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Gentlemen don't go to windward
Den Spruch Gentlemen don't go to windward hab ich irgendwann auf einem Reiseblog gelesen und fand ihn gleich blöd. Weil was macht man denn dann, wenn der Wind von vorne kommt (und stehenbleiben oder zurückfahren keine Option ist)?
Heute hab ich zumindest ein bisschen Einverständnis gelernt. Beim Motoren gegen den Wind. Segeln ging erstmal ganz gut, von Stralsund bei vier Beaufort am Vormittag gen Norden gekreuzt. Rügen und Hiddensee waren diesig zu erahnen, für die nächsten Tonnen war die Sicht aber okay. Gewitter waren heute für alle Gegenden Vorpommerns angekündigt, nur nicht für Stralsund und Hiddensee. Die Haufenwolken, die sich über der Insel bildeten, wuchsen sich nicht aus.
Kurz hinter der Abzweigung des Fahrwassers nach Barhöft wird auch das Strelasund-Fahrwasser schmal, sprich: Nur noch zwischen den Tonnen ist es tief genug für uns. Weil der Wind aber direkt von vorn kam, bargen wir die Segel und starteten den Motor. Mit banger Hoffnung, weil in den Tagen davor der Motorantrieb zwischendurch ein bisschen gesponnen hatte. Beim Gas geben zur zügigen Fahrt durch die Ziegelgrabenbrücke hatte der Auspuff eine ziemlich große Portion Dampf abgegeben, sodass wir eine weiße Wolke hinter uns her zogen. Und überhaupt war das Boot schon in Greifswald auch bei mehr Gas nur eher langsam unterwegs gewesen.
Im Strelasund bei vier Beaufort und etwa einem Knoten Strömung von vorn dampften wir mit den standardmäßigen 1800 Umdrehungen/Minute auf der Stelle. Nach einer halben Stunde Warmlaufen erhöhten wir auf 2400 Umdrehungen und machten damit ungefähr zweieinhalb Knoten Fahrt über Grund. Mit weißer Rauchfahne am Heck, sodass sich die Leute auf den entgegenkommenden Booten schon gegenseitig auf das Spektakel aufmerksam machten. Unangenehm. Zurückfahren wäre eine Möglichkeit gewesen. Wollten wir aber nicht. Nur bis Klimphores Bucht sollte es noch reichen (dort liegen wir jetzt), dann bekäme der Motor wieder frei. Bestätigt wurden wir durch die weiße Dampffahne am Heck eines entgegenkommenden Bootes. Theorie: Die hohe Luftfeuchtigkeit, die hier derzeit herrscht, führt dazu, dass der ganze Wasserdampf aus dem Auspuff sofort kondensiert und als Dampf sichtbar wird.
Nach dem Abbiegen aus dem Fahrwasser und bei der Fahrt quer zum Wind dann nochmal das Heckwasser gecheckt, und es sah merkwürdig aus. Der Wasserschwall ging nur nach Steuerbord raus, und nicht wie sonst einigermaßen symmetrisch nach achtern. Dass mit der Schraube was nicht stimmt, hatten wir uns schon vorher überlegt, die Theorie ging aber hin zu 'mit Seepocken bewachsen' (das obere Zehntel des Ruderblatts ist mit Seepocken bewachsen). Jedenfalls legte ich an der Stelle einmal kurz den Rückwärtsgang ein, dann wieder Vorwärts, und plötzlich gab die Schraube bei wenig Gas schon richtig Schub! Die letzten hundert Meter zum Ankerplatz dann also in lockerer Marschfahrt, wie üblich.
Aus diesem Tag also erstmal eine doppelte Lehre: Wenn Motorfahrt gegen den Wind nicht unbedingt nötig ist (Hafeneinfahrt, Bucht, letztes Stück zum Ankerplatz etc.), dann lieber bleiben lassen und auf den richtigen Wind warten. Auch wenn das Warten weh tut. Zweite Lehre: Der Motor ist besser, als man denkt, und wenn er nicht rund läuft und keinen Schub gibt, dann liegt das erstmal nicht an fehlender Kraft, sondern an fehlender Kraftübertragung. (Erinnerung, vor zwei oder drei Jahren: Auf dem Weg aus einer schwedischen Bucht raus auf die Ostsee bei fünf Beaufort und einem Meter Welle von vorne kam der Motor an seine Grenzen. So waren die Bedingungen heute aber nicht.)
Ansonsten sind wir einerseits guten Mutes hier an Bord. Das Wetter ist besser geworden (kein Gewitter mehr), und für Donnerstag bis Samstag sind westliche bzw. südliche Winde angekündigt, die uns in möglichst kurzer Zeit bis Göteborg schieben sollen. Und jedenfalls am Donnerstag erstmal für die Fahrt nach Schweden.
Ein Unglück (Motorprobleme) kommt selten allein, und so verließ uns heute auf der Fahrt irgendwann das Echolot. Zeigte nur noch eine Tiefe an: 0,9 Meter. Sprang zwischendurch wieder auf sinnvolle Werte, irgendwann dann aber fast gar nicht mehr. Ankermanöver dann mit Sicherheitsmarge nur mit dem Plotter gefahren. Ich vermute, dass das Glas vom Geber zugewachsen ist und dann bei schlechter Echoqualität nichts sinnvolles mehr berechnet werden kann. Leider sieht man im trüben Boddenwasser nicht mal die Hand am eigenen ausgestreckten Arm. Der Plan deshalb: Ein paar Schwämme an den Bootshaken binden und so gut es geht die Region um das Echolot wischen.
Und ums Maß voll zu machen: hängt sich immer dann, wenn wir den Motor starten, der wunderbare Navberry Pi auf. Was nervt, aber vermutlich nicht am Rechner selbst liegt (hoffentlich nicht). Einen anderen Umwandler habe ich noch dabei, der muss aber eingebaut werden. Die Bastelei hört also nicht auf.
Andererseits haben sich ein paar Dinge auch bewährt. Allem voran der Ladestromverteiler, der, weil wir in den letzten Tagen sehr viel motort sind, die Verbraucherbatterie voll geladen hält. Mit dem AIS-Empfänger sehen wir die großen Schiffe wunderbar auf dem Monitor. Und nicht nur das, wir sehen auch, wie groß sie sind, welchen Kurs sie fahren und ihre Geschwindigkeit, sodass Gefahrensituationen z.B. beim Queren von Verkehrstrennungsgebieten oder in schmalen Fahrwassern schon früh auf dem Bildschirm gesehen werden können. Außerdem ist es lustig, diese Daten ganz legal aus der Luft zu sammeln und zu sehen, wer sich da auf See so alles tummelt und wohin jeweils die Reise geht.
Auch das frisch gereinigte Großsegel macht gute Figur, das Profil ist zumindest teilweise wiederhergestellt, wobei ich von der Red-Gull-Reinigung, die eine wirklich komplette Wiederherstellung der Form in Werbetexten nahelegen, mehr erwartet hätte. Zumal der Palstek ein ziemliches Loblied auf die Methode und ihre Ergebnisse gesungen hatte. Dennoch: Das Tuch wirkt wieder stabiler, die Form ist merklich besser als vorher. Und mit dem neuen stabilen Baum, dem Anfang des Jahres gepimpten Reffsystem funktioniert die Arbeit mit dem Segel gut.

Insgesamt bin ich, vielleicht so wie jedes Mal, überrascht, wie wenig Routine ich doch habe, trotz der vielen tausend Meilen, die ich in meinem Leben schon gesegelt bin, auch mit diesem Schiff. Die Gewitterlage der letzten Tage hat mich ziemlich fertig gemacht, die Rückschläge mit dem Motor, dem Echolot und dem Navigationscomputer kamen noch dazu. Und dann das Segeln: Es kostet einfach unglaublich viel Energie, körperlich und kognitiv, so ein Boot in Bewegung zu halten, zumal mit kleiner Crew, in unserem Fall also nur zu zweit.
Deshalb ist es mir auch ganz recht, dass wir morgen hier vor Anker in Klimphores Bucht noch einen Ruhetag einlegen. Es geht auch gar nicht anders, weil der Wind erst Mittwoch am späten Nachmittag langsam auf Nordwest bis Westnordwest drehen soll. Rein rechnerisch (mit konservativen Geschwindigkeitsannahmen: 4 Knoten) wären wir dann, mit einer wenigstens zehnstündigen Kreuz und weiteren acht Stunden hoch am Wind, achtzehn Stunden unterwegs. Und das wollen wir uns nicht gleich am ersten richtigen Seetag geben. Ab Donnerstag sind für uns günstige Winde angekündigt, der Wind soll über West, Süd auf Südost am Freitag drehen. Damit kommen wir wohl zumindest erstmal bis Schweden (Destination!).

29. Jul. 2014

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