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Liten Kuling -- Stiv Kuling
Jetzt sind wir wirklich auf dem Rückweg. Und haben es eilig. Niemand mit Zeit und Verstand fährt bei sechs bis sieben Beaufort gegenan. Wir wussten, worauf wir uns einlassen, der Wetterbericht hatte den kleinen Starkwind oder kleinen Sturm auch angekündigt: zeitweise liten kuling aus Südwest. Nach Südwesten wollten wir. Nach zwei Tagen mit wenig Wind hatten wir uns auf Wind gefreut. Liten kuling sind sechs Beaufort. Für Aimé eigentlich kein Problem, solange die Wellen nicht zu hoch sind. Und solange aus dem kleinen Starkwind kein richtiger Starkwind wird.
Eigentlich begann die Fahrt heute schon am Abend zuvor. Weil wir recht früh unser Tagesziel erreicht hatten, fuhren wir noch eine Stunde weiter und ankerten in einer Bucht, die ich im Norske Los -- das ist das sehr detaillierte offizielle Revierhandbuch des norwegischen Seekartenamts -- gefunden hatte. Harbaksvika, die Bucht, ist nach Süden und Südwesten prima geschützt. Aber nach Nordnordwest ist sie sehr weit offen. Windtechnisch war das kein Problem, weil in der Nacht der Wind schon aus Süden blies, aber durch den Schwell, der von See seinen Weg durch die Schären findet, und durch die Wellen vorbeifahrender Schiffe, lagen wir sehr unruhig.
Wegen der Pläne für den folgenden Tag war ich aufgeregt und konnte nicht gut einschlafen, wachte dann, als der Wind schon zunahm, immer wieder auf. Um sechs klingelte der Wecker. Es blies unglaublich böig und regnete in Strömen, die Sicht war so schlecht, dass wir kaum die Felsen um die Bucht sehen konnten. Kein Wetter um loszufahren.
Gegen zehn Uhr klarte es auf. Schnelles Frühstück, dann Kartenarbeit mit den aktuellen Wetterberichten, um zu entscheiden, ob wir den ursprünglich geplanten Weg außen an den Schären entlang und bis in einen vierzig Seemeilen Luftlinie entfernten Hafen noch schaffen wollen oder lieber innerhalb des Schärengürtels mühsam hundert Steine umkreuzen, dafür aber weniger Seegang und etwas weniger starken Wind haben, außerdem verschiedene Anlaufmöglichkeiten.
Wegen der Starkwindvorhersage und weil es schon spät war, entschieden wir uns für den Schutz der Schären, ohne hohe Wellen kreuzt es sich einfach angenehmer. Die Fahrt verlief auch gut, gegen Mittag kam die Sonne raus, es wurde ein herrliches Segeln inmitten einer kargen Fels- und Schärenlandschaft. Herrlich. Wir segelten mit unserer Starkwindfock und dem Großsegel im dritten Reff gute fünf Knoten hoch am Wind, konnten einige Strecken sogar anliegen. Erst gegen Nachmittag drehte der Wind etwas weiter südlich und wir mussten durch die engen Fjorde und Sunde aufkreuzen. Was vor allem anstrengend für die Navigation ist, die Lea übernommen hatte. Etwa zehn Meilen vor unserem Ziel, Uthaug, frischte der Wind weiter auf und wehte mit konstant sieben Beaufort. Wir segelten entlang einer Leeküste, keine halbe Seemeile vom steinigen Ufer, entlang einer schmalen Fahrrinne, von vorne kommt ein großes Schiff, von hinten kommt ein großes Schiff -- das war der Moment, an dem ich dachte: Warum zum Teufel sind wir denn heute losgefahren? Anstatt im Hafen oder vor Anker zu bleiben und den Tag zu genießen.
Wir kreuzten uns ein kleines Stück von der Küste frei und wechselten die Starkwindfock gegen die Sturmfock. Anfangs waren wir damit noch langsam, aber schon bald frischte der Wind noch weiter auf und Aimé segelte mit so wenig Tuch wie selten wieder gute vier Knoten gegenan. Bei Starkwind wird irgendwann der Wendewinkel immer schlechter, weil das Boot nicht mehr so hart am Wind zu halten ist. Die Segel müssen etwas offener gefahren werden, um noch Headway gegen Wind und Wellen zu machen.
Der Himmel zog sich zu, die Wolken verdichteten sich zu ausgedehnten Schauerböen, die uns ordentlich auf die Seite legten. Die Wellen wurden größer und wuschen jetzt immer wieder übers Deck. Wir blieben gut gelaunt, es waren die letzten zwei Meilen, bevor wir dann endlich endlich, am Ende des Tages, für zwei kurze Meilen nochmal dreißig Grad abfallen konnten und mit Rumpfgeschwindigkeit, 7,5 Knoten, auf den Hafen zuliefen. Der Hafen von Uthaug ist glücklicherweise recht weitläufig, sodass wir in den Hafen segeln konnten. Mussten wir auch. Mit unserem Motor wären wir kaum gegen die hohen, steilen und schnell laufenden Wellen angekommen. Ganz zu schweigen davon, dass das Bergen der Segel ein Affront gewesen wäre. Segelnd ging die Einfahrt also leichter. Nach der Einfahrt ein Aufschießer und im ruhigen Wasser dann entspannt einpacken. Der Fischer, der direkt nach uns einlief, trat kurz aus seinem Haus aufs Seitendeck und grüßte uns.
Wir haben keinen Windmesser an Bord, aber der aktualisierte Wetterbericht hatte die Winddaten für den Abend nochmal nach oben korrigiert auf 30 Knoten Wind, oder stiv kuling, wie das auf norwegisch heißt. Das finde ich jetzt natürlich wieder total abenteuerlich. Ich hab mir aber auch sehr fest vorgenommen, mir bei der nächsten Starkwindvorhersage genau zu überlegen, ob das jetzt sein muss. Oder eben lieber nicht.

Am nächsten Tag: Der Sturm hat sich in der Nacht ausgeweht, jetzt scheint wieder die Sonne, draußen ist Flaute. Wir fahren trotzdem los, müssen weiter, wollen weiter. Nicht zuletzt wegen der Düsenjets, die hier knapp über unserer Mastspitze ihren Landeanflug machen. Nicht weit von hier ist der wichtigste Stützpunkt der norwegischen Luftwaffe. Merkwürdig, für Pazifisten übel, andererseits lustig: Wie hier alle zwanzig Minuten das Dröhnen der Jets die postkartenidyllische Stille zerreißt.

03. Aug. 2016

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