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Eingeweht -- Sturm
Nach zwei sehr langen Schlägen über insgesamt 250 Seemeilen mit gutem Wind aus nördlichen Richtungen liegen wir jetzt seit zwei Tagen im Hafen von Fedje fest. Sturm. Der Wind weht mit vierzig Knoten aus West, draußen vor der Küste türmen sich die Wellen auf eine Höhe von neun Metern. Wir haben das boot mit dreifachen Vor- und Achterleinen und doppelten Springs gesichert, außerdem unsere großen Sturmfender aufgeblasen. Der Hafen von Fedje ist gut geschützt, sodass kein Schwell in den Hafen steht. Wir liegen auf der Ostseite eines massiven Betonkais, der außen mit Holz verschalt ist. Der Wind drückt das Boot also vom Steg weg und lässt es in den Böen so weit überholen, dass uns beim Frühstück (nach einer Nacht mit eher wenig Schlaf) Tassen, Teller, Marmeladen- und Schokocrèmegläser übern Tisch rutschen. Abgesehen von einer dauerhaft im letzten Winkel des Hafens mit sehr vielen Leinen und zusätzlichen Ankern vertäuten Bavaria 38 sind wir das einzige Segelboot im Hafen. Ein riesiger Hochseefischer hat am Industriekai gegenüber festgemacht, um den Sturm hier abzuwettern.
Die Fahrt von Uthaug bis hierher verlief dank eines nördlichen Winds recht zügig. Von Uthaug aus führt der Weg durch die Trondheimsleia, und weil das Wetter sehr stabil war, segelten wir die Nacht durch. Inzwischen sind Nachtfahrten auch wieder Nachtfahrten, von eins bis drei ist es, abgesehen von einem sanften Leuchten am nördlichen Horizont, ganz dunkel. Am Abend war der Himmel von kleinen Wolken bedeckt, die eine stabile Luftschichtung anzeigen. Trotzdem bargen wir gegen Mitternacht mit der letzten Helligkeit das Großsegel und ließen nur die große Genua stehen, um für einen auffrischenden Wind noch etwas Reserven zu haben. Unter Vollzeug waren wir die Stunden davor mit sechs bis sieben Knoten gen Süden gesegelt und hatten es also nicht mehr ganz so eilig. Gegen halb drei, ich hatte gerade Wache, kam von achtern ein Großschiff auf uns zu. Mit guter Sicht konnte ich das eine ganze Weile beobachten. Bei einer Entfernung von drei Meilen wurde das AIS-Signal auf dem Kartenplotter sichtbar. Soweit so gut. Dass es ein Kollisionskurs ist, hatte ich oben schon gesehen, das Schiff zeigte uns beständig rot und grün, das ganze Buglicht also, das man nur sieht, wenn ein Schiff direkt auf einen zukommt. Aber unser Kurs führte auch entlang der üblichen Schiffahrtsroute, sodass ich davon ausging, dass der aufkommende Frachter (dass es ein Frachter war konnte ich in den AIS-Daten sehen) irgendwann ausscheren würde, um uns zu überholen. Vier Minuten vor impact war ich mir nicht mehr so sicher. Beherzt und auch etwas eilig schaute ich im Plotter nach dem Namen des Schiffs, zog das Handfunkgerät aus der Halterung und ging wieder an Deck. Keine Kursänderung. Auf Kanal 16 funkte ich den Frachter an. Am andern Ende der Verbindung eine verschlafene Stimme, aber immerhin wurde auf den Funkspruch reagiert. Ich bat um ein Gespräch auf Kanal 6, und vergaß dann vor lauter Aufregung die Etikette. Statt erstmal unsere Position mitzuteilen und die Situation kurz zu erklären funkte ich: "Hi, this is the sailing yacht Aimé, I just wanted to make sure that you see us or if we should go to starboard so that you can have your way." Eine Antwort über Funk blieb aus, aber das Schiff hinter uns änderte sehr abrupt seinen Kurs, um an Steuerbord an uns vorbei zu fahren.
Am Vormittag, als wir gerade aus der Trondheimsleia heraus fuhren, schlief der Wind ein. Wir bargen die Segel und motorten. Vom Ausgang der Trondheimsleia bis zur Einfahrt in den Fjord nach Alesund war ein Stück Strecke zurückzulegen, das seewärts sehr exponiert ist. Die alte Welle des Nordwestwinds, der in den vergangenen Tagen teils mit sechs Beaufort geweht hatte, traf uns hier direkt von der Seite. Lea übernahm ihre Wache, aber an Schlaf war wegen der heftigen Rollbewegungen kaum zu denken. Aber es nützt nichts. Die Flaute ist wirklich absolut. Keine vom Wind geriffelten Flächen whatsoever um uns herum. Erst kurz vor Alesund hebt sich wieder ein Lüftchen und wir setzen wieder Segel. Weil wir wegen der schnellen Fahrt am Vortag recht früh bei Alesund waren und dort auch wieder segeln konnten, entschieden wir uns dafür, den Tag trotz Müdigkeit noch zu nutzen und möglichst nahe an die Halbinsel Stad heranzufahren. Das Sturmtief, das uns jetzt hier im Hafen festhält und das Boot an den Leinen wild tanzen lässt, war schon angekündigt und wir wussten, dass wir den Nordwind und das gute Wetter nutzen mussten, um weiter nach Süden und am besten schon um die Halbinsel Stad zu kommen. Stad ist einer der wenigen Punkte an der norwegischen Küste, an der man keine Wahl hat zwischen Schären und See, man muss auf die See hinaus um Stad zu runden. Eine massive, hohe, felsige Halbinsel streckt sich hier weit raus ins Meer. Steil abfallende Felsen bilden ein radikales Kap, das nur bei günstigen Bedingungen gerundet werden kann, weil das Kap alle Wettereffekte verstärkt. Nach dem Durchzug des Tiefs wäre hier mit meterhohem Seegang zu rechnen, was selbst bei günstigen Windbedingungen eine Umrundung des Kaps unmöglich machen kann.
Am späten Nachmittag erreichten wir schließlich unser neues Tagesziel, eine kleine Bucht, von mehreren Schären umschlossen, Borgarøya. Dort gibt es einen Schwimmsteg, den der Segelklub einer nahegelegenen größeren Stadt gebaut hat. Ein wirklich schöner Ort. Weil wir nicht so spät dort waren und ich trotz Müdigkeit mal wieder Lust auf Fisch hatte, und auch Lust auf Angeln, warf ich die Angel noch ein wenig aus. Hatte aber nur Pech, verlor zwei Blinker und angelte eine Qualle, die ich dann mühsam vom Haken klauben musste. Danach war ich wirklich erschöpft, die Müdigkeit der Fahrtnacht schlug gut durch, ich ließ das Angelzeug im Cockpit liegen und legte mich schlafen. Schlief auch wunderbar bis elf Uhr am nächsten Morgen. Beim Frühstück erzählte Lea, die schon früher aufgestanden und ein wenig durch die Gegend gelaufen war, von einer Begegnung mit drei merkwürdigen Leuten, die am frühen Morgen mit einem kleinen Boot gekommen waren. Sahen irgendwie fertig aus, nervös, viel rauchend. Ein junger Typ und eine junge Frau, er ausgemergelt mit Armeejacke überm T-Shirt, sichtlich frierend, sie noch etwas besser genährt, mit schmutzigen Klamotten. Ihr Begleiter war ein mittelalter Typ, um die 40, der beim Boot der drei geblieben war. Sie benutzten die öffentlichen Toiletten, die zum Steg gehören (Borgerøya ist ein Ausflugsort, es gibt auch einen kleinen Grillplatz), und fuhren dann wieder ab.
Wir haben das auch in Rørvik gesehen, das nicht so nette und herausgeputzte Norwegen. Die Häuser ein wenig heruntergekommen, loser Putz, abblätternde Holzfarbe, die Spuren von zuviel Zigaretten und Alkohol in den Gesichtern der Leute, die an dem Sonntag vor ihren Häusern saßen oder auf der Straße unterwegs waren, abgerockte Klamotten, zum Teil aus Coolness, zum Teil weil neue Sachen teuer sind, Rost an den Karosserien von Kleinwagen, die ihr end of life in anderen Gegenden schon längst erreicht hätten. Aber diese Gegend war nicht so sehr Elend wie die drei Gestalten mit ihrem kleinen Boot, die auf der schönen Sommerinsel -- um die Bucht liegen eine Reihe von Sommerhäusern -- deplatziert wirkten. Man muss das erstmal zusammen bringen, diese wunderschöne Natur, die Berge, das Meer, und ein menschliches Elend, das hier eben doch aus den mittleren industriellen Ballungen entsteht, wie sie die Gegend, in der Borgerøya liegt, auszeichnet. Neben kleineren Städten sind auf der Fahrt durch die Fjorde und Schären hier und da Fabriken zu sehen, das meiste Fischverarbeitung, ein bisschen Ölindustrie. An die Felsen gebaut steht dann da eine Fabrik, und davor liegen zwei oder drei große Hochseetrawler, die hier ihren Fang abladen. Laut Revierhandbuch wird hier für den Weltmarkt produziert, man exportiert vor allem nach Europa und Asien. Und wo Industriearbeit ist, ist auch Ausbeutung und Elend. Klingt mir selbst zu einfach, aber eine ausgedehnte kulturgeschichtliche Analyse schaffe ich hier nicht (woanders vermutlich auch nicht).
Die Geschichte ging jedenfalls ärgerlich zuende, als ich nämlich nach dem Frühstück an Deck kam, war meine Angel weg. Die drei Leute waren die einzigen Besucher gewesen, wir hatten die Nacht über allein am Steg gelegen, und von Land hätte in der Nacht kaum jemand kommen können, war ja eine kleine Insel. Lea hatte die drei beim Wegfahren noch mit etwas hantieren sehen. Am Abend zuvor hatte ich noch kurz gedacht: Und was, wenn jetzt jemand kommt und uns was Böses will?

Am frühen Nachmittag brachen wir in Borgarøya auf, motorten trotz guten Winds quer über die Bucht, um zügig durch den Windschatten in Lee der nächsten Insel zu kommen. Zehn Meilen vor Stad wurde der Wind etwas stabiler und wir setzten die Segel. Machten sehr bald gute fünf bis sechs Knoten. Fahren wollten wir so, dass wir spätestens am morgigen Abend in einem besonders gut geschützten Hafen ankommen würden. Auf der Hinfahrt hatten wir nur einen solchen Hafen selbst gesehen, Fedje. Von Stad bis Fedje sind es auf dem Seeweg, also nicht durch die Fjorde, etwas mehr als achtzig Meilen. Und weil das Wetter noch etwa 30 Stunden halten sollte, entschieden wir uns für die Seeoption. Mit etwas Aufregung meinerseits, weil eine der vielen Stimmen in mir recht deutlich sagte: Bist du verrückt? Ein Sturmtief zieht an und ihr begebt euch ohne Not raus auf die Nordsee? Die Gründe für diesen Hopser überwogen aber schließlich. Und ich bin jetzt sehr froh, dass wir nach Fedje gefahren sind. Sicher, weiter innen in den Fjorden wäre der Wind nicht so stark wie hier. Aber wir kannten den Hafen schon und wussten, dass es hier diese Mole gibt, an der wir den Sturm gut würden abwettern können.
Bald schon hatten wir Stad querab. Eine andere Segelyacht, die kurz vor uns ums Kap gegangen war, hielt inzwischen Kurs auf Måløy, in die Schären hinein. Wir setzten Kurs ab aufs nächste Kap. Zunächst kamen wir gut voran, segelten unter Vollzeug bei langsam abflauendem Wind um die fünf Knoten. Aber gegen Abend schlief dann der Wind ein und wir bargen die Segel, starteten den Motor. Auf Wind warten, was wir sonst durchaus gemacht hätten, kam wegen des anziehenden Tiefs nicht in Frage. Trotz eines Zeitpuffers von etwa zwölf Stunden wollten wir so schnell wie möglich in Fedje sein. Und wir haben noch Sprit für etwa zwanzig Stunden motoren im Tank, das sollte also locker ausreichen. Bis Fedje sind es nur noch sechzig Meilen, dafür bräuchten wir unter Motor, also wenn anders als angekündigt kein Wind mehr kommen sollte, zwölf Stunden.
Um Mitternacht übernahm Lea die erste Wache. Das Boot bewegte sich mit Wellen von der Seite eher unangenehm. Ich schlief nicht, sondern machte mich am Plotter mit Ausweichmöglichkeiten vertraut. Wo könnten wir in die Schären einfahren, wo sind mögliche Schutzhäfen, die wir anlaufen können? Das Tief und der schnell abflauende Wind haben mich nervös gemacht. Gegen zwei löse ich Lea ab. Wir legen fest, dass wir erst Segel setzen, wenn wir zuverlässig wissen, dass uns das ausreichend zügig, also mit wenigstens vier Knoten, voranbringt. Der Himmel ist bewölkt und erstmals ist die Nacht wirklich zappenduster. die See ist nicht zu sehen, und diesmal auch kein heller Streifen mehr am Horizont. Nur die Leuchttürme an der Küste und von weit draußen der Widerschein der Bohrinseln dringen durch die Nacht. Ohne Sicht aufs Wasser ist es sehr schwer, die Windstärke richtig einzuschätzen. Kurz bevor es hell wird hebt sich der Wind so stark, dass klar wird: Wir können segeln. Aber Lea schläft noch und ich will sie nicht wecken, bevor ihre Wache anfängt. Eine Stunde mehr oder weniger ist bei einer Fahrt von fast zwanzig Stunden ja dann auch egal. Das Boot fährt unter Segeln zwar deutlich stabiler, aber noch ist die Situation auszuhalten.
Während langsam der Tag anbricht und das Wasser wieder sichtbar wird, steigert sich der Wind innerhalb kurzer Zeit auf fünf Beaufort. Die Wellen sind jetzt auch höher und versperren zum Teil schon die Sicht auf den Horizont. Aimé wird rabiat geschubst. Wir brauchen jetzt Segel. Ich wecke Lea. Sie ist sofort da und kaum restmüde, was mich einigermaßen überrascht, weil wir beide bei diesen Nachtfahrten nicht genug Schlaf kriegen. Wir gehen zusammen an Deck und setzen zuerst das Großsegel. Lea steht am Ruder, ich setze am Mast stehend das Segel. Weil der Wind nicht so wirkt, als würde er bald wieder abflauen, und weil es inzwischen wirklich frisch weht, die Wellen um uns herum regelmäßig Schaumkronen haben, setzen wir das Segel gleich ins dritte Reff. In dem Moment, in dem ich gerade die letzten Handgriffe mache, stirbt der Motor. Ich merke erst gar nicht, was los ist, weil dieser Moment auch sonst der Moment ist, in dem wir den Motor stoppen und erstmal unter Großsegel auf Kurs gehen, um dann das Vorsegel vorzubereiten. Lea sagt, dass der Motor von alleine ausgegangen ist. Mir fährt der Schreck in alle Glieder. Ich betätige den Anlasser, und der Motor springt an. Erleichterung. Aber statt rund zu laufen fängt er an zu stottern und stirbt wieder ab, trotz Gas geben. Entweder der Sprit ist alle oder er hat bei der heftigen Schaukelei trotz der fünfzig Liter, die eigentlich noch im Tank sein sollten, Luft gezogen. Oder er ist aus anderen Gründen kaputt. Klar ist jedenfalls: Der Motor läuft nicht mehr, wir sind auf hoher See, bis zum nächsten Hafen sind es noch dreißig Meilen, dort müssen wir unter Segeln anlegen, ein Sturmtief ist im Anzug.
Manchmal bringen mich solche Situation in einen merkwürdig effizienten Modus. Ich packe die große Genua, die vom Leichtwind am Abend zuvor noch an der Reling hängt, weg, ziehe sie dazu direkt unter Deck, ohne sie vorher ordentlich in den Sack zu packen, weil Wind und Wellen schon zu stark sind, um das große Segel ordentlich zusammenzulegen. (Merke: Nachts heißt Segel bergen Segel wegpacken.) Wir machen allein mit dem Großsegel im dritten Reff vier bis fünf Knoten Fahrt. Ich hole die Starkwindfock an Deck und schlage sie an, und bald sind wir wieder ordentlich besegelt. Wir haben einen etwas raumeren Kurs als Halbwindkurs, und mit der neuen Besegelung drückt uns der Wind mit sechs bis sieben Knoten konstant voran. Weil wir vor einer Leeküste fahren machen wir einen kleinen Luvbogen. Der Wind nimmt weiter zu, und auch die Wellen nehmen weiter zu. Ab und zu erwischt uns eine besonders große und legt uns so weit auf die Seite, dass das aufgefierte Großsegel durchs Wasser schleift. Scary. Aber noch will ich kein Segel wegnehmen. Wir wollen so bald wie möglich nach Fedje. Lea steuert das Boot durch die Wellen und ich plane unter Deck den Landfall und das Anlegen unter Segeln. Nicht einfach, aber wir haben Glück. Beim jetzt beständig wehenden West- bis Nordwestwind können wir Fedje gut anlaufen und auch durch die enge Fahrrinne der Einfahrt bis in den Hafen segeln. Der Steg, an den wir wollen, verläuft auch in der richtigen Richtung, also so, dass der Wind schräg davon weg weht. Wir können also einen Aufschießer machen und sind dann direkt längsseits, haben ein wenig Platz zum Auslaufen, und wenns nicht klappt ziehen wir das Segel schnell wieder hoch und versuchens nochmal. Vorausgesetzt, der Steg ist frei. Was ich sehr hoffe. Ansonsten ist hinter dem Steg noch eine holzverschalte Kaimauer, die auch als Gästesteg genutzt wird. Die ist allerdings problematisch, weil sie ganz hinten, südwestlich, im Hafenbecken liegt, und wir deshalb keinen Raum für den Aufschießer haben. Die Kaimauer müssten wir mit halbem Wind anlaufen, dann eine sehr enge Kurve fahren, um möglichst viel Fahrt zu verlieren, und dann die Restfahrt mit den Leinen bremsen. Riskant.
Als ich nach dieser Planung wieder an Deck komme, hat der Wind weiter zugenommen und weht jetzt mit fünf bis sechs Beaufort. Die Wellen erreichen eine Höhe von zweieinhalb Metern. Von der Seite ist das sehr unangenehm. Aber schon bald können wir abfallen und endlich, endlich mit raumem Wind Kurs auf Fedje nehmen, das noch etwa fünfzehn Meilen entfernt ist. Es ist neun Uhr, aber besonders hell ist es nicht geworden an diesem Vormittag. Der Himmel ist mit Wolken bedeckt, und nördlich und westlich von uns hat sicher Horizont langsam immer weiter eingedunkelt. Das Wetter vertieft sich langsam. für den Tag ist eine Besserung angekündigt, aber auch einzelne Schauerböen. Eine davon, eine ziemlich ausgedehnte, verfolgt uns jetzt also und kommt langsam näher. Etwa zehn Meilen vor Fedje bergen wir deshalb das Großsegel, um etwas Reserve zu haben. In der Schauerbö wird der Wind nochmal auffrischen, und mit beiden Segeln sind wir jetzt schon am Limit. Aimé surft die Wellen runter wie nichts Gutes, und im ganzen System ist viel Druck, das Boot lässt sich nicht so leicht auf Kurs halten. Mit dem Vorsegel allein stablisiert sich das Boot. Die Wellen schubsen nicht mehr so stark, sondern laufen jetzt wegen der geringeren Fahrt ruhig unterm Boot durch. Und mit dem Segeldruckpunkt weiter vorne lässt sich das Boot jetzt auch viel besser auf Kurs halten. Mit der Nervosität im Fahrverhalten schwindet auch meine eigene Nervosität. Ich kann wieder nach links und rechts schauen, sehe, wie die Wellen an den dunklen Felsen von Utvær brechen und weiße Gischt versprühen, sehe in der Ferne die Berge des norwegischen Festlandsockels, und vor uns erscheint langsam die Insel Fedje über dem Horizont.
Die Schauerbö erreicht uns kurz vor der Einfahrt in den Hafen. In der kleinen, nach Osten offenen Bucht vor dem Hafen drehen wir das Boot nur mit dem Vorsegel an den Wind und lassen uns mit langsamer fahrt über die Bucht ziehen, um Leinen und Fender vorzubereiten. Wir sind zu müde und erschöpft, um an die großen roten Fender zu denken, die wir eigentlich auch für solche Situationen an Bord haben. Weil die Teile aufgeblasen zu viel Platz wegnehmen, lagern sie ohne Luft unter Deck. Wahrscheinlich scheuen wir die Mühe und denken deshalb nicht mal daran. Es wird auch so gehen. Ich bin froh, dass wir den Hafen schon kennen und genau wissen, wie und wo wir zwischen den Perches -- den kleinen eisernen Stangen, die hier oft schmale Fahrwasser zwischen Untiefen hindurch bezeichnen -- fahren müssen, wieviel Platz wir im Hafenbecken haben und wo es tief genug ist für uns, um anzulegen, und wo nicht.
In der Einfahrt versuche ich nochmal, den Motor zu starten. Und tatsächlich springt er an! Große Erleichterung. Das ist unter diesen Windbedingungen dann doch einfacher und sicherer. Wir lassen das Segel zur Sicherheit aber noch oben, bis wir im Hafenbecken sind. Und bevor wir es runternehmen können, stirbt der Motor auch schon wieder ab. Also doch unter Segeln. Die Schauerbö schiebt uns schnell durch die Einfahrt, und als wir ins Hafenbecken einfahren, sehen wir, dass die beiden Schwimmstege, die für unser Manöver in Frage kommen, belegt sind. Am vorderen Schwimmsteg liegen zwei Yachten, am hinteren eine, allerdings eine sehr große, die den gesamten Platz belegt. Kurz überlege ich, einfach an der Yacht anzulegen und das Boot dann von Hand zu verholen, verwerfe den Gedanken aber wieder. Lieber nichts kaputt machen. Und der Kai noch hinter dem Schwimmsteg, am südwestlichen Ende des Hafenbeckens, ist frei. Auch wenn es nicht so günstig ist, möglich ist es doch.
Dann geht alles sehr schnell. Mit Rauschefahrt in der Bö sind wir am Schwimmsteg vorbei. Ich hole weit aus, lasse das Boot bis kurz vor den Fährkai fahren, steuere dann an der Südkante der Einfahrt mit halbem Wind entlang. Lea steht am Fall. Der Punkt, an dem das Segel geborgen wird, ist kritisch. Fällt das Segel zu früh, schaffen wir es nicht an den Steg und möglicherweise auch nicht mehr durch den Wind, weil wir ja mit halbem Wind anfahren müssen und keinen Aufschießer auf den Steg zu machen können. Erst ganz am Ende können wir drehen. Bergen wir das Segel zu spät, haben wir zuviel Fahrt und fahren am Steg vorbei gegen die schicke Aluyacht, die am Schwimmsteg direkt davor liegt. Insgesamt sind da nicht mehr als dreißig Meter Platz.
Das Segel fällt, Lea befestigt das Tuch mit einem schnellen Zeising, nimmt dann die Vorleine, und dann sind wir auch schon am Steg, ich lege das Ruder hart Steuerbord, versuche damit etwas Fahrt zu killen, bringe das Boot mit der scharfen Drehung dabei längsseits an den Steg. Lea klettert hoch -- der Steg ist etwa 1,5 Meter über der Bordwand (Tidengewässer!) -- und legt die Vorleine locker über einen Poller, wartet, bis das Boot steht. Bremsen könnte man besser mit der Achterleine, aber gegen den Wind halten kann man das Boot nur mit der Vorleine. Ein Dilemma, das wir zugunsten der Vorleine entschieden haben. Aber jetzt haben wir zuviel Fahrt und kommen der Aluyacht näher, Lea bringt etwas Zug auf die Vorleine, der Bug dreht zum Steg und macht mit der Bordkante einen nicht ganz sanften Einschlag in die Holzverschalung. Dann stehen wir. Ein kleiner Abdruck am Steg, am Boot ist nichts zu sehen, wir machen die Leinen fest. Ein Mann von der Aluyacht nimmt die Achterleine an, das Schiff kommt aus Holland und ist auf dem Rückweg. Wir sind jetzt erstmal hier fest. Es ist halb elf Uhr morgens und wir habens geschafft. Feierabend. Frühstück.

09. Aug. 2016

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