft gibt es keine Lösung, die alle diese Anforderungen komplett erfüllt, einfach weil kostengünstige Anschaffung und höchste Qualität leider in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen. Es geht darum, den besten Kompromiss zu finden.
Vor allem wegen der kostengünstigen Anschaffung sind die günstigen Elektroaußenborder -- die kleinen Modelle sind für unter hundert Euro zu haben, zum Beispiel der kleinste Rhino -- verlockend. Wir brauchen ja nicht viel Kraft für unser Beiboot. Die kleinen brauchen auch nicht viel Strom, also wäre eine kleine Batterie ausreichend. Andererseits gäbe es dann keine oder nur sehr wenig Reserve für Starkwindsituationen.
Aus diesen Überlegungen ergaben sich zwei Szenarien:
  1. Ein günstiger Motor mit einer maximalen Schubkraft von 30 bis 40 Lbs: Ein solcher Motor zieht auf mittlerer Stufe etwa 20 Ampère. Die folgende Tabelle listet die Werte für die Elektromotoren von Rhino.

    Für zwei Stunden Fahrzeit braucht man also entsprechend eine Batterie mit 80 Ampèrestunden. Das ist ziemlich viel. Insgesamt käme dieses System auf ein Gewicht von 30-35 kg mit Anschaffungskosten von 400,- Euro.
  2. Ein kleiner Torqeedo Travel: Dieser Motor erfüllt laut Hersteller alle meine Anforderungen, abgesehen von den Anschaffungskosten. Die sind mit derzeit (April 2016) 1550,- Euro sehr hoch. Bisher ist das aber der einzige Motor, der glaubwürdig salzwassertauglich ist. Alle Materialien sind seewasserfest (Edelstahl, eloxiertes oder beschichtetes Aluminium, Plastik), das Gehäuse und die Leitungen sind wasserdicht nach IP67 (heißt, das Gerät kann untertauchen und ist dicht), mit insgesamt ~20 kg ist das Teil vergleichsweise leicht, was vor allem am integrierten Lithium-Ionen-Akku liegt. Und wenn das Gerät so zuverlässig ist, wie man behauptet, dann sollte auch ein Gebrauchter seinen Dienst erfüllen.
Nach langem Hin und Her habe ich mich jetzt für die zweite Lösung entschieden und gestern einen gebrauchten Torqeedo Travel 503 gekauft. Ich hoffe, dass sich das langfristig auszahlt, weil der Motor auch bei häufiger Benutzung lange hält und wir, weil er einfacher zu händeln ist als ein Motor mit separater, schwerer Batterie, auch leichtherziger und also häufiger ankern (und damit Hafengebühren sparen). Ausschlaggebend war vielleicht am Ende die Robustheit und Zuverlässigkeit, die der Motor verspricht. Der alte Mann, der da in Norwegen mit letzter Kraft zu seiner Yacht zurück fand, auf der sein Enkel verzweifelt nach ihm rief, hatte einen Motor an seinem Schlauchboot, der aber seinen Dienst versagt hatte. Das soll uns auf keinen Fall passieren, schon gar nicht in den weit entfernten und einsamen Gebieten, die wir in diesem Sommer befahren wollen.

17. Apr. 2016

Reisevorbereitungen
Letztes Jahr haben wir mit nur einer einzigen Ausfahrt von insgesamt sechs Stunden einen traurigen Rekord aufgestellt. Ich bin buchstäblich die gesamte Saison nicht gesegelt. Einfach weil ich im Sommer sechs, manchmal sieben Tage pro Woche durchgearbeitet habe. Work harder, work more, war das Motto. Aber nachdem das Projekt jetzt abgeschlossen ist, habe ich wieder auf Segeln umgeschaltet. Und kann deshalb dieses Jahr eine längere Reise machen. Die Vorbereitungen laufen langsam an und ich freue mich darauf, das Boot wieder richtig hochseetauglich und streckentauglich zu machen.
Nachdem wir 2014 in Norwegen gute Erfahrungen gemacht haben und wissen, dass Aimé auch stärkeren Wind und höhere Wellen auf offener See gut meistert, wollen wir dieses Jahr nach Island segeln. Die nautische Literatur habe ich schon besorgt, und eine Route ist auch schon ausbaldowert. Über Norwegen, die Shetland-Inseln und die Faröer soll es in mehreren Hops bis zur Insel der Gletscher und Vulkane gehen. Dort wollen wir dann einige Wochen bleiben, um schließlich über Irland und England oder über Portugal, also mit einem Ausflug nach Süden, wieder zurück zu segeln. Das ist alles sehr aufregend. Drei bis vier Monate haben wir Zeit dafür. Noch nie in meinem Leben war ich so lange mit einem Segelboot unterwegs und habe eine so lange Strecke zurückgelegt. Aber genau dafür haben wir damals das Boot gekauft. Weil ich auf und über den Atlantik wollte. Und jetzt, etwa zehn Jahre später, ist es endlich soweit. Oder: sind alle Beteiligten so weit. Boot, ich, und alle, die dabei sein werden.

Der erste Schritt der Vorbereitung war die Planung der Fertigstellung des Boots. Szenarien erarbeiten, notwendiges Equipment identifizieren, das alle an Bord sicher und zufrieden erhält. Was brauchen wir, wenn wir einige Tage allein auf dem offenen Nordatlantik unterwegs sind? Und was brauchen wir, um auch während der Küstensegelei möglichst unabhängig von Häfen zu sein?
Die Liste war anfangs recht lang. Aber inzwischen sind fast alle Items besorgt und warten auf den Einbau. Bevor es losgeht bekommt Aimé also

  • ein neues Vorsegel: Unsere Arbeitsfock, die 35er, die eigentlich eine kleine Genua ist, ist alt. Fast dreißig Jahre, um genau zu sein. Alle unsere Vorsegel sind fast dreißig Jahre alt. Das neue Vorsegel wird eine hoch geschnittene Genua 3, die wir innerhalb der Wanten schoten können, sodass wir damit auch am Wind gute Ergebnisse erzielen. Mit 32 Quadratmetern wird sie etwas kleiner als die alte 35er, aber das ist sogar gut. Die 35er zieht ab vier Windstärken das Boot stark zur Seite, vor allem auf Kursen am Wind. Aber die kleinere Starkwindfock bringt erst ab fünf Beaufort genug Kraft, und auch nur dann, wenn keine Wellen bremsen. Zwischen vier und sechs Windstärken haben wir also eine Lücke, in der die Besegelung eher unbefriedigend ist. Die neue Genua deckt diesen Bereich besser ab und schließt dichter an die 20er an. Bestellt haben wir das neue Segel bei Sebastian von der Tuchwerkstatt. Nachdem ich aus Kostengründen erst überlegt hatte, das Segel bei Lee Sails in Hong-Kong zu bestellen, war mir der Service und die Sicherheit bei der Zusammenarbeit mit einem lokalen Segelmacher doch wichtiger. Denn auch wenn das Segel nicht vor Ort gebaut wird, war doch der Segelmacher an Bord, hat alles ausgemessen und gute Vorschläge für die richtigen Features gemacht, damit das Segel unsere Anforderungen an ein Offshore-Segel auch erfüllt. Ich bin gespannt.
    Full Disclosure: Die Tuchwerkstatt ist Partner dieses Blogs.)
  • eine Sprayhood: Jahrelang sind wir auf der Ostsee gut ohne Sprayhood gefahren. Die Sommernächte waren lau, die Nächte verbrachten wir fast immer vor Anker oder im Hafen, nur selten unterwegs, und wenn, dann nie mehr als eine Nacht mit einer angemessenen Ruhepause danach. Jetzt wollen wir uns in arktische Regionen wagen, und wir werden voraussichtlich auch längere Passagen zu zweit segeln. Das bedeutet nächtliche Wachen an Deck auch bei ungemütlichem Wetter. Wir müssen möglichst fit bleiben. Wind und Regen von vorne bei niedrigen Temperaturen kühlen jeden Segler schnell aus. Dafür brauchen wir die Sprayhood. Heute habe ich mich mit einem Segelmacher von der Tuchwerkstatt am Boot getroffen, um die Details zu besprechen. Jetzt ist die Haube in der Mache und ich bin sehr gespannt. Seit dem Ende der großen Bauphase vor fünf Jahren ist das eine der größeren Ergänzungen, die wir oft überlegt, aber bisher nicht ausgeführt haben. Es fühlt sich gut an, dass diese Sache jetzt in Arbeit ist. Bisher war alles, was die Segelmacherinnen und Segelmacher der Tuchwerkstatt selbst für uns gebaut haben, beste Qualität und präzise gebaut. Das geflickte Großsegel fahren wir immer noch und die große Persenning vom Mast bis zum Heckspiegel sieht nach zwei Wintern und einem Sommer draußen sehr gut aus und wird noch viele Jahre halten. Obwohl ich also bisher keine guten Erfahrungen mit Yachtwerften gemacht habe, bin ich zuversichtlich, dass die Sprayhood stabil wird und passt.
    Full Disclosure: Die Tuchwerkstatt ist Partner dieses Blogs.)
  • einen Geräteträger: Lange habe ich überlegt, wie der Windgenerator am besten, am einfachsten und am stabilsten montiert werden kann. Kein System erfüllt alle drei Anforderungen. Weil die Bordkasse nicht so üppig gefüllt ist, fällt eine bestellte Anfertigung nach Maß leider aus. Selber schweißen ist natürlich eine Alternative. Leider kann ich (noch) nicht schweißen. Ein Radarmast ließe sich auch ohne Schweißen wohl irgendwie basteln. Gut also, dass ich vor einigen Wochen so eine lange Stange, wie sie für Baugerüste verwendet wird, auf dem Sperrmüll gefunden habe. Die ist gute drei Meter lang, ziemlich massiv und ordentlich verzinkt. Mit ein wenig Farbe ist die sicher auch gegen Salzwasser gut haltbar zu machen. Schließlich ist das ganze Boot aus Stahl. Nur die Befestigung ist nicht so leicht zu machen. Dafür fehlen noch die Stangen, die man bräuchte. Und an der Stange kann man zwar seitlich Antennen festmachen, aber für den Windgenerator müsste ich oben eine kleine Plattform befestigen, und das hieße wieder schweißen. Also sollte ein gebrauchter Geräteträger her. Nur ist einer mit den richtigen Maßen nur schwer zu bekommen. Nach langem Suchen hat sich jetzt aber einer gefunden und ich hole ihn am Wochenende ab. Vom Profi gebaut, aus seewasserbeständigem Aluminium, vorbereitet für die Montage auf der Seereling. Natürlich passt es nicht wie abgemessen. Aber ich hoffe, dass sich das Teil ein paar Zentimeter biegen lässt.. (to be continued).

02. Mar. 2016

Haul on the Bowline
Bald geht es wieder los.

Haul On The Bowline von Mueller / Deter.

29. Jan. 2016

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