Ozeansegeln. Reiseaufzeichnungen

b-log

reiseberichte

boot + crew

partner

rss-feed

kontakt

Im Winter segeln ist saukalt
Anfangs hatte ich große Pläne für diese Tour, zwei Wochen wollte ich unterwegs sein, bis Gotland segeln und wieder zurück, durch die Nacht, durch Eis und Sturm, und zwischendurch immer mal davon schreiben und am Ende einen tollen Erfahrungsbericht zum Wintersegeln zusammenstellen. Die lange Fahrt hatte sich schon erledigt, bevor es losging, aber das ist normal: Bis zum Ablegen gibt es immer mehrere Downsizings. Rund Rügen wäre jetzt toll, muss aber nicht. Ich bin unterwegs, das ist alles. Und eigentlich sind alle wichtigen Daten für den Erfahrungsbericht schon gesammelt:

Im Winter

  • gibt es Stürme mit Orkanböen, die selbst im Hafen schon sehr unangenehm sind
  • haben die Häfen kein Frischwasser und keinen Strom (ausgenommen Wieck: da gabs Strom)
  • friert Wasser zu Eis, auch an Deck
  • ist segeln vor allem eins: saukalt
Dabei war es von den Temperaturen her und auch sonst ziemlich mild. Fünf Grad über Null, bedeckt, schwacher Wind aus Nordwest. Aufstehen war trotzdem, wie jeden Morgen, schwer und hat etwa eine Stunde gedauert. Als die Sonne um halb neun über den Horizont kam, schob ich erst die Beine und dann den Rest aus dem Bett nach draußen. Mit Landstromglück den Wasserkocher in Betrieb gesetzt, Kaffee in wenigen Minuten, dann Heizlüfter an, fast komfortabel. Zum Frühstück kein Müsli wie geplant, sondern zwei Stück Marzipanstollen, weil die Fahrt nur quer übern Bodden, fünfzehn Seemeilen, kein Problem.
Nach dem Frühstück alles seefest verstauen, wer weiß was da kommt. Angesagt ist schwacher Wind aus Nordwest, 15 Knoten in den Böen. Trotzdem habe ich mir angewöhnt, immer alles so zu verstauen, dass es auch dreißig Knoten in Böen und hohe Wellen geben kann. Nicht ganz sturmfest, aber bereit für Starkwind.
Die Batterien sind gut aufgeladen, der Motor sollte starten. Ich bin gespannt. Erstmal gehe ich an Deck, um die Segelpersenning einzupacken und das Vorsegel anzuschlagen. Und traue meinen Augen nicht. Das Vorschiff ist komplett überfroren, nur ganz an der Seite, wo schon ein wenig Sonne hinkommt, verlaufen sich ein paar Wassertropfen. Damn. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber klar. Bodenfrost = Deckfrost. Weil das Deck an den Seiten geneigt ist, kann ich nur dort meinen Fuß hinsetzen, wo er seitlich von einem Beschlag oder vom Süll gehalten wird. Ich balanciere vorsichtig nach vorne, befestige den Karabiner fürs Vorsegel. Ziehe die Schoten ein, die noch unter Deck gelagert waren. Packe erstmal die Großsegelpersenning weg, die noch gefrostet ist. Hole dann das Vorsegel an Deck und schlage es an, bringe die abgespannten Fallen und die Dirk an den Mast. Fertig. Vier Monate nach der letzten Segelfahrt ist das Boot wieder fahrbereit. Das denke ich glücklicherweise nicht in der Situation selbst, bin viel zu aufgeregt. Das fällt mir erst jetzt beim Aufschreiben *after the fact* ein. Die Reise nach Norwegen hat im Vergleich zu dieser Bodden-Winter-Tour ja schier epische Ausmaße.
Ich starte den Motor. Der Anlasser muss länger drehen als vom Sommer gewohnt, aber der Motor springt an. Ich bin erleichtert. Hoffe dabei, dass diese lange Startphase nicht die Batterie wieder ausgelaugt hat und das nachher unterwegs Probleme macht. Dann steige ich an Land, mache alle Leinen los, schiebe das Boot ein wenig vom Steg weg und steige dabei mit ein. Die Sonne hat inzwischen den Frost getaut, ich kann mich wieder gut auf Deck bewegen und packe zügig Fender und Leinen weg, nehme Kurs auf die Hafenausfahrt und lege den Vorwärtsgang ein.
Der Greifswalder Bodden zeigt sich in abgetönten Pastellfarben. Der Himmel ist bedeckt, das Licht mehr ein Zwielicht, der Ausleger der Hafenmole, die aufgeschütteten Steine an Steuerbord, die Fahrwassertonnen wirken wie weichgezeichnet, ohne klare Konturen. Ganz leicht kräuselt sich die Wasseroberfläche, der Wind weht nur schwach. Ich drehe den Bug nach Luv, stabilisiere den Kurs fast gegen den Wind und setze die Segel. Das Boot neigt sich leicht zur Seite, als ich abfalle und die Schoten anhole. Wir nehmen Fahrt auf, ich stoppe den Motor, Wasser gluckert am Rumpf. Ein herrlicher Moment.
Ich steuere von Hand. Will den Autopilot noch nicht einschalten. Wir lassen die Ecke bei Ludwigsburg an Steuerbord, segeln parallel zur Fahrrinne. Auf Höhe der beiden alten Plattformen kommt uns ein Schiff der Bundespolizei entgegen. Ich denke darüber nach, dass man dort mit dem Fernglas mir wahrscheinlich direkt ins Gesicht schaut. Mache ein grimmiges Gesicht. Und bin etwas verwirrt über diese Mischung aus Angst vor Überwachung und narzisstischem Geltungsdrang. Hoffentlich haben sie mich gesehen! Und gedacht: Mensch, das ist ja mutig, toll, abenteuerlich, um die Zeit mit dem Segelboot rauszufahren. Das ist sicher ein sehr erfahrener Skipper etc. pp. (Wahrscheinlicher ist: Meene Jüte, der kann 'n Kopp o' ni voll krien, wa?)
Der Moment geht vorbei, ich schaue durch die Gegend, suche nach der Ruhe, die ich doch hier draußen finden wollte. Bin aber noch aufgeregt. Was, wenn der Motor streikt? Wenn der Wind auffrischt? Wenn es anfängt, zu schneien? Für den Fall, dass der Motor streikt, muss ich eben unter Segeln irgendwo rein. Nach Wieck oder nach Gager, je nachdem, was in dem Moment näher ist. Denn wir segeln langsam. Machen im Schnitt nur drei Knoten. Weil die Tage sehr kurz sind, ich aber ungern im Dunkeln ankommen will, heißt das, dass wir die drei Knoten nicht unterschreiten sollten. Falls doch, dann müssen wir motoren. Und wenn dann der Motor nicht anspringt - Plan B.
Zwischendurch lockern sich die Wolken direkt über mir etwas auf und ich kann den blauen Himmel sehen. Die Wolkendecke liegt sehr tief, und über Land sinkt sie noch tiefer, sodass die Küste zum Teil im wolkigen Dunst verschwindet. Von Backbord schiebt sich langsam ein Frachter an uns vorbei. Laut AIS ist er an Silvester in Hull, England. Er passiert mit großem Abstand.
Kurz vor der Untiefe Groß-Stubber schralt der Wind. Ich falle ab und fluche, ein wenig fassungslos. You gotta be kidding me. Aber der Wetterbericht! Zehn Minuten später dreht der Wind wieder zurück, wir sind wieder en route. Die Untiefe lassen wir gut an Steuerbord. Der Wind zieht wieder etwas an und beschleunigt uns auf vier Knoten. Den Autopiloten habe ich schon vor einer Weile eingeschaltet. Am Navigationstisch ertappe ich mich dabei, dass ich Dinge überlege, die nicht übelegt werden müssen, jedenfalls nicht jetzt, um noch ein wenig unten zu bleiben, anstatt oben nach den Segeln zu sehen. Außer den Berufsfahrern begegnen mir keine anderen Boote, Kollisionsgefahr ist also eher gering. Fischernetze sehe ich auch keine. Man gönnt den Fischen auch ein paar Tage Weihnachtsferien. Deshalb kann ich mir ein paar Minuten mehr unter Deck eigentlich auch leisten. Dass der Greifswalder Bodden so leer ist habe ich einfach noch nicht erlebt, deshalb ist mein Achtsamkeitslevel unangemessen erhöht.
Kurz hinter der Ansteuerungstonne Zicker schläft der Wind ein. Wir treiben mehr als wir fahren. Aber ich will den Motor noch nicht starten. Einmal wegen der Sorge, dass er nicht anspringt (eine kontraintuitive Begründung), vor allem aber, weil jetzt, in der Stille, von überall her die See- und Schwimmvögel zu hören sind. Um uns herum, in etwas Entfernung, sind mehrere Gruppen und Schwärme, und alle rufen und singen sie in einem fort. Die Muster sind recht einfach, jedenfalls erkennbar. Immer wieder aber werden einzelne Töne variiert, oder eine arme Vogelkehle trifft diesen hohen Abschlusslaut nicht richtig. Irre ist das Sounderlebnis, completely 3D.
Schließlich starte ich doch den Motor. Er startet ohne Probleme, deutlich schneller als noch am Morgen. Vielleicht weil es jetzt am Tag etwas wärmer ist? Ich berge die Segel und nehme Kurs auf das Fahrwasser in Richtung Gager. Ich kenne die Strecke und muss nur einmal in die Karte schauen, um mich zu vergewissern. Im Moment ist auch etwas mehr Wasser im Bodden, der Wasserspiegel ist etwas zwanzig Zentimeter über Normalnull, sodass die heikle Stelle mit 1,8 Metern für uns sogar befahrbar wäre.
Bis zum Hafen mache ich mir Gedanken, wie ich das Boot am günstigsten platziere, damit ich morgen beim erwarteten Südwestwind einfach ablegen kann. Entweder längsseits an die Mole, oder längsseits an einen der Schwimmstege, auf die Ostseite, und rückwärts anfahren, damit ich morgen vorwärts losfahren kann. Weil es im Hafen windstill ist, wähle ich die zweite Option. Die Schwimmstege sind aus Holz, und bei der Mole hätte ich Probleme mit den Fendern. Also rückwärts angefahren, dann aufgestoppt, ein kleines Stück vorwärts, aufstoppen, das Auge der Leine vom Boot aus über den Poller geworfen, festgemacht, Vorwärtsgang, Boot liegt stabil. Leinen fest.
Alleine ist das alles wirklich mehr Arbeit als zu zweit, denke ich beim Einpacken der Segel. Muss ich halt mehr Zeit einplanen. Downsizing.
Und jetzt? Jetzt läuft die Heizung. Sie hat etwa eineinhalb Stunden gebraucht, um es hier angenehm warm zu machen. Angenehm warm zumindest mit langen Unterhosen, zwei Pullovern und dicken Wollsocken an.

28. Dec. 2016

Dezember
Mo Di Mi Do Fr Sa So
     
28  
2016
Monat
Dez

neue sendungen

Reisebücher

Herbstsonne
Storm Chaser (wider Willen)
Die Ostsee stirbt
Lesetip
aimé jetzt mit videoüberwachung - galore!



ozeansegeln.de