Ozeansegeln. Reiseaufzeichnungen

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Wintersegeln (vier Monate später)
Heute nachmittag hat der Sturm endlich nachgelassen. Jetzt ist das Wasser ruhig, Aimé schaukelt ganz leicht in den Spuren einer Dünung, die hier im Hafen zwischen den Molen reflektiert werden. Die Nacht war anstrengend, obwohl wir im Hafen liegen. Die Sturmböen drückten das Boot weit über, ließen es zum Teil heftig in die Leinen einrucken. Manchmal, wenn die Böen im richtigen Abstand kamen, schaukelte sich das Boot richtig auf. Ich lag achtern in der Koje, konnte kaum schlafen, wachte oft schreckhaft auf, atmete unruhig. Gegen halb fünf Uhr morgens dann ein lauter Schlag, aber nicht von draußen, aus dem Salon, irgendwas ist runtergefallen. Ich gehe nach vorne und schau nach. Das Geschirr, das noch neben der Spüle stand, ist zusammen mit dem Spülmittel mit Karacho gegen die Wand gerutscht. Ich verstaue alles, auch die Sachen, die noch auf dem Tisch stehen, schön seefest, damit bei der Krängung nicht doch noch irgendwas runterfällt und kaputt geht. Im Hafen. Was habich mir nur vorgestellt als ich gesagt habe: Wintersegeln. Aber der Reihe nach.
Vor vier Monaten sind wir aus Norwegen wieder zuhause angekommen. Seitdem gab es kaum Zeit, die Reise fertig aufzuschreiben. Es fehlen noch die Geschichten von unserem letzten Stop vor der südnorwegischen Küste in einem Archipel von seltsamen, wie traumhaft geformten Steinen und Felsen, von unserer epischen Nonstopfahrt übers Skagerrak, durchs Kattegat und bis in den Sund, von den Delphinen, die uns begleiteten, und schließlich auch von unserer Rückkehr in heimische Gewässer. Stay tuned. Erstmal aber: Wintersegeln.
Seit unserer Rückkehr war ich nur einmal noch kurz beim Boot, irgendwann im September, um alles für eine längere Pause zu sichern. Danach consumed durch Angelegenheiten an Land, an Orten, die mehr als fünfhundert Kilometer von jeder Küste entfernt sind. Das ganz konkrete Meer, das, auf dem echte Boote segeln, gerät dort gerne in Vergessenheit. Vorstellungen und Träume bleiben aber. Deshalb sitze ich inzwischen wieder hier an Bord und suche nach einem Einstieg.
Wintersegeln. Wollte ich immer schon machen. Und wann, wenn nicht nach einer Reise zum Polarkreis? Dortselbst war es zwar warm, aber unterwegs war es oft sehr kalt. Und ein wenig bin ichs auch von früheren Jahren gewöhnt, weil ich immer mal wieder im Winter einige Nächte an Bord war. Und das Boot seit drei Jahren den Winter über im Wasser bleibt. Dieses Jahr wollte ich es also wahrmachen. Weihnachten und Silverster unterwegs. Also blieb nach der Sommerreise das Rigg gespannt, Fallen und Reffleinen blieben eingeschoren, nur das Großsegel kam unter Deck und die Persenning drauf. Ach ja, und die Sprayhood musste weg, weil die Montagestellen rosteten. Die Neukonservierung schaffte ich im September, neu montieren konnte ich noch nicht. Also keine Sprayhood. Aber wir sind viele Jahre ohne gesegelt, das Gefühl ist schon bekannt.
Schon für die Vorbereitung der Reise hatte ich mir einiges vorgenommen. Ich wollte fit sein unterwegs, um Kälte und Anstrengung gut auszuhalten, und dafür laufen und schwimmen gehen. Und ich wollte mir genau überlegen, was Kälte bedeutet und was ich dafür brauche. Beides rechtzeitig. Natürlich kam es wie so oft. Entkräftet durch zuviel Arbeit, überhaupt nicht fit wegen zuwenig Sport und ohne die ganze Sache gut durchdacht zu haben kam der 23.12., der Tag, an dem das Boot durch die Brücke musste, die danach für zwei Wochen zu bleibt. Zusammen mit L. fuhr ich früh morgens nach Greifswald. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Boot kauften wir noch Wasser und Fressalien ein für die kommenden Tage. Es war toll, das Boot nach so langer Zeit überhaupt mal wieder zu sehen. Lag da, als sei nichts gewesen, mit den Leinen alles okay, mit der Persenning alles okay. Das Deck mit alten Blättern und Vogelscheiße verdreckt, wie üblich, ansonsten aber war alles so, wie wir es verlassen hatten. Wir bauten die Persenning ab, schrubbten das Deck ordentlich. Peilten die Brücke um eins an, die vorletzte Öffnung des Jahres.
Um zwölf öffnete ich die Tür zum Motorraum. Sichtprüfung. Mein Blick blieb am Spannungsmesser für die Starterbatterie hängen. Die Nadel stand bei vier Volt. Damn. Adrenalin. Tausend Gedanken. Scheiß Billigbatterie, was mach ich jetzt Silvester?, kriegen wir das noch hin?, wie hab ich das damals gemacht als ich den Motor mit der Verbraucherbatterie starten wollte?, hat das damals überhaupt funktioniert? usw. Bäm. Ohne Motor geht nix. Keine Brücke, kein Segeln, kein Winter, nix.
Die Brücke um eins schaffen wir nicht. Aber es gibt ja noch eine um drei. Wir legen Landstrom, schalten das Ladegerät ein. Die Batterie wird nicht erkannt. Umschalten des Ladegeräts auf Konstantspannung hilft. Das Ladegerät dient dann einfach als Netzgerät und misst nicht gleichzeitig noch den Ladezustand der Batterie, es wird einfach Strom geliefert. Auf diese Weise laden wir eine dreiviertel Stunde. Die Starterbatterie hat nur knapp fünfzig Ampèrestunden (ja, ist zu klein, ich weiß), sollte also in zwei Stunden ausreichend voll sein, um den Motor zu starten. Unter normalen Umständen jedenfalls. Nach einer Stunde, es ist bald zwei Uhr, schalten wir das Ladegerät ab. Der Spannungsmesser zeigt elf Volt. Ein Fortschritt. Reicht aber nicht zum starten. Ich schalte das Ladegerät wieder in Ladebetrieb, diesmal wird die Batterie erkannt. Zeitlich wird das wahrscheinlich nicht reichen. Welche Lösungen gibt es noch?
Von Hand starten, mit der Kurbel, wollte ich immer schon mal ausprobieren mit diesem Motor. Hab ich bisher nicht gemacht, warum auch immer. Könnte ja durchaus mal nützlich sein. Heute zum Beispiel. Die Kurbel liegt seit Jahren immer griffbereit. Ich öffne die Ventilhebel, setze die Kurbel an, bringe das Rad auf Schwung. Aber bevor L. die Ventilhebel schließen kann, springen die ersten beiden von selbst zurück und die Kurbel stoppt. Soviel Kraft hab ich nicht. Keine Ahnung, warum das so passiert. Leider auch keine Zeit, um das irgendwo nachzulesen. Also nächste Option.
Wir lassen das Ladegerät laufen, während der Startknopf betätigt wird, in der Hoffnung, dass der zusätzliche Strom reicht, um den Motor zu starten. Eine schlechte Idee. Das Ladegerät schaltet sich sofort selbst aus, die Batterie stürzt kurzzeitig auf fünf Volt, Motor dreht nur sehr müde. Es ist viertel nach zwei. Wenn wir um halb drei nicht loskommen, ist die Nummer gelaufen. Nächste Option.
Ich baue das Ladekabel, das vom Ladegerät zur Starterbatterie läuft, so um, dass die Verbraucherbatterie den Anlasser bedient. Beim Basteln merke ich, dass ich wohl, als ich das vor vielen Jahren gebaut habe, schon bei der Installation an diese Notlösung gedacht haben muss. Die Verkabelung mit den Unterbrechungsschaltern und den verschiedenen Stormquellen ist so gemacht, dass es reicht, das Ladekabel vom Ladegerät einfach an die Verbraucherbatterie anzuschließen und mit dem Batterieschalter die Starterbatterie vom ganzen Kreis zu trennen. Weil das beim letzten Mal, als ich das versucht habe, nicht so richtig gut lief, so zumindest meine dunkle Erinnerung, öffne ich die Ventilhebel, dann startet L. den Motor, der Anlasser dreht, die Ventilhebel springen von alleine zurück, es ruckelt und zuckt ein wenig, der Auspuff hustet, dann springt der Motor an und - läuft. Unglaublich. Es ist fünf vor halb drei. Keine Zeit, um zu überlegen, ob es vielleicht besser wäre, unter diesen Umständen nicht raus zu fahren, weil diese Notlösung alles andere als zuverlässig ist. Wir packen das Landstromkabel weg, werfen die Leinen los, fahren aus der Box und nehmen Kurs Richtung Brücke. Wir sind prima in der Zeit.
Während L. oben den Fluss entlang steuert, schließe ich unten die Starterbatterie wieder an den Ladekreislauf an, damit sie jetzt, unter Motor, weiter geladen wird. Pünktlich um zehn vor drei sind wir an der Brücke. Die Brückenwärter hatten am Telefon - ich wollte sicher gehen, dass die Brücke auch wirklich aufmacht um drei - in einer Mischung aus drohend und bittend gesagt, dass wir auf jeden Fall pünktlich sein sollen. Ich winke ihnen kurz zu und wünsche mit ehrlichen Gedanken eine frohe Festzeit.
Und dann sind wir plötzlich durch, fahren durch den Hafen von Wieck, überlegen, ob das Boot besser längsseits vor dem Hafenamt oder in einer Box liegt. Längsseits ist besser. So komme ich bei den zu erwartenden westlichen Winden alleine besser los.
Am Abend gehts zurück nach Berlin. Erst am 25. bin ich wieder an Bord, diesmal allein. Eigentlich hatte ich geplant, am 26. früh aufzubrechen nach Rügen, um dort das angekündigte Sturmtief im Hafen abzuwarten. Aber das Tief zieht schneller als gedacht, und auf dem Greifswalder Bodden weht es mit sechs Beaufort, in Böen mehr. Kein gutes Setting, um das erste Mal seit langer Zeit alleine loszufahren. Natürlich schwanke ich bis zuletzt und überlege, ob ichs nicht wagen soll. Aber am Ende überwiegen Furcht und Sicherheitsüberlegungen. Es ist die richtige Entscheidung.
Inzwischen hat der Wind deutlich abgeflaut. Ich freue mich auf eine ruhige Nacht. Morgen geht es quer über den Greifswalder Bodden. Ein kurzes Stück, genau richtig, um auszuprobieren, wie es sich anfühlt, bei Temperaturen etwas über dem Gefrierpunkt zu segeln. Ich bin aufgeregt. Wintersegeln. Stay tuned.

27. Dec. 2016

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