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Sieben-Meilen-Wind, Stillstand und Stolperfahrt
Weil wir auf Hiddensee den kleinen Navberry Pi wieder gegen den bewährten Laptop getauscht haben, weil das Plus an Rechenpower beim Zoomen und Planen mehr Komfort bringt, geht Schreiben beim Segeln nicht. Weil wir aber zweitens seit Hiddensee sehr viel unterwegs waren und ich deshalb drittens während der zwei Hafentage in Varberg zu erschöpft (faul) war, um zu schreiben, gibts hier nur Rekapitulation.
Von Hiddensee aus starteten wir nach einem Tag und zwei Nächten in Klimphores Bucht (mit Spaziergang über die wilde Hälfte der Insel und Schwimmen im lauwarmen Boddenwasser, schwerer Gegenwindmission im kleinen motorlosen Schlauchboot) bei Westwind Stärke 4-5 richtung Norden. Beim Setzen des Großsegels im ersten Reff stellte sich raus, dass wir alle drei Reffleinen jeweils eine Stelle zu weit vorne am Baum befestigt hatten. Konnten wir schnell beheben. Hätte uns aber schon ein Zeichen sein können.
Durchs Boddenfahrwasser konnten wir segeln, wurden zwischendurch von einem entgegenkommenden Segler fast aus der Rinne gedrängt, und zwangen später selbst zwei andere zum Ausweichen, Boddensegeln eben. Um den Dornbusch blies der Wind etwas kräftiger und schralte (kam vorlicher ein), wir segelten hoch am Wind am Kap vorbei, und bald schon öffnete sich der Horizont der freien Ostsee. Das erste Mal seit mehreren Jahren, dass es von hier aus wieder quer rüber nach Schweden gehen sollte.
Kurz nach Queren des Schiffahrtswegs (wie immer drängten sich, als wir in die Nähe kamen, fünf große Pötte um uns herum, obwohl ansonsten die nächsten vierzig Meilen nach Ost und West kein Schiff zu sehen war) flaute der Wind ab, wir schüttelten die Reffs aus dem Großsegel, fuhren weiter und staunten über die Wellen, die Weite, die glitzernden Wellen, die sanften, dennoch weit ausladenden Bewegungen, wenn Aimé mit der Welle von schräg hinten einen kleinen ride machte. Mit etwas auffrischendem Wind segelt das Boot konstant sechs bis sieben Knoten. Im Westen ziehen in der Ferne die weiß leuchtenden Felsen von Möns Klint vorbei, und schon am frühen Nachmittag kommt die schwedische Küste in Sicht. Und während wir uns der Küste nähern, frischt der Wind nochmal auf. Aimé legt sich kräftig ins Zeug und rast mit Rumpfgeschwindigkeit die Wellen runter. Um Druck aus dem Rigg zu nehmen, wollen wir reffen. Gehen langsam an den Wind, lassen das Großsegel gefiert, ich hole das Vorsegel dicht. Wir haben immer noch die 35er Arbeitsfock gesetzt, die jetzt, bei diesem Wind, schon etwas zu groß ist. L. steht am Ruder. Mit Kraft winsche ich das Segel langsam dichter. Als der Wind ungefähr aus 90 Grad kommt, plötzlich ein Knall. Das Vorsegel flattert. Fockschot gerissen. Weil bei dem Wind an einen Wechsel der Schot mit gesetztem Segel nicht zu denken ist, bergen wir die Fock und drehen mit voll gesetztem Großsegel bei. Was erstaunlich gut geht. Wir packen die Arbeitsfock komplett weg und setzen die Starkwindfock. Aimé liegt stabil, auch wenn die Arbeit auf dem Bug in den Wellen wie auf einem schnell auf und ab federnden Aufzug ist. Dann reffen wir das Groß ins zweite Reff und fahren weiter. Selbst mit der verringerten Segelfläche geht es mit sechseinhalb Knoten weiter. Nur eben viel ruhiger.
Fest steht, unser Training vor einigen Wochen hat sich gelohnt. Unsere Manöver klappen gut, auch bei etwas unerwarteten Situationen. (Wobei ich das Reißen der Fockschot auch hätte vorhersehen (und vermeiden) können - die Schot war mehr als zehn Jahre alt und entsprechend schwach geworden.)
Um sechs Uhr passieren wir den Falsterbokanal und legen uns in der Bucht Höllviken vor Anker. Nach Schweden haben wirs schonmal geschafft.

Am nächsten Morgen stehen wir mit der Sonne auf und lichten gegen sieben Uhr den Anker. Der Wind hat etwas abgeflaut, und mit der großen Genua und voll gesetztem Groß machen wir gute Fahrt in Richtung Öresundbrücke, die wir um die Mittagszeit passieren. Schon von weitem ist dieses Ungetüm im Dunst zu sehen. Die Fahrt durch den südlichen Teil des Sunds ist eine Fahrt durch ein industrialisiertes Seegebiet. Eine riesige Brücke, Wahrzeichen nicht nur der technischen, auch der wirtschaftlichen und politischen Fähigkeiten der Menschen hier, ein solches Riesenbauwerk über diese breite Meerenge zu setzen. Vor der Brücke noch einer der ersten Offshorewindparks in der Ostsee. Allerdings drehen sich bei dem wenigen Wind nur wenige Flügel.
Um die Öresundbrücke herum flaut der Wind ab, sodass wir nur noch mit knapp drei Knoten vorankommen. Die Brücke schafft sich eigene lokale Windgegebenheiten. Aber bald nimmt der Wind wieder zu, wir segeln mit guter Fahrt an Malmö vorbei in den nördlichen Teil des Sunds. Vor vielen Jahren haben wir hier in Humlebaek gelegen und das dänische Museum für moderne Kunst, Louisiana, besucht, das direkt oberhalb des Hafens gelegen ist. Bis zu unserer jetzigen Passage war das der nordwestlichste Punkt (und lange Zeit auch der nördlichste), an den ich je mit dem Boot gekommen bin.
Mit auffrischendem Wind nimmt das Boot noch mehr Fahrt auf. Im Sund ist viel Verkehr, und erstmals leistet uns das neue AIS-System sehr gute Dienste, weil wir die Wege der großen Schiffe schon früh auf dem Plotter nachvollziehen (und vorhersagen können). Der Wind kommt inzwischen platt von hinten und wir segeln Schmetterling das Fahrwasser entlang. Nach Norden zu verengt sich der Sund, was bei südlichen Winden dazu führt, dass die Luft von den Landseiten zusammengepresst wird und deshalb desto schneller fließen muss, je näher man dem engen Ausgang aus dem Sund ins Kattegat kommt. Um weiter möglichst tief vor dem Wind segeln zu können, bergen wir das Großsegel komplett und segeln nur mit der großen Genua. Kurz vor der Enge zwischen Helsingborg und Helsingör frischt der Wind noch weiter auf, sodass wir die große Genau gegen die Arbeitsfock tauschen. Was vor dem Wind ohne Großsegel gar nicht so einfach ist. Man muss den richtigen Moment erwischen, wenn das Segel einfällt, und dann wenigstens die untere Hälfte an Deck ziehen. Der Rest kann dann nach vorne auswehen und Stück für Stück geborgen werden.
Bis wir die Arbeitsfock gesetzt haben, treiben wir vor Topp und Takel auf Helsingör zu. Eine andere Yacht, offensichtlich nicht so übertakelt wie Aimé, segelt mit Vollzeug neugierig an uns heran, ist aber offenbar beruhigt, als sie uns mit dem neuen Segel auf dem Vorschiff hantieren sehen. Später werden wir lernen, dass die Leute das Revier kennen und deshalb die Segel trotz des starken Winds stehen lassen.
Mit der 35er Fock segeln wir entspannter weiter. Vor Helsingör hat sich eine sehr steile, hohe Welle aufgebaut. Denn bei südlichen Winden setzt die Strömung im Sund, ein wenig kontraintuitiv, nicht nach Norden, sondern nach Süden. Am Ausgang des Sunds sind Strömung und Wind am stärksten und bauen diese Welle auf, die mich fast an Wildwasserfahrten erinnert, weil die Welle fast nicht gegen den Strom ankommt und deshalb eben so steil aufläuft und das Boot so ruppig durch die Meerenge schubst.
Unser Tagesziel ist Mölle. Aber als wir Mölle querab peilen und die Anfahrt starten sollten, will ich dort nicht mehr einlaufen. Bei Südwestwind - und der weht gerade kräftig - ist der Wind dort auflandig und ich will ungern an einer Luvküste landen. Und weil das Wetter sehr stabil ist und unser erstes großes Etappenziel Göteborg ist, überlegen wir, ob wir einfach die Nacht durchfahren bis Göteborg. Das führt zu einem unguten einerseits-andererseits. Denn einerseits wäre es toll, den guten Wind zu nutzen und am nächsten Tag schon da zu sein. Andererseits sind wir nach zwei langen Seetagen, die auch noch unsere ersten beiden Seetage waren, ziemlich erschöpft und brauchen eine Pause. Und einerseits weht der Wind gerade sehr stabil und das Wetter sieht auch nicht nach Verschlechterung aus, andererseits hat der Seewetterbericht des DWD für die Nacht etwas auffrischenden Wind und Gewitterböen vorhergesagt. Einerseits haben wir vor zwei Jahren eine Nachtfahrt gemacht, andererseits waren wir da schon zwei Wochen unterwegs und gut im Training, außerdem gut ausgeruht.
Die Entscheidung fällt von allein, weil wir mit sechs bis sieben Knoten an Mölle vorbeirauschen, bis der Hafen irgendwann direkt in Luv liegt. Und zurück kreuzen wollen wir nicht. Die Nacht durchsegeln wollen wir aber auch nicht. Die Karte bietet als nächsten Hafen Torekov an, ungefähr zehn Seemeilen nordwestlich. Den hatten wir auch schon früher am Tag als mögliches Tagesziel identifiziert, falls wir sehr früh schon in Mölle sein würden. Also drehen wir ums Kap und nehmen Kurs auf Torekov. Schon von weitem ist ein weißer Punkt an Land dort gut erkennbar, nach dem wir unseren Kurs gut halten können. Zwei Stunden segeln wir darauf zu, bis langsam Häuser, Hafen und Masten erkennbar werden. Der weiße Punkt ist ein hell weiß gemalter Kirchturm. Torekov also die richtige Entscheidung.
Torekov ist der erste schwedische Hafen, den wir ansteuern. Schön gelegen, Felsen vor der Einfahrt, eine Felseninsel nicht weit nördlich, mit einem Robbenschutzgebiet. Vielleicht kam da das Tier her, das uns unterwegs kurz besuchte und mit einem Schnaufen grüßte, um sofort wieder abzutauchen, ein Schatten im smaragdgrün gefärbten Wasser der Ostsee.
Die Einfahrt zum Gasthafen ist so eng, dass Aimé dort längs nicht reinpassen würde. Das Hafenbecken ist dicht mit Zweier- und Dreierpäckchen belegt. Wir fahren rückwärts rein, um im Zweifelsfall ohne Probleme wieder rausfahren zu können. Ohne Bugstrahlruder, knapp dreißig Metern Platz im Hafenbecken und etwas Seitenwind liefern wir beim Drehen gute Spannung fürs Hafenkino. Ein schwedisches Boot will uns nicht längsseits haben (Begründung: Hafenmeister hätte bestimmt was dagegen, weil es so eng ist und so nah an der Einfahrt - leider sind alle Plätze nah an der Einfahrt und überall machen wirs eng). Aber ein norwegisches Boot lässt uns längsseits anlegen. Vier sind dort an Bord, ein Pärchen und zwei Hunde. Auf dem Cockpittisch stehen zwei Dosen Tyskie und zwei Schnapsgläser mit einer klaren Flüssigkeit. Sie waren die letzten vier Wochen in Polen, erzählen sie, Kolobrzeg. Sie kommt von dort, und beide freuen sich, als wir erzählen, dass wir vor zwei Jahren auch dort waren.
Laut Hafenhandbuch bezahlt man in Torekov das Hafengeld am Automaten. Aber unser norwegischer Nachbar meint mit einem Augenzwinkern, dass der Automat kaputt sei. Deshalb wollen sie am nächsten Tag auch vor acht los, bevor der Hafenmeister zum kassieren kommt. Wir gehen trotzdem zum Hafenbüro, und tatsächlich muss der Automat kaputt sein: Der Bildschirm funktioniert, reagiert auch auf Touchscreeneingaben, aber irgendwie findet keine unserer Bankkarten ihren Weg in den Bezahlschlitz zum Auslesen. Uns bleibt deshalb nichts übrig, als am nächsten Morgen - zumal wir ja ganz außen im Päckchen liegen - um kurz nach sieben abzulegen und uns einfach innig für die Gastfreundschaft zu bedanken. Shout-outs to our norvegian pirate friends and their lovely dogs!
Von den letzten Tagen sind wir immer noch erschöpft und setzen uns mit Varberg ein Tagesziel von fünfzig Seemeilen. Dieser Tag ohne besondere Vorkommnisse, wir segeln mit gutem Wind bis kurz vor Varberg, wo der Wind abflaut; für die letzten fünf Meilen brauchen wir knapp zwei Stunden. Wetter hält uns dort zwei Tage fest: Gewitter, viel Regen und Wind aus Nordwest. Der Ort ist ein richtiger Badeort, und hätten die Schweden eine ähnliche Euphorie gekannt wie die Deutschen Ende des 19. Jahrhunderts, dann hieße Varberg Seebad Varberg. Anders als in deutschen Seebädern, die meistens mehr Behauptung und maximal verwerteter Traditionalismus sind, gibt es in Varberg aber tatsächlich mehrere echte Seebäder. Zum Einen natürlich die Bäder direkt an der See. Mit Saunen, in die Steine eingelassene Geländer zum leichteren Einstieg ins Meer, Nacktbädern für Männer und Frauen und solche Dinge. Und zum anderen ein Freibad, bei dem die Becken in die hier typischen Felsen eingelassen sind, mit 50-Meter-Bahnen, das sein Wasser aus dem Meer holt - wir schwimmen dort im Salzwasser, das nach Kattegat schmeckt.
Wir gehen dort an einem langen Regentag schwimmen. Bei Donner sollen wir aus dem Wasser gehen, meint die nette Frau am Eingang. Es donnert aber nicht. Und gegen Abend, als wir wieder beim Boot ankommen, klart der Himmel auf, dreht der Wind langsam auf West, am nächsten Tag können wir die Etappe zu unserem ersten Zwischenziel, Göteborg, beginnen.

und bilder.

Und ein bisschen privatere Bilder für Freunde.

09. Aug. 2014

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