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kristiansand
Hier angekommen sind wir nach einer sehr kurzen Fahrt von einer Insel, die sich selbst auf einer Infotafel als lush island beschrieb. Deshalb wahrscheinlich dann hier, in Kristiansand, auch ein lush life, zumindest was das Aufschreiben der Reisedaten und -impressionen angeht. Liegen jetzt seit vier Tagen hier im Hafen, come rain or come shine, es ist wenig passiert. Außer:

Spaziergänge: Kristiansand ist eine Königsstadt, großplanerisch auf dem Reißbrett entstanden, und weil Barock/Aufklärung sind die Straßen rechteckig und parallel angelegt, die Innenstadt ist quasi quadratisch (und heißt deshalb auch Kvadraturen). Außenrum natürlich die üblichen outskirts, fett und reich auf der Sonnenseite der Bucht, den Fluss entlang und am Hafen, mehr Sozialbaustyle dann in Richtung der Autobahn. Diese Viertel allerdings wiederum sehr schön am Wald gelegen, der hier die felsigen Hügel überzieht, so richtig Sozialbaucharme kommt deshalb auch nicht auf beim durchspazieren.
Der Yachthafen ist vom Industriehafen durch eine Halbinsel getrennt, die Odderöya (ö = o mit Strich durch). Die war bis vor zehn Jahren militärisches Sperrgebiet und wurde dann zum Naherholungsgebiet entwickelt. Schöne Wanderwege an einer kleinen Steilküste entlang, auf den drei Seiten, die zum Meer zeigen, sind noch Geschützanlagen zu besichtigen, die irgendwie nach Weltkrieg aussehen. Teilweise zeigen sich auf dem Weg unvermittelt offene Türen, die in den Fels führen, nach ein paar Schritten in die Dunkelheit ist dann kein Ende in Sicht, und mangels Taschenlampe traue ich mich auch nicht weiter sondern flüchte zurück ins Sonnenlicht.
Einige der Militärgebäude sind in Ateliers umgewandelt, von denen aus zur einen Seite die Bucht zur Innenstadt, zur anderen Seite der Industriehafen mit Containern und Hochseefähren zu sehen ist. Schöne Lage. Trotz Saisonwechsel wirken die Ateliers verlassen, Künstler sind keine zu sehen. Nur im kleinen Gebäude der ehemaligen Pforte, am schmalen Eingang zur Insel, die nur über eine einzige Straße zu betreten ist, hat eine nette Frau ein kleines Café aufgemacht, wo wir ein Bier trinken und das so aussieht, als würden sich hier die Künstler der verlassenen Ateliers treffen. Außer uns sind nur ein paar Freunde der Wirtin da, die uns davon erzählen, dass sie beim Einrichten und Ausbauen des Ladens helfen. Gestern haben sie den Zaun gestrichen (weiß), morgen wollen sie draußen eine kleine Bühne bauen und laden uns ein, dabei zu sein. (Äh, danke, aber hab leider selbst grad zuviel zu basteln (Boot)...).
Bei der Gelegenheit bestätigt sich eine Wahrheit über Norwegen: Ein Bier kostet zehn Euro. Null-drei. Im Supermarkt ist das allerdings billiger, da haben wir, weil einer unserer Gänge an der hiesigen Brauerei vorbeiführte, die, passend oder unpassend, direkt am Friedhof gelegen ist, ein lokales Bier geholt. Schmeckt. Vor allem vielleicht wegen dem Wasser? Das ist nämlich, auch hier, in dieser mittelgroßen Stadt (sechzigtausend EinwohnerInnen), mit das köstlichste, das ich je getrunken habe. Ich würde am liebsten sehr viel davon importieren.
Gestern abend legte im Hafen eine Segelyacht mit lauter Hippies an. Beziehungsweise das Boot lag schon da, an einem der Schwimmstege, quasi gegenüber von uns, als wir aus der Stadt wiederkamen, und im Cockpit saßen bestimmt zehn Hippies. Daneben ein kleineres Boot mit nochmal zehn. Hippies. Und mit der Zeit kamen nach und nach immer mehr, bis irgendwann das ganze Boot voll mit Hippies war. Die da lachten und tranken und sangen und ihre Blumenkinderzöpfe in die Luft warfen. Nach ungefähr einer Stunde gingen die dann alle von Bord und marschierten zur Odderöya, von wo den Nachmittag über schon Musik herübergeweht war. Interessant.
Gingen wir den Hippies also nach auf die Insel (nach ein wenig unergiebiger Internetrecherche, was das denn da sein könnte, einzige Antwort blieb: ein Bierfestival. Hippies aufm Bierfestival?), um mal abzuchecken, was da läuft. Erste Begegnung oder erster Hinweis: Auf der Straße, zweihundert Meter nach der Pforte, lag ein junger Mann auf dem Boden, Arme ausgestreckt, klare Alkleiche, und um ihn rum standen zwei Frauen, eine redete mit ihm, die andere blickte wartend auf den Eingang der Straße. Sie sahen nicht aus, als ob sie Hilfe bräuchten, und kurz nachdem wir vorbei waren, bog ein Taxi um die Ecke und die Frau winkte es zu sich. Der Fahrer war aber misstrauisch und hielt erstmal dreißig Meter entfernt, stieg aus und sah sich die Sache aus der Nähe an. Schien dann aber nicht sonderlich alarmiert und der junge Mann wurde eingeladen. (Irgendwie hab ich im Kopf: in den Kofferraum, aber das kann fast nicht sein, das hab ich vielleicht geträumt.)
Wir also weiter, und nach zwei Kurven dann ein Schild: Novstock, mit Herz und Peacezeichen. Musik dazu: The End, von den Doors, ziemlich originalgetreu nachgespielt von irgendeiner Band. Menschen mit bunten Haarbändern kamen uns entgegen. Dann fuhr ein Taxi an uns vorbei, superglänzende Mercedeskarosse, dunkelblau, getönte Scheiben, Luxusvariante, drin als Fahrgast ein Hippie.
Inzwischen lief ein etwas schnellerer Song von Led Zeppelin und ich hatte richtig Lust auf bisschen Livemusik. Milder Abend, Hippies, open air, prima. Am Einlass dann aber doch säkulare Security, kein Peace, oder jedenfalls nur mit Eintrittsband ums Handgelenk, das wir natürlich nicht hatten, das man vor Ort aber auch irgendwie nicht kaufen konnte. Inzwischen hatte die Band aber auch schon wieder umgeschaltet auf irgendeine schnulzige Rocknummer, was uns gleich wieder ausreichend abtörnte, um zurück auf den kleinen Hügel vor dem Zaun zu steigen und einfach nur so ein bisschen zu kucken. Ein Typ bot uns sein abgerupftes Eintrittsband an, aber das war uns dann doch zu heikel, weil direkt vor den Augen der Einlasser, die sowieso überhaupt nicht beschäftigt waren, weil kaum jemand neu kam (und kaum jemand ging), und die ja wussten, dass wir nichts haben. Deshalb dankend abgelehnt und zurück gelaufen. Bei der Gelegenheit dann das Café in der Pforte entdeckt und dort ein schönes Bier getrunken, dabei die Complete Works von Mulatu Astatke. Wunderbar.

Björnar: Bei unserer Ankunft hier in Kristiansand fuhren L. und ich erstmal in den falschen Hafen. Wunderten uns, dass es so voll ist, und fragten uns, wo denn jetzt die Dalben sind, von denen im Hafenhandbuch zu lesen war. Außerhalb der Mole gibt es hier einen Schwimmsteg, und als wir an den schon gehen wollten, kam ein Typ im Motorboot langsam näher und klärte uns auf, dass das hier der Kommunale Hafen für Dauerlieger sei, und die Einfahrt zum Gästehafen zweihundert Meter weiter. Und dass wir lieber in den Hafen reinfahren sollen, weil draußen der Schwell unangenehm werden könne.
Was wir dann auch machten. Legten dann auch an einem der Dalben an, die im Handbuch beschrieben waren. Die Dalben hier allerdings lustig sehr weit auseinander, sodass man nicht, wie an den deutschen Küsten üblich, mit zwei Achterleinen an zwei Dalben fest ist, sondern mit beiden Leinen an einem Dalben (wenn nicht soviele Boote da sind, sonst eben auch nur mit einer Leine). Da liegen wir jetzt auch seit unserer Ankunft und haben es nicht bereut.
Der Typ hatte inzwischen sein Motorboot auf der anderen Seite der Mole im Kommunalhafen vertäut und kam jetzt zu uns rüber. Bisschen Smalltalk, hallo, woher, wohin und so, und dann holte er zwei Fische aus seinem Eimer und meinte, er hätte heute mit einem Schlag soviel gefangen, dass er das allein mit seiner Frau gar nicht essen könnte, und hier sind zwei Makrelen für euch. Legte sie dann auf die Mole, weil wir noch mit den Leinen beschäftigt waren, und ging zurück zu seinem Boot, um die Persenning drauf zu machen. Wir schön perplex, artig bedankt, und in mir keimte da schon eine große Begeisterung angesichts dieses sauber gefischten und eben wahnsinnig frischen Fischs.
Als die Leinen fest waren war auch der Typ gerade fertig und ich ging rüber, lud ihn zum Kaffee ein, was er auch sofort dankend annahm. Sonne, wir noch glücklich, dass wir angekommen sind, und der Typ hatte ein schönes Lachen, lobte das Schiff und erzählte von seinen eigenen Abenteuern. Als junger Mann ein Boot gebaut und damit nach Südamerika gesegelt, später mit seiner Frau, und einem anderen Boot, die ostatlantischen Inseln, also Kanaren, Madeira, Azoren, ein Jahr lang, dafür die Wohnung in Norwegen verkauft, auf dem Boot gelebt. Später eine Tour in die Karibik, insgesamt eben viel gesegelt, seit acht Jahren aber kein Boot mehr, weil zu wenig genutzt.
Björnar heißt er, kam am Ende raus, als wir dann doch mal Namen austauschten. Und neben seinen Reiseberichten hatte Björnar auch ein paar gute aufmunternde Sprüche parat. Wenn das Wetter schlecht wird, einfach Segel wegnehmen, langsam fahren, das gibt Sicherheit. Klingt vielleicht banal, ist jetzt auch nichts, was ich nicht selbst schon gewusst hätte, besonders war aber die tiefe Überzeugung, die er in diese Sätze packte. Und weil er das mit einem Lob unseres Bootes verknüpfte - dass unser Boot alle möglichen Wetter aushält - war das natürlich schön zu hören (die paternalistische Geste, die sich auch darin fand, war mir in dem Moment herzlich egal).
Den Fisch bereitete ich später am Abend im Topf zu. Erst Kartoffeln angebraten, schön gewürzt, dann bisschen Wasser dazu, den einen, größeren Fisch komplett (ohne Kopf und ohne Schwanz, aber eben nicht filetiert) dazu (mit bisschen Gewürz in den Seiten und innen, wie N. mit das gezeigt hat), den anderen versuchte ich nach Netzanleitung zu filetieren. Was sehr dünne Filets und viel Abfall ergab, aber den Versuch wars wert. Ab jetzt die Fische eben ganz. Weil der ganze wurde durch diese ganze Prozedur unglaublich gut und zart und das Fleisch ging ganz leicht von den Gräten ab und sogar die Haut ließ sich ablösen, ein echtes Fest.
Vor zwei Tagen hab ich mir hier im lokalen Angelshop eine Angel und ein paar Blinker gekauft, für Makrele, Dorsch und Meerforelle. Bei der nächsten Gelegenheit (Ankerbucht) probier ich das mal aus. Wie man einen Fisch ausnimmt und schuppt hab ich von N. gelernt, Zubereitung eigentlich auch, zumindest grob (seit heute haben wir auch wieder Knoblauch), nur das mit dem Töten wird noch eine kleine Extremerfahrung. Meine Vorstellung: Fisch aufs Brett und Kopf abschneiden.
Dafür hab ich gestern, weil alle Messer hier an Bord zu stumpf sind, um frischen Fisch ordentlich zu schneiden, ein Gerät zum Messerschärfen besorgt und erstmal die Messer geschärft. Jetzt schneiden die wieder richtig gut und das sollte dann auch für diese Fischoperation reichen.

Antarktis: Bis heute vormittag lag neben uns ein Holländer, ziemlich gut geschütztes Boot, Mittelcockpit mit hoher Achterkajüte, hohes Freibord, alle Leinen im Cockpit, machte einen stabilen und sicheren Eindruck. Der Typ sprach uns an, weil er die Messwerte von seinem Voltmeter abgleichen wollte. Wofür ich ihm meins gerne auslieh. Wir schnackten dann noch eine Weile, und er erzählte, dass er eigentlich jedes Jahr nach Skandinavien segelt. Dieses Mal ist er ein bisschen spät dran, will aber jetzt noch entspannt die Ostküste hoch, dann die schwedische Küste runter und vermutlich durch den Nord-Ostsee-Kanal wieder in die Nordsee.
Ziemlich bald fing er dann aber an, von einer Kreuzfahrt in die Antarktis zu erzählen, die er wohl vor einigen Jahren mal gemacht hat. Mit traumatischen Erfahrungen. Das Schiff geriet in einen schweren Sturm, die Passagiere durften ihre Kabinen nicht verlassen, die Wellen zerschlugen eine Reihe von Fenstern auf dem Oberdeck, er flog in seiner Kabine durch die Gegend, richtete sich irgendwann mit seinem Kumpel, mit dem er die Kabine teilte, auf dem Boden ein, um nicht ständig aus dem Bett zu fallen.
Von dieser Geschichte kam er dann schnell darauf zu sprechen, dass er selbst in absehbarer Zeit mit dem Segelboot in die Antarktis reisen will. Die Bedingungen dort seien heftig, und man brauche das richtige Boot, nur seins sei eigentlich für den englischen Kanal gebaut, und er sei sich nicht sicher, ob es für eine solche Reise taugt, und vielleicht müsse er sich noch ein anderes kaufen. Diese schnelle Assoziationskette ging mir nahe, fand ich eher heftig, weil sehr ehrlich, gleichzeitig ein schwieriges Verhältnis zu seinem eigenen Boot offenbarend. Denn das Boot sah andererseits ziemlich gut aus, also gut in Schuss, und gut ausgerüstet (Windgenerator, Autopilot, Radar, Anti-Kenter-Container im Mast usw.).
Anschließen konnte ich, weil ich selbst auch Zweifel an meinem Boot bekommen habe auf der Fahrt hierher. Vor allem das Cockpitdesign ist subooptimal, und auch das schnelle und weite Überholen bei Wind finde ich nicht so richtig erstrebenswert, dazu kommt das Rigg, das für wirklich schweren Einsatz noch einen Tick robuster sein könnte. Vielleicht war es genau deshalb gut, dass der Typ mir dieses Verhältnis nochmal gesteigert beim kurzen Schnack am Steg gespiegelt hat. Weil mir das gleichzeitig auch wieder klar gemacht hat, dass wir hier bei sechs bis sieben Beaufort und zwei bis drei Meter Welle vor Norwegen mit Sturmfock und dreifach gerefftem Großsegel uns gegenan gekämpft haben, um noch bis Kristiansand zu kommen, und dass das Boot diese Strapazen ohne Probleme mitgemacht und gut überstanden hat. Und dabei noch seine Seegängigkeit bewiesen hat, weil es zu keinem Zeitpunkt, mit oder ohne heftige Krängung, rabiat in die Seen eingesetzt hat, sondern immer schön weich aufgekommen ist, den Kurs gut gehalten hat, solange genug Kraft (und nicht zuviel) in den Segeln war, und bei den Segelmanövern fast wie von allein eine gute Stellung zu Wind und Wellen fand.
Heute kam dann Björnar nochmal kurz vorbei, kam schnell an Bord, während wir gerade dabei waren, den Diesel aus dem Reservekanister in den Tank zu füllen, und war ganz froh, auf einem Boot zu sein, schnackte auf Norwegisch mit den Nachbarn, dann auf Englisch noch ein bisschen mit uns - und erzählte dann davon, dass sein Plan ist, in fünf Jahren, wenn er in Pension geht, in der Karibik ein Boot zu kaufen und in die Antarktis zu segeln. Anders als bei unserem niederländischen Kollegen sprühte aber aus Björnars Augen die Abenteuerlust, und neben dem Träumerischen auch ein Ansatz realistischer Planung. Und, noch wichtiger, das Ganze schien nicht mit Furcht durchsetzt, und Trauma, sondern mit der Energie intensiver Wünsche. Keine Ahnung, ob einer von den beiden je mit dem Boot in die Antarktis reist. Aber dass die zwei Leute, mit denen ich mich hier ein bisschen privater unterhalte, beide in die Antarktis wollen, ist schon irgendwie irre. Was ist das wohl mit den alternden Männern und der Antarktis? Und was, wenn es das gibt, ist wohl mein mythisches Ziel, meine Antarktis?

Morgen geht es hier jedenfalls erstmal weiter. L. kommt zurück, T. ist schon seit ein paar Tagen an Bord, und wir treten zu dritt die Rückreise an. Erstmal ein Stück die Küste hoch nach Nordosten, dann, aller Voraussicht nach, mit einem längeren Schlag quer übers Skagerrak nach Skagen oder nach Laesö. Die andere Option ist, weiter der Küste und damit also unserem Weg hierher zu folgen. Was knapp 150 Seemeilen länger wäre. Im Moment spricht das Wetter für die Querungsroute. We'll see.

23. Aug. 2014

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